Neben der Energie haben sich auch Lebensmittel in den vergangenen Monaten erheblich verteuert. Viele Bürger müssen sparen, die Tafeln sozialer Hilfsorganisationen melden einen großen Zulauf. Welche Auswirkungen hat dies auf unsere Ernährung?
Hirschfelder: Für alle, die es sich leisten können, wird sich nichts ändern. Vielleicht werden Luxusprodukte sogar noch mehr zu Prestigegütern. Die kleiner werdende Mitte der Gesellschaft wird geringfügig sparen, aber mindestens die Hälfte wird sparen müssen. Wir essen dadurch nicht weniger. Aber es könnten sich vier Trends durchsetzen: billiger, hochkalorischer, weniger frisch, weniger „out of home“, sprich außer Haus.
Was besagt die jetzige Kaufzurückhaltung gegenüber höherpreisigen, biologisch erzeugten Lebensmitteln, auch die Berücksichtigung von mehr Tierwohl, über uns Konsumenten?
Viele sind guten Willens, aber sie verlagern ihre schönen Ziele in die Zukunft. Sie denken, „vielleicht am nächsten Wochenende mal das Biofleisch, heute tut’s der Discount, ich muss ja noch tanken“. Man hält an bewährten Mustern fest und macht eher Abstriche bei Preis und Qualität. Das ist eine gefährliche Entwicklung für Nachhaltigkeit und Tierwohl! Ohnehin sind Umweltschutz und Nachhaltigkeit Themen, die eher in Zeiten guter Wirtschaft boomen.
Muss sich die Politik also von ihren Biolandbau- und Tierwohlzielen verabschieden?
Auf keinen Fall. Aber sie wird es tun: Kostendruck und Pragmatismus sind eine Gefahr für die ökologische Transformation, um die Folgen des Klimawandels abzuschwächen.
Wird die aktuelle Krise den Verzehr von qualitativ hochwertigen und im Speziellen von Bio-Lebensmitteln nachhaltig beeinträchtigen?
Ich fürchte ja! Zunächst werden viele das Gefühl haben, dass diese Erzeugnisse zu teuer sind. Das wird die BioBäuerinnen und Bio-Bauern schwächen und zum Teil auch bedrohen. Langfristig ist der Ökolandbau aber im strategischen Vorteil: Er ist energieeffizienter, und das wird zum Kostenvorteil. Das gelingt aber nur, wenn die Politik diesen Prozess positiv begleitet. Der Gaspreisdeckel ist da ein falsches Signal.
Ein Trend in der Ernährung geht in Richtung vegetarisch und vegan. Gerade junge Menschen wenden sich insbesondere vom Fleischkonsum ab. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Einige werden dem Veganen treu bleiben. Aber wir sehen auch, dass vegane Ernährung ein Lebensstil ist, der von vielen beim Eintritt ins Berufsleben oder bei der Gründung von Familie wieder aufgegeben wird. Langfristig sehe ich eine Verstetigung des Vegan-Trends auf niedrigem Niveau, aber bei einer wachsenden Gruppe einen flexitarischen Lebensstil mit wenig tierischem Protein und vielen veganen Elementen – zumindest in Mitteleuropa. Global sieht die Sache aber ganz anders aus.
Der Hype zumindest um verarbeitete Veggie-Produkte scheint vorerst zu Ende. Einige Hersteller von Wurstersatz vermelden einen Absatzeinbruch oder haben die Produktion überhaupt gestoppt. War das Ganze also doch nur ein Strohfeuer?
Das Thema bleibt! Aber viele Veggie-Produkte sind hochverarbeitet, salzig und energiedicht, die vegane Küche wird langfristig kreativer. Ersatzprodukte wie vegane Leberwurst oder fleischlose Burger sind eine Brückentechnologie für die „early adopters“, also die jungen Fortschrittlichen. Dafür landen sie dann in der Systemgastronomie. Ob sie sich da durchsetzen, ist aber heute nicht absehbar.
