Landwirte sind auf innovative und effiziente Pflanzenschutzmittel angewiesen. So lautete die Schlussfolgerung der Experten bei der dritten Veranstaltung der Webinar-Reihe der IndustrieGruppe Pflanzenschutz (IGP) zum „Innovation Deal“. Im Fokus standen Forschung und Entwicklung sowie der Wissenstransfer zwischen Landwirtschaft, Wissenschaft und Konsumenten. Innovation und Fortschritt leisten einen wesentlichen Beitrag, um die Biodiversitäts- und Umweltziele im Green Deal zu erreichen, das müsse man den Konsumenten aber auch klar machen.
Stockmar: Braucht Alternativen zu verbotenen Wirkstoffen
Der Obmann der IGP, Christian Stockmar, betonte eingangs den enormen Nutzen von Forschung und Entwicklung: „Sie tragen dazu bei, die landwirtschaftliche Produktion effizienter und schonender zu gestalten und die Kulturpflanzen gesund zu erhalten. Aber die Entwicklung eines Wirkstoffs bis zur Anwendung am Feld dauert 10 bis 13 Jahre. Das gilt auch für Wirkstoffe, die im biologischen Pflanzenbau eingesetzt werden. Daher mahnen wir im agrarpolitischen Diskurs auch stets zur Vorsicht, wenn einseitig Wirkstoffverbote gefordert und durchgesetzt werden, obwohl den Landwirten keine Alternativen zur Verfügung stehen“, so Stockmar.
Von Tiedemann: Risikominimierung ist nur durch Fortschritt möglich
Neben der Erforschung von bodenbürtigen Krankheiten, die auch von der Fruchtfolge und dem Anbausystem beeinflusst werden, widmet sich Andreas von Tiedemann insbesondere neuen Pathogenen an Weizen, Raps und Mais, um deren Wesen, Auswirkungen und Verhalten zu ermitteln. Das ist die Basis für die Entwicklung neuer Pflanzenschutzstrategien und bildet die biologische Grundlage für Prognosesysteme im Pflanzenschutz.
„Pflanzenkrankheiten sind aktuell gut beherrschbar, aber bei Schadinsekten gibt es große Probleme. Ursachen sind ein steigender biologischer Druck, klimatische Faktoren und der Verlust von Pflanzenschutzmitteln durch Verbote und Anwendungseinschränkungen. Von vielen wird nicht verstanden, dass die Kontrolle von Schädlingen für einige wichtige Kulturen wie Raps und Zuckerrübe essenziell ist. Hier gibt es bei der Sortenresistenz kaum Möglichkeiten, um den chemischen Pflanzenschutz zu entlasten. Unsere Kulturpflanzen sind nicht naturgeschaffen und brauchen Schutz. Man muss daher klarstellen, dass eine ausreichende Nahrungsmittelversorgung nur mit Pflanzenschutz möglich ist”, so Von Tiedemann.
Die Landwirtschaft sei deutlich ökologischer als vor 30 Jahren. Sämtliche Forderungen von damals seien umgesetzt und haben zu einer Risikominderung beigetragen. Dass im Green Deal plötzlich quantitative Reduktionsforderungen gestellt werden, verwundert ihn: „Die Risikoreduktion ist in der Vergangenheit nur