Kein gutes Haar lässt der emeritierte Professor der Humboldt-Universität am Green Deal der EU, dieser Tage auch in Wien. Eingeladen von der Industriegruppe Pflanzenschutz (IGP), referierte er vor Vertretern der heimischen Agrarwirtschaft.
Seine Kernkritik lautet: Die mit Blick auf den Klimaschutz vorgeblich positive Einschätzung des Ökolandbaus oder der Renaturierung, die auf eine Senkung der Agrarproduktion in der EU hinauslaufen, sei „methodisch falsch“. Damit würde das Gegenteil bewirkt: Durch Förderung von mehr Biolandbau oder Renaturierung von Agrarflächen würden zwar die Klimaemissionen in der EU sinken, aber ebenso die Erntemengen. Das wiederum würde, um weltweit immer mehr Menschen zu ernähren, eine weitere Ausdehnung der Agrarflächen anderswo in der Welt erfordern. Mit in der Folge erheblich mehr an Treibhausgasemissionen, als in den EU-27 eingespart würden. „Unter dem Strich würden die globalen Klimagasemissionen zu- statt abnehmen“, so die These des Agrarwissenschaftlers. Der EU wirft von Witzke „falsche Rechenmethoden“ vor, und das seit Jahren.
Die EU habe längst nicht mehr genug Boden für die Agrarproduktion. „Zur Versorgung ihrer Bürgerinnen und Bürger werden jedes Jahr Agrarrohstoffe benötigt, die auf bis zu 34 Millionen Hektar in Übersee wachsen.“ Von Witzke redet dagegen einer produktiven Landwirtschaft das Wort, auch durch Nutzung neuer Züchtungstechniken – Stichwort Genschere.
Der Professor erhielt in Wien viel Zuspruch für seinen Auftritt beim „11. IGP-Dialog“. Indes polarisieren seine Thesen in der Agrarbranche. Seine „pauschale und einseitige“ Kritik sei weder sachlich richtig noch helfe sie bei der Bewältigung der enormen ökologischen Herausforderungen, meinten etwa drei Agrarforscher der Justus-Liebig-Universität Gießen sowie der Forschungsinstitute für Biolandbau (FiBL) in der Schweiz und Deutschland. Der Fokus auf Treibhausgase reiche nicht aus – auch die Biodiversitätsverluste, Gewässerverschmutzung und Pestizidnutzung führe zu erheblichen Umweltfolgekosten des heutigen Agrarsystems.
Von Witzkes Schlussfolgerung, dass mehr Biolandbau in der EU unvermeidlich mit mehr Umweltzerstörung anderswo einhergehe, sei „zu einfach gedacht und deshalb zurückzuweisen“. Er führe einen Grabenkampf, meinen seine Kritiker. Aber weiter so mit noch mehr Intensivierung sei „ebenso wenig eine Lösung wie zu 100 Prozent auf nur noch Öko-Produktion umzustellen“.
BauernZeitung: Sie gelten als scharfer Kritiker aus der Wissenschaft am geplanten Green Deal der EU und polarisieren damit auch. Was läuft aus Ihrer Sicht auf agrarpolitischer Ebene in Brüssel schief?
Harald von Witzke: Die internationalen Bedingungen, innerhalb derer die Land- und Ernährungswirtschaft, auch die Agrar- und Ernährungspolitik in Österreich und der EU ihre Entscheidungen zu treffen haben, haben sich seit der Jahrtausendwende drastisch verändert. Das hat viele ebenso drastische Konsequenzen. Derzeit verfolgt Brüssel eine EU-Agrarpolitik der Vergangenheit. Warum? Ab 1870 bis 2000 lebte die Welt in einer Zeit des gefühlten Überflusses. Es wurde immer mehr Nahrung für immer mehr Menschen zu immer geringeren Preisen produziert. Das neue Jahrtausend hat für die Landwirtschaft ein neues Zeitalter der Knappheit eingeleitet, auch in Europa. Die Agrarpreise sind deutlich gestiegen, während global das Angebot nicht so schnell wächst wie die Nachfage. Zudem wird unser Naturkapital immer knapper, also Ackerböden, natürliche Lebensräume, Biodiversität und Wasser. Und Energie, die immer teurer wird. Die EU und Amerika meinten aber weiterhin, dass sie ohnehin genug Boden für die Agrarnutzung haben. Aber diese Politik klappt nicht mehr, wenn wir weniger produktive Wirtschaftsweisen wie den Ökolandbau oder sogar Flächenstilllegung durch Renaturierung fördern. Noch immer wird so getan, als hätten wir Boden im Überfluss. Tatsächlich müssen wir aber auf den immer knapper werdenden Flächen immer mehr produzieren. Und da setzt meine Kritik an.
Mit dem Green Deal will die EU doch die Umwelt, das Klima, letztlich die Biodiversität schützen. Was ist falsch an mehr Ökologie am Acker?
