Sonst droht ein Begräbnis erster Klasse

Stephan Pernkopf, Präsident des Ökosozialen Forum Österreich, fordert anlässlich der diesjährigen Wintertagung, ausgelagerte Produktion ins Land zurückzuholen, neue Energieformen wie Grünes Gas zu forcieren und Stallkontrollen risikobasiert nach Auffälligkeiten durchzuführen.

Quelle: NLK
Stephan Pernkopf (50) steht seit genau zehn Jahren dem Ökosozialen Forum Österreich als Präsident vor.

BauernZeitung: Dieser Tage findet an verschiedenen Orten in Wien, Niederösterreich, Oberösterreich, der Steiermark und Tirol wieder die Wintertagung statt, eines der wichtigsten Informations- und Diskussionsforen für die heimische Landwirtschaft. “Selber produzieren statt Krisen importieren” lautet das
Generalthema. Welchen Fehlentwicklungen gilt es aus Ihrer Sicht so rasch wie möglich gegenzusteuern?
Pernkopf: Wir haben beispielsweise derzeit einen Engpass an Medikamenten, weil sie nicht in Österreich, auch nicht in Europa produziert werden. Das Gleiche gilt für Energie, Stichwort Gas und Öl. Am Beginn der Pandemie fehlte es an medizinischen Schutzmasken. Wir dürfen also generell nicht weiter Produktion ins Ausland verlagern, sondern müssen diese im Gegenteil zurückholen. Und wenn etwas bei uns nicht produziert wird, muss es dafür eine staatliche Lagerhaltung geben. Zudem müssen wir etwa von Drittländern wie China für Warenlieferungen die gleichen hohen Standards verlangen, die bei uns gelten. Hier muss Europa viel selbstbewusster werden.

Welche Krisen bedrohen konkret die Lebensmittelversorgung auch in Österreich? Und wie sollte man dem begegnen?
Hauptthema ist natürlich die Energie, weil wir diese zur Erzeugung von Lebensmitteln brauchen, vor allem Gas, das viele Molkereien brauchen, um die Milch zu pasteurisieren. Ich verstehe es auch nicht, dass man weiterhin den Fehler macht, strategisch wichtige Sparten ins Ausland zu verkaufen: Stichwort Borealis. Hier soll die einzige Stickstoffproduktion im Land für Düngemittel, aber auch AdBlue für dieselbetriebene Fahrzeuge und Traktoren, an einen dubiosen Käufer verscherbelt werden, um den CO2-Abdruck der Borealis zu halbieren. Wobei hier das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Der geplante Deal wurde selbst fast ein Jahr nach Bekanntgabe noch immer nicht bei der Wettbewerbsbehörde angemeldet. Die ebenfalls davon betroffenen Franzosen blockieren das momentan, weil Frankreich ein viel strengeres Investitionsschutzgesetz hat. Das alles hat aber nichts mit Protektionismus zu tun. Wir müssen die Ressourcen- und Produktionsgrundlagen für unseren Verkehr, für die Lebensmittelproduktion, die Industrie absichern. Da wäre ein Verkauf des Stickstoffwerkes genau der
falsche Weg.

“Ich verstehe den Fehler nicht, strategisch wichtige Sparten
ins Ausland zu verkaufen.”

Die Herausforderungen, mit denen sich die Landwirte konfrontiert sehen, sind mannigfaltig. Geraten angesichts der Energiekrise die Folgen des Klimawandels auf die Agrarproduktion derzeit ins Hinter-
treffen?
Es ist offensichtlich, dass gerade die Landwirtschaft zu den ersten Opfern der zunehmenden Wetterextreme zählt. Gerade das Thema Wasser wird an Bedeutung gewinnen. Wir beschäftigen uns derzeit intensiv damit, Wasser für die Pflanzen- und Lebensmittelproduktion zu sichern. Dazu wird es massive Investitionen brauchen. Niederösterreich etwa hat dazu bereits ein eigenes Wasserkompetenzzentrum geschaffen.