Gibt es regionale Unterschiede bei der vegetarischen und veganen Ernährung?
Strukturell gibt es soziale Unterschiede. Man kann sagen, je jünger, weiblicher, urbaner und akademischer desto veganer. Unter eher älteren oder männlichen Personen oder weniger akademisch Gebildeten abseits der Metropolen am Land ist dieses Ernährungsverhalten dagegen eher unterrepräsentiert.
Die Nutztierhaltung steht aus Tierschutz- und Klimaschutz-, aber auch aus gesundheitlichen Gründen seit Längerem in der Kritik. Könnte Laborfleisch hier eine Alternative sein?
Brauchen wir eine Alternative zu Laborfleisch? Tierische Produkte begleiten uns seit Beginn der Menschheitsgeschichte; eine Ernährung mit tierischen Anteilen war Katalysator der Menschheitsentwicklung. Nutztiere sind heute integrativer Bestandteil einer Landwirtschaft, die eben auch dort stattfindet, wo Ackerbau nicht möglich ist. Das sind global über zwei Drittel der Flächen. Langfristig werden wir Technik und Gras so weiterentwickeln, dass wir es verstoffwechseln können oder Protein aus Gras extrahieren. Aber mittelfristig bleiben wir beim Fleisch.
Und was ist mit Kunstfleisch?
Kunstfleisch liegt im Trend, aber nur für eine weitere Generation. Wer ohne Fleisch aufgewachsen ist, wer keine Erinnerung an Steak und Burger hat, braucht kein Kunstfleisch.
Im Unterschied dazu ist die „Grüne Gentechnik“ ein alter Hut, die aber mit den neuen Gentechnikverfahren – Stichwort Genschere – wieder für hitzige Diskussionen sorgt. Bis spätestens Sommer nächsten Jahres will die EU-Kommission ihre Novelle zum Gentechnikrecht präsentieren. Warum wird dieses Thema in Deutschland oder Österreich sehr viel emotionaler behandelt als in anderen europäischen Ländern?
Die unterschiedliche globale Durchsetzungskraft der Grünen Gentechnik geht vor allem auf Entwicklungen des öffentlichen Meinungsbildes zurück: In der EU gilt das sogenannte Vorsorgeprinzip, unter das gentechnisch veränderte Organismen (GVO) fallen, weil sie als neue Form der Lebensmittelproduktion gelten. Deshalb muss die Unbedenklichkeit durch Risikoanalysen und Monitoringprozesse garantiert werden. In den USA gibt es eine viel höhere Akzeptanz; Unbedenklichkeitsthesen dominieren. Aber in der EU kann der Widerstand gerade auch von unten kommen. So können etwa Bundesländer GVO-Anbauverbote erlassen und übergeordnete Strukturen bis zur EU vor sich hertreiben, bis die Bestimmungen so verschärft sind, dass die Technik nicht zur Anwendung kommen kann. Und zu dieser spezifischen Ausgangslage kam dann eine schwierige Kommunikation: Gentechnik wird im öffentlichen Diskurs zur Metapher für alles, was an Technologie gefährlich und schädlich ist.
Die Corona-Pandemie hat dafür gesorgt, dass die Menschen wieder mehr selbst kochen. Jetzt könnte es der Kaufkraftverlust sein, der sie dazu veranlasst. Auch die Lebensmittelverschwendung dürfte zurückgehen. Kann man also den hohen Lebensmittel- und Energiepreisen auch etwas Positives abgewinnen?
Betroffene Menschen erleben die Krise gewiss nicht positiv. Aber die Krise kann sich als Faktor erweisen, auf dem Weg der Transformation zu einer nachhaltigeren Gesellschaft voranzuschreiten, also eine negative Krise mit positiven Effekten für die Umwelt.
Das Gespräch führte Agra-Europe.
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