Tatsache ist, dass mit der subventionierten Bioproduktion mehr Biodiversität auf unseren Äckern vorhanden ist. Aber mit dem Ökolandbau sinken die Flächenerträge um rund die Hälfte und natürlich auch die CO2-Emissionen. Letzteres klingt gut, aber das ist eine falsche Messung, weil es nur die lokalen Emissionen betrifft. Tatsächlich ist so weltweit auch weniger Nahrung vorhanden, wenn wir weniger produzieren. Das treibt die Preise weiter in die Höhe und erfordert immer mehr landwirtschaftliche Nutzfläche. Aber halt anderswo in der Welt, gewonnen durch Brandrodung. Damit würden weit mehr Klimagase freigesetzt und Biodiversität vernichtet, als in der EU eingespart werden.
Von welchen Größenordnungen sprechen Sie da?
Jedes Prozent Minderproduktion bedeutet eine weltweite Ausdehnung der Agrarfläche um 130.000 Hektar und nach neuesten Berechnungen zusätzliche Emissionen von 78 Millionen Tonnen CO2. Wenn durch Renaturierung für jedes Hektar weniger bei uns dann in anderen Teilen der Welt die Agrarfläche – vorsichtig geschätzt – um mindestens halb so viel ausgeweitet wird, wären das 300 Tonnen CO2 je Hektar. Das Ergebnis meiner Analysen hat mich wirklich erschrocken. Im Falle einer CO2 -Steuer müsste man jedes Hektar, das in Deutschland oder Österreich auch nur in Ökoproduktion umgewandelt wird, in Höhe von 60.000 Euro besteuern. All das wird im Green Deal der EU ignoriert.
Machen Sie Ihre Kritik nur an den Treibhausgasen fest?
Nicht nur. Diese wird halt besonders kontrovers diskutiert.
Mehr Bio gefährdet laut Ihren Thesen auch die Ernährungssicherheit. Drohen also mit dem Green Deal langfristig leere Teller?
Wir werden schon kurzfristig mehr Hunger sehen. Knapp eine Milliarde Menschen auf der Welt haben nicht genug zu essen, wenn wir es nicht produzieren und die Preise weiter steigen.
Von Witzke: „Ich meide Bio wo ich kann und habe auch gute Gründe dafür. “
Andere Wissenschaftler und Ökonomen behaupten, die globale Landwirtschaft habe weniger ein Produktions- als ein Verteilproblem. Auch die EU-Agrarprodukte am Weltmarkt stören den Aufbau der Landwirtschaft etwa in Afrika, wo immenses Potenzial ungenützt sei. Lautet Ihre Antwort darauf trotzdem noch höhere Erträge in Europa?
Wir waren mal diejenigen, die mit Überschüssen in direkter Konkurrenz zur Produktion der Entwicklungsländer gestanden sind. Das ist lange vorbei. Die EU nutzt jedes Jahr 17 bis 34 Millionen Hektar, je nach Ernteausfällen, außerhalb ihrer Grenzen zur Befriedigung der eigenen Bedürfnisse. Bei agrarischen Rohstoffen sind wir heute einer der größten Nettoimporteure der Welt. Für Deutschland hat die amtliche Statistik unsere Methode übernommen. Es ist erschreckend: Deutschland trägt mit 6 bis 7 Millionen Hektar dazu bei, das entspricht gut der Hälfte seiner Ackerfläche.
In Europa landen jedes Jahr zig Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Etwa 130 Kilogramm pro Kopf. Dahinter steckt doch auch einiges an Flächenpotenzial, oder nicht?
Es heißt immer wieder, wenn wir weniger wegschmeißen und uns gesünder ernähren würden, dann wäre alles gut. Nichts ist gut! Es wäre zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber ob das in einer freien Gesellschaft gelingen kann, darf bezweifelt werden. Und selbst wenn, würde das bei Weitem nicht ausreichen, um den rasch wachsenden Bedarf in den Entwicklungsländern decken zu können. Selbst ohne uns reiche Länder müssten wir bis 2050 die weltweite Nahrungsproduktion mehr als verdoppeln, um den Hunger in der Welt auszuschalten.
Haben Sie auch die ökologischen Folgen einer industrialisierten Landwirtschaft, die es auch in Europa mittlerweile gibt, im Blick?
Natürlich. Ich habe auch nichts gegen Ökoproduktion. Wenn Bauern das machen und Konsumenten deren Produkte kaufen wollen, sollen sie es tun. Aber ich habe etwas dagegen, dass die Bioproduktion subventioniert und als „ökologisch sinnvoll“ gepriesen wird. Weil sie tatsächlich das Gegenteil von dem bewirkt, was vorgeblich damit erreicht werden soll. Mehr Biodiversität ließe sich einfacher erreichen. Es gibt Flächen, die eignen sich bevorzugt zur Produktion von Nahrungsmitteln oder Agrarrohstoffen und andere, die eignen sich bevorzugt für die Bereitstellung von Biodiversität. Wenn man beides auf ein und derselben Fläche versucht zu erreichen, dann erreicht man von beidem weniger. Je besser das gelingt, desto weniger Flächen brauchen wir für die Landwirtschaft, desto mehr natürliche Flächen und auch mehr Biodiversität können wir erhalten.