In welchen Bereichen bietet sich gerade die Landwirtschaft als Problemlöser an? Im Tagungsprogramm findet man wiederholt das Schlagwort Kreislaufwirtschaft. Wo funktioniert diese – vielleicht noch zu wenig beachtet – und sollte massiv forciert werden?
Bislang ist unser Wirtschaftssystem wie ein Förderband aufgebaut. Es geht nur in eine Richtung. Wir vom Ökosozialen Forum sind aber davon überzeugt, dass eine Kreislaufwirtschaft regional stattfinden muss. Ein ganz konkretes Beispiel dafür ist das Thema Grünes Gas. Dabei handelt es sich nicht um klassische Biogasanlagen, wie man sie kennt, sondern um Anlagen der zweiten Generation zur Verwertung von Rückständen. Deren Potenzial wird in Österreich auf knapp ein Drittel des gesamten fossilen Gasbedarfes geschätzt. Unsere Betriebe stehen bereits in den Startlöchern. Dagegen bringt es wenig, aus Katar oder anderen Ländern teures Flüssiggas nach Europa zu verschiffen. Man muss jetzt rasch, noch heuer, in die Umsetzung gehen.

Die Landwirtschaft ist nicht nur als Rohstofflieferant Teil der heimischen Wirtschaft. Die aber ziert sich als Abnehmer gerne, speziell bei Lebensmitteln in der Verarbeitung, der Gastronomie oder im Handel, bis hin zu Holz oder Energie. Das sehen nicht nur viele Bauern so und kritisieren das. Sie auch?
Für diese Blockadehaltung bei der Herkunftskennzeichnung habe ich kein Verständnis, ich halte eine solche sogar für ein Grundrecht: Jeder muss erfahren dürfen und damit wissen, was in seiner Nahrung drinnen ist und was nicht. Wer gegen eine solche Kennzeichnung ist, macht sich verdächtig, dass er etwas zu verbergen hat. Der Kantinen-Beschluss ist ein wichtiger erster Schritt. Aber wir sind noch lange nicht am Ziel und müssen weiter dafür kämpfen, dass bei jedem Produkt, egal ob in der Gastronomie oder im Handel, die Herkunftskennzeichnung durchgängig, zu 100 Prozent, gegeben ist.

Laut Einkommensstatistik hat sich die wirtschaftliche Situation vieler Betriebe im vergangenen Jahr etwas verbessert, etwa dank höherer Erzeugerpreise für Milch, Ackerfrüchte oder Rindfleisch. Welche Entwicklungen stimmen Sie optimistisch, welche nicht?
Lassen wir bei diesem Thema die Kirche im Dorf. Wenn man die Inflation abzieht, dann sind wir auf dem bäuerlichen Einkommensniveau wie im Jahr 2000. Auch wird Landwirtschaft ja nicht zum Selbstzweck betrieben, die Bäuerinnen und Bauern investieren das hart erarbeitete Geld ja wieder. Sie sind in Österreich sogar die größten Investoren im privaten Bereich, und das mit steigender Investitionsbereitschaft von Jahr zu Jahr, Gott sei Dank.

“Es ist ein Frevel, angesichts der Getreideknappheit
als Europäer zu sagen, wir erzeugen weniger.”

Seitens der Regierung wurden für die Landwirte eigene Entlastungspakete geschnürt, um die Folgen der Coronapandemie oder der teils massiven Teuerung abzumildern. Braucht es weitere Hilfen und rechnen Sie damit?
Mein Dank gilt hier vor allem Landwirtschaftsminister Totschnig und Finanzminister Brunner. So gibt es mit dem Agrardiesel jetzt eine spürbare Entlastung von knapp 40 Cent je Liter, wenn man alles durchrechnet. Eine steuerliche Besserstellung von Agrardiesel muss dauerhaft bleiben. Hier geht es nicht nur um ein Anti-Teuerungspaket, sondern um annähernd Wettbewerbsgleichheit zu ermöglichen.

