„Perfektion ist eine Illusion, die wir nie erreichen“

Im Interview spricht Prälat Leopold Baumberger, Abt des Stifts Wilten, über die bevorstehende Weihnachtszeit und ihre Bedeutung für die Menschen.

Abt Leopold Baumberger sieht die Faszination des Weihnachtsfestes in der Sehnsucht nach Frieden und Heil.

Abt Leopold, welche Bedeutung hat das Weihnachtsfest für Sie? 

ABT LEOPOLD: Für mich zeigt das Weihnachtsgeschehen im Stall von Bethlehem vor allem eines: Gott liebt uns Menschen so sehr, dass er mitten in der harten und schmutzigen Realität dieser Welt Mensch wird, um uns selbst in den Niederungen unseres Lebens nahe sein zu können.

Welche Erinnerungen haben Sie selbst an Weihnachten, als sie noch ein kleiner Junge waren?

Die Weihnachtszeit haben wir fast immer in der Heimat meiner Eltern im Grenzgebiet zwischen Mühl- und Waldviertel verbracht. Deshalb verbinde ich mit Weihnachten vor allem hohe Schneewechten, den tagelangen Bau von Iglus, unbeschwerte Zeiten bei meinen Verwandten mit (zu) üppigem Essen einerseits und märchenhaften Waldspaziergängen zur Verdauung andererseits. Der Heilige Abend war bei uns ein recht stiller und inniger Moment. Mein Opa Leopold ist an einem 24. Dezember vormittags beerdigt worden und so gehörten ein paar „Vater unser“ für unsere Verstorbenen unter dem Christbaum einfach dazu.

Sie wurden in der Christkindlstadt Steyr geboren. Inwiefern hat das Weihnachtsfest in Ihrer Heimat eine besondere Bedeutung?

Weihnachten ist in Steyr Programm: Die Kirche in Christkindl (wo meine Eltern geheiratet haben), das Weihnachtspostamt, das Steyrer Kripperl und zahlreiche weitere Darstellungen des weihnachtlichen Geschehens, ein Weihnachtsmuseum, Adventkonzerte, -ausstellungen und -märkte, das Steyrer Christkindl, und vieles mehr prägen das bunte Treiben rund um Weihnachten. 

Ganz ehrlich: Ich genieße diese Dinge in der Regel außerhalb der Hochsaison mit der nötigen Ruhe. Das Schöne dabei: In der Kirche in Christkindl ist selbst im Sommer ein Weihnachtslied niemals fehl am Platz.

 Weihnachten ist bekanntlich das Fest der Besinnlichkeit – worauf sollen die Menschen sich genau besinnen? 

Eines meiner Volksschulkinder hat es vor Kurzem auf den Punkt gebracht: „Das schönste Geschenk für das Jesuskind ist, wenn wir Menschen glücklich sind.“ Daraufhin habe ich die Kinder gefragt, was wir zum Glücklich-Sein brauchen. Die Antworten der Kinder haben deutlich gemacht, dass materielle Dinge dafür kaum geeignet sind, abgesehen von kleinen bewussten Aufmerksamkeiten. 

Die Kinder haben es begriffen. Damit fehlen nur noch wir Erwachsene.

Alles ist schnelllebiger geworden – doch Weihnachten ist bei den meisten Menschen ein Fixpunkt im Jahreskalender. Welche Faszination übt das Fest aus?

Die Faszination liegt in der Einfachheit und das Fest rührt an unserer Sehnsucht nach Frieden und Heil. Manch einer beginnt an Weihnachten dann doch zu ahnen, dass es abseits der Betriebsamkeit Wesentlicheres zu entdecken gibt.

Das perfekte Essen, das perfekte Geschenk für jeden muss gefunden werden. Weihnachten wird zur Konsumfalle. Wie kann man sich diesen Druck nehmen? 

Perfektion ist eine Illusion, die wir nie erreichen. Das führt zielsicher zur Frustration. Daher: Eine kleine, liebevolle Aufmerksamkeit und vor allem etwas geteilte Zeit hat für den Beschenkten mehr Wert, als jedes noch so „perfekte“ Geschenk.