In Österreich produziert jeder fünfte, vielleicht bald jeder vierte Bauer biologisch und das auf jedem fünften Acker, auf jeder dritten Wiese, auch Gemüse und Obst. Arbeiten gerade diese Bauern eigentlich unprofessionell, gar unmoralisch und sollten wieder auf konventionell umstellen?
Nein, sie reagieren rational aufgrund der von der Politik gesetzten Anreize oder des moralischen Drucks, der von vielen Seiten ausgeübt wird. Daran störe ich mich. Es muss klargestellt werden, dass Bioförderung den Landverbrauch in anderen Ländern erhöht und damit das Klima für uns alle verändert. Das Abbrennen von Regenwald macht sich irgendwann auch bei uns als Klimawandel bemerkbar.
Wie sinnvoll ist es überhaupt, die Landwirtschaft als Klimasünder völlig gleich mit der Industrie oder mit dem Transport gleichzusetzen? Essen müssen wir ja alle, Rohstoffe und Waren quer in alle Kontinente verschiffen oder fliegen müsste man nicht unbedingt.
Sollen wir im Burgenland Bananen anbauen?
Die Menge an Bananen an den Agrarexporten quer durch die Welt ist doch im Vergleich zu Soja oder Mais gering…
Aber der Klimaimpact eines Schiffes, das vollbeladen mit Bananen von Lateinamerika zu uns kommt, ist deutlich geringer, als wenn ich mich für ein Kilogramm Bananen ins Auto setze und fünf Kilometer zum Supermarkt fahre. Die meisten Emissionen passieren bei der Verteilung, nicht bei der Beförderung. Und Soja wird ja auch bei uns schon länger produziert. Da haben sich die neuen Züchtungsmethoden bemerkbar gemacht und der Klimawandel vielleicht auch.
Sollte sich die Agrarpolitik bei der Forderung nach weiteren Innovationen oder auch Wirkstoffverbesserung von Pflanzenschutzmitteln besser nicht einmischen und das der Wirtschaft überlassen?
Ja, das denke ich auch. Aber Politik muss die Rahmenbedingungen dafür schaffen. Neue Züchtungsmethoden erlauben es längst, Nutzpflanzen zu generieren, die Nährstoffe besser ausnutzen, die widerstandsfähig sind gegen Pflanzenkrankheiten und Schädlinge oder Stress wie Hitze, Kälte oder Trockenheit. Aber das will man in Brüssel ja auch nicht. Meine Kritik an der EU würde nicht ganz so harsch ausfallen, wenn sie sich dazu durchringen könnte, die Produkte der molekularen Pflanzenzüchtung zum Anbau zuzulassen.
Was muss denn jetzt passieren?
Ganz einfach: die EU-Forschungspolitik ändern, damit biotechnologische Forschung wie in den USA auch bei uns möglich ist und dafür auch mehr Forschungsgelder bereitstellen.
Das haben Sie schon vor 12, 15 Jahren laut kritisiert.
Und es hat sich nichts geändert. Die Amerikaner sind der Genschere gegenüber wesentlich offener eingestellt. Wir haben dagegen den Umweltgruppen zu sehr vertraut. Die haben uns an der Nase herumgeführt, das kann man ruhig so sagen. Das können Sie ruhig auch so schreiben.
Meiden Sie eigentlich Bioprodukte? Das wäre eigentlich nur konsequent.
Das mache ich, wo ich kann. Ich habe auch gute Gründe dafür, weil die Qualität jedenfalls nicht so stimmt, wie ich mir das vorstelle. Wenn ich beim Einkauf bei Edeka nach Ökozwiebeln gegriffen habe, rieselten die Pilzsporen raus, wenn man sie schälte. Auch bei Biokartoffeln war die Qualität nicht so gut. Es macht ja auch Sinn, Pilzgifte zu bekämpfen. Die einzige Möglichkeit, die wir dazu bei Bio haben, ist Kupfer. Und das ist eigentlich schlimmer als alles andere.
Zur Person
Prof. Dr. Dr. h. c. Harald von Witzke ist ein deutscher Agrarökonom. Er war bis zu seiner Emeritierung Professor für internationalen Agrarhandel an der Humboldt-Universität Berlin und dieser Tage auf Einladung der IG Pflanzenschutz in Wien. Harald von Witzke ist auch Vorsitzender des Thaer Forums für Agrikultur. Diese Denkfabrik beschäftigt sich mit Zukunftsfragen der Land- und Ernährungswirtschaft.
- Bildquellen -
- IGP Dialog: photonews.at/Georges Schneider
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