Nach Franz Vranitzky und Viktor Klima ist Christian Kern der dritte rote Kanzler, der Managementerfahrung aus der Wirtschaft (wenn auch nicht aus der Privatwirtschaft) mitbringt. Die Erwartung, dass er die Regierung und seine Partei managen kann, ist groß. Und sie ist möglicherweise leichter zu erfüllen, als es auf den ersten Blick scheinen mag: Was Land und Partei derzeit brauchen, ist Führung. Ein neuer Kanzler hat das Privileg, unter freundlicher Beobachtung der Medien die politische Richtung vorzugeben – wobei es naheliegend ist, pragmatische Lösungen als große politische Weichenstellung zu verkaufen. Die Medien – und große Teile der Bevölkerung – lassen das zumindest einige Wochen lang durchgehen. Es kommt vor allem auf die Parteien an, ob die das auch so akzeptieren. Die Schlüsselrolle fällt dabei dem Koalitionspartner ÖVP zu. Gelingt es ihr, Kern davon zu überzeugen, rasch ein paar Projekte im Sinne der ÖVP zu beschließen, wobei der Erfolg daran ganz dem neuen Kanzler gegönnt würde, wäre das stabilisierend für die Koalition und für das Land: Um den Preis, nicht als treibende Kraft der Regierung gesehen zu werden, könnte die ÖVP den Kanzler und dessen Partei durchaus auf ihre Linie bringen. Das erfordert Disziplin und Selbstbeschränkung aller Beteiligten. Wenn das nicht klappt, ist die Koalition am Ende.
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