Womit hat Österreichs Agrarpolitik zuletzt besonders vorausschauend agiert und wo besteht weiter Handlungsbedarf?
Es ist erfreulich, dass die Themen Versorgungssicherheit und auch der ländliche Raum mit seinen Flächen, auf denen unsere Lebensmittel und Energie produziert werden, so in den Mittelpunkt gerückt sind. Als eine große Gefahr sehe ich aber, dass auch viele staatliche Gelder mit der Gießkanne verteilt worden sind, Stichwort Klimabonus. Irgendwann wird dieses Geld ja wieder zurückkommen müssen. Das wird die größte Herausforderung in den kommenden Jahren werden. Ich warne massiv davor, dem mit Eigentums- und Vermögenssteuern zu begegnen, wie dies von SPÖ, Grünen oder der Arbeiterkammer posaunt wird, um die “Superreichen” zu bestrafen. Die aber haben per Mausklick ihr Aktiendepot oder ihre Bankguthaben ohnehin in die Schweiz oder nach Liechtenstein transferiert. Mit einem Bauernhof, Gewerbebetrieb, auch einem Einfamilienhaus geht das nicht. Ich habe in Brüssel darüber auch mit dem Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, gesprochen. In Deutschland mussten bisher für ein normales Einfamilienhaus bei einer Übergabe 19.000 Euro bezahlt werden, seit heuer sind es 75.000 Euro. Man mag sich nicht vorstellen, was das für die Landwirtschaft bedeutet. Eine Hofübergabe wäre unfinanzierbar und nicht
ohne Schuldenmachen zu stemmen.

Schauen Österreich und die EU genug auf die Landwirte?
In Österreich ist vieles gelungen. Die EU-Agrarpolitik ist natürlich träge, es gibt immer lange Vorlaufzeiten. Auch die Flächenstilllegung oder Pflanzenschutz- und Düngemittelverbote in bestimmten Gebietskulissen verstehen zu Recht viele Bäuerinnen und Bauern nicht. Ich halte es sogar für einen Frevel, wenn man vor dem Hintergrund der Getreideknappheit durch den Ukraine-Krieg in Europa mit vollem Bauch sagt, wir erzeugen weniger. Wenn wir wollen, dass der Welthunger nicht weiter ansteigt, dann müssen wir jetzt die Erzeugung steigern und kurzfristig alle Produktionsgrundlagen nutzen, die wir haben. Sonst wird das alles in einem Begräbnis erster Klasse enden. Wir müssen stärker die nachhaltige Produktion in den Vordergrund stellen,
es geht um Versorgungs-
sicherheit.

Die bäuerliche Produktion hat zuletzt in Sachen Tierwohl auch für negative Schlagzeilen gesorgt. Reicht es hier, wiederholt zerknirscht von “schwarzen Schafen” zu sprechen, wenn mit jedem weiteren Fall die Glaubwürdigkeit ganzer Sparten und tausender rechtschaffen produzierender Bauern leidet?
All das ist sehr ärgerlich. Es geht hier in erster Linie um Eigenverantwortung und darum, die Richtigen zu kontrollieren. Scheinbar werden aber sehr viele Betriebe kontrolliert, wo alles in Ordnung ist. Wo es Auffälligkeiten gibt, jemand bei den entsprechenden Programmen nicht dabei ist, wo es Auffälligkeiten bei der Tierkadaververwertung gibt, muss dem nachgegangen werden. Das heißt jetzt nicht alle Betriebe noch einmal, sondern risikobasiert kontrollieren. Ich habe das in meinem Verantwortungsbereich als Agrarlandesrat in Niederösterreich umgesetzt. Man darf aber nicht zigtausende Bauern an den Pranger stellen wegen einiger Einzelfälle. Und alle Bauern müssen daran interessiert sein, dass solche Fälle schon im Vorfeld aufgeklärt und nicht durch fragwürdige Aktionen aufgedeckt werden.

Als Bauernbundobmann und LH-Stellvertreter in Niederösterreich stehen Sie derzeit mitten im Wahlkampf. Es gibt mehr und mehr politische Mitbewerber, angesichts rauer Kritik eigentlich Gegner, die um die Stimmen der Bauern buhlen. Was hat Niederösterreich in den vergangenen fünf Jahren (agrar-)politisch richtig gemacht?

Ich bin in einem Elternhaus aufgewachsen, wo mir Wertschätzung auch gegenüber der Meinung anderer vermittelt wurde. Man wird von mir daher im Wahlkampf kein schlechtes Wort über politische Mitbewerber hören. Nur so viel: Vor Wahlen entdecken viele die Landwirte als Wählergruppe. Komisch ist nur, die Vertreter dieser Parteien haben wir in den vergangenen fünf Jahren weder bei Verhandlungen in Wien noch in Brüssel gesehen. Auf mich als Agrarpolitiker können sich die Bäuerinnen und Bauern jedenfalls verlassen. Für sie, die Gemeinden und für den ländlichen Raum möchte ich gerne auch die nächsten fünf Jahre mit voller Kraft arbeiten.
www.oekosozial.at/wintertagung

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AUTORInterview: Bernhard Weber
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