Verschwörungstheorien nehmen immer mehr zu – was sind Ihrer Meinung nach Gründe dafür, warum Menschen immer weniger Glauben in etwas haben?

Von der Predigt eines befreundeten Priesters habe ich vor vielen Jahren folgenden Satz behalten: „Ein einzelner morscher Baum, der in sich zusammenbricht, macht mehr Lärm, als ein ganzer Wald, der wächst.“ Leider drängen sich schlechte Nachrichten oft lautstark in den Vordergrund und dominieren auch die Medien. Wir müssen unsere Sinne für das viele Gute neu schärfen, dann werden wir merken, dass die Hoffnung ein starkes Fundament hat. 

Wer Zuversicht hat und wer vertrauen kann, bei dem haben Verschwörungstheorien wenig Angriffsfläche. Daher ist es notwendig, dass wir in der Gesellschaft miteinander konstruktiv an dem arbeiten, was uns vorwärts bringt, anstatt jeden Tag die kleinen und großen Katastrophen sowie die Fehler der anderen in den Mittelpunkt zu stellen.

 Es sind die Bäuerinnen und Bauern, die nicht nur zu Weihnachten für einen reich gedeckten Tisch sorgen. Erfahren sie von der Gesellschaft für ihre Arbeit auch ausreichend Wertschätzung?

Einerseits ja, weil Themen wie Regionalität, heimische Qualität, kurze Transportwege oder Versorgungssicherheit an Bedeutung gewinnen. 

Andererseits bemerke ich, dass bei vielen Konsumenten und in so manchem politischen Diskurs der Bezug zur konkreten Arbeit der Bäuerinnen und Bauern schlichtweg verloren gegangen ist. Das führt zu teils absurden Vorstellungen, wie Landwirtschaft funktionieren sollte – etwas mehr Bodenständigkeit täte unserer Gesellschaft gut.

Welchen Ratschlag möchten Sie den Leserinnen und Lesern geben, um in der hektischen Vorweihnachtszeit zur Ruhe zu kommen? Und wie kommen Sie selbst zur Ruhe?

Wieder mal ein gutes Buch zur Hand nehmen und in eine andere Welt abtauchen oder sich mit Familie und Freunden zu einem gemütlichen Spiele-, Musik-, Bastelabend oder Ähnlichem verabreden. Dabei am besten das Handy ausschalten. Keine Angst: Mit Viertelanschluss war man früher auch nicht immer erreichbar und wir leben trotzdem alle noch. Wenn dieser Abend dann zu etwas späterer Stunde endet, weil man schlicht und ergreifend die Zeit übersehen hat, dann hat alles seine Richtigkeit.

Zur Person

Prälat Leopold Baumberger ist seit Mai 2023 der 56. Abt des Stifts Wilten. Mit damals 35 Jahren ist er einer der jüngsten Äbte in der Geschichte des Prämonstratenserstiftes. 

1987 in Steyr geboren als Jürgen Baumberger, absolvierte der spätere Abt an der Universität Graz das Studium der Pharmazie, danach studierte er zunächst als Seminarist der Diözese Linz in Innsbruck Theologie, bevor er 2014 in das Stift Wilten eintrat. Er nahm den Ordensnamen Leopold an und legte 2018 die Ewige Profess ab. 2019 wurde er von Bischof Hermann Glettler zum Diakon und zum Priester geweiht. 

Abt Leopold Baumberger ist Pfarrer im Seelsorgeraum Sellraintal und Bereichsseelsorger für den Malteser-Hospitaldienst Tirol. Zu seinen Interessen gehört unter anderem die Arbeit bei der Freiwilligen Feuerwehr. Dort ist er seit 2021 Feuerwehrkurat und seit Herbst dieses Jahres Bezirksfeuerwehrkurat für Innsbruck-Land. Außerdem wurde er 2022 zum Schützenkurat ernannt.

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  • Stift Wilten 2023 11 26 C Sigl 5902: Reinhold Sigl, Stift Wilten
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AUTORHannah Pixner, Thomas Mursch-Edlmayr
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