In Brasilien, besonders im Nordosten des flächenmäßig größten Staates Südamerikas, bieten überdurchschnittliche Sonneneinstrahlung und starke Passatwinde ideale Voraussetzungen für die Erzeugung von erneuerbarem Strom. Entsprechend wird dessen Ausbau von der Regierung in Brasilia massiv forciert, auch um die Abhängigkeit von Wasserkraft zu reduzieren. Damit geht jedoch ein beträchtlicher Flächenverbrauch einher, wie das Institut für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung der Universität für Bodenkultur (BOKU) kürzlich belegte.
Landraub unter die Lupe genommen
Die beiden Wissenschaftler Michael Klingler und Johannes Schmidt haben mit Kollegen des Londoner University College das Phänomen „Green Grabbing“ (Grüne Landnahme) näher unter die Lupe genommen. „Die kapitalintensive, großflächige Aneignung von Land und Ressourcen wird in Brasilien meist mit Rinderzucht und Sojaanbau in Verbindung gebracht“, berichtet Klingler. Man habe aber „ähnliche ‚Land Grabbing‘-Prozesse für Wind- und Solarenergie identifiziert“. Demnach gehe mit Green Grabbing ebenfalls eine umfassende Restrukturierung von Landzugang und -nutzung, vor allem bei öffentlichen und Allmende-Flächen einher. Laut den BOKU-Forschern sei dies gerade in Brasilien besonders problematisch, da dort Kleinbauern und Indigene ohnehin seit Langem von illegaler Landaneigung und gewalttätigen Landkonflikten betroffen seien.
EU-Investoren dominieren den Markt
Die Ergebnisse der BOKU-Studie zeigen eine Überpräsenz globaler Investoren am Energiesektor Brasiliens auf. Von 2001 bis 2021 standen demnach 78 Prozent der 214.800 Hektar Windparks und satte 96 Prozent der 10.200 Hektar Solarflächen direkt oder indirekt im Eigentum ausländischer Investoren. Zwar werde das Gros der Anlagen offiziell von brasilianischen Unternehmen betrieben, heißt es, diese gehören jedoch in 68 Prozent im Falle der Windparks sowie in 90 Prozent bei den Solaranlagen ausländischen Mutterkonzernen. „Mehr als die Hälfte der Windparkfläche steht mit europäischen Muttergesellschaften in Verbindung“, so die Forscher. Besonders dominant seien zwei Energieanbieter aus Italien und Frankreich.
„Saubere Energien mit schmutzigen Methoden“
Laut Michael Klingler werden für die erneuerbare Energie vorgesehene Flächen zunächst stets privatisiert. „Zulasten der rechtlichen Anerkennung von ländlichen Gemeingütern wie Allmenden und traditionellen gemeinschaftlichen Landnutzungsrechten“, wie er anmerkt. Oft werde auch auf Flächen gebaut, deren Besitzverhältnisse völlig unklar sind. „Sieben Prozent liegen auf rechtlich nicht ausgewiesenem öffentlichem Land, 28 Prozent weisen lediglich einen Eintrag im Umweltkataster ohne gültigen Landbesitztitel vor“, weiß der BOKU-Experte. „Saubere Energien mit schmutzigen Methoden“ habe dies ein Betroffener im Gespräch mit den Wissenschaftlern genannt. „Die Notwendigkeit der Energiewende darf nicht infrage gestellt werden“, appelliert Klinger dennoch. Die „Art und Weise“ gelte es aber dringend zu überdenken.
Die Studie zum Nachlesen.
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