Schlachtrinder sind in Europa knapp und teuer wie nie zuvor. Die außergewöhnliche Marktsituation stellt Landwirte, Schlachtbetriebe und Konsumenten vor neue Herausforderungen. Dazu hier die Einschätzungen von Werner Habermann, ausgewiesener Rindermarktexperte, zur aktuellen Entwicklung.
BauernZeitung: Die Preise für Schlachtrinder haben in nicht einmal sechs Monaten um etwa 30 Prozent zugelegt. Was sind die Ursachen?
Habermann: Die Preise, die wir derzeit sehen, waren vor Kurzem noch nicht vorstellbar. Der Höhenflug ist vor allem eine Folge der vorangegangenen Depression. Wir hatten zweieinhalb Jahre mit extrem niedrigen Preisen. Der Basispreis für Schlachtstiere ist in dieser Zeitspanne kaum über 3,50 Euro gekommen. Den extremen Tiefpunkt brachten die ersten Corona-Lockdowns im Frühjahr und Sommer 2020. In der Rindermast hat das zu vielen Betriebsaufgaben geführt. Vor allem in Deutschland fehlen derzeit zumindest zehn, eher 15 Prozent der Produktion. Bei weitgehend unveränderten Schlachtkapazitäten herrscht auf dem deutschen Markt ein extremer Wettbewerb um Schlachtvieh. Damit ist Deutschland nun der Preismotor für ganz Europa. Die dortigen Notierungen liegen aktuell um 30 bis 50 Cent über allen anderen.
Warum ist so wenig Ware aus Südamerika auf dem Markt?
Aufgrund der geringen Nachfrage in Europa, ausgelöst durch die Lockdowns, haben Exportländer wie Argentinien und Brasilien den asiatischen Markt als alternatives Exportziel entdeckt. Das ist so weit gegangen, dass ganze Rindfleischkonzerne mehrheitlich in chinesischen Besitz gegangen sind. Aktuell ist Südamerika in Europa nicht auf dem Markt.
Gefragte Teilstücke sind einfach nicht bestellbar, weil „ausverkauft“.
Lassen sich derart hohe Preise im Lebensmittelhandel umsetzen?
In Deutschland ist die Marktlage ohne Alternative. Es ist einfach zu wenig Ware da. Im heimischen Markt liegt das Verbrauchsniveau im LEH unter dem Vorjahreswert, anspringenden Bedarf gibt es demgegenüber in der Gastronomie. Treiber der Entwicklung sind ganz klar die europäischen Exportmärkte. Die Jahresplanung mit den Handelsketten treffen wir üblicherweise im Dezember. Aufrund der außergewöhnlichen Entwicklung gab es heuer schon zwei Anpassungsrunden. Ich nenne das „gelebte Partnerschaft“. Das österreichische Modell der Erzeugergemeinschaften dämpft die extremen Pendelschläge des Weltmarktes.
Der Markt in Deutschland war für Österreich bisher auch bei den Tiefpreisen bestimmend. Warum gelingt es nicht, sich davon zu entkoppeln?
Bei offenen Grenzen ist das nicht möglich. Wir haben zwar das AMA-Gütesiegel und einige Markenprogramme, die bei Frischfleisch eine Differenzierung ermöglichen. Ein Teil der Ware ist allerdings internationalisiert, sprich: austauschbar. Dabei geht es etwa um Schinken oder Wurst. Hier geben die internationalen Einkaufsmöglichkeiten die Preislimits vor, unser Angebot muss mitziehen. Aufgrund der Probleme in Deutschland wird sich das ändern. Dort ist ein Strukturbruch im Gange. Die deutsche Politik betreibt den Abschied vom Weltmarkt. Das Land wird dauerhaft auf die Eigenversorgung, wenn nicht sogar auf Nettoimporte zurückfallen.
Wie werden die Konsumenten auf die Preissteigerungen reagieren?
Die Preiserhöhungen kommen nun mit etwas Verzögerung auch bei den Konsumenten an. Wenn die Verbraucherpreise in einer Größenordnung von etwa 20 Prozent angehoben werden, dann wird das teuer und möglicherweise einen Konsumrückgang bewirken. Ein Ausweichen auf Schwein oder Geflügel scheint wenig wahrscheinlich, da auch dort die Preise stark steigen. Die Konsumenten sind derzeit in vielen Bereichen mit Preissteigerungen konfrontiert. Das wird die Kaufkraft und damit die Nachfrage schmälern.
Wie sieht die Situation für die Bauern aus?
Die verbesserten Preise lassen die Rinderhalter Luft holen. Allerdings haben die Bauern auch rekordmäßige Preissteigerungen bei Futtermitteln und Energie zu bewältigen, auch die Kälberpreise werden anziehen. Vor dem Hintergrund der Durststrecke ab etwa Mitte 2019 bis Ende 2021 sind die aktuell hohen Preise notwendig, um die Verluste auszugleichen.
Wie geht es mittelfristig weiter?
Wir haben jetzt Mitte März. In den vergangenen 30 Jahren sind um diese Jahreszeit die Preise immer gefallen.Aufgrund der aktuellen Ausnahmesituation ist es wahrscheinlich, dass die Hochpreisphase noch länger andauert. Allerdings wird ein „Allzeithoch“ auch nicht zwei oder drei Jahre andauern können. Ich erwarte, dass Südamerika wieder auf den Markt kommt und auch in Deutschland die Höchstpreise nicht dauerhaft halten.
Interview: Hans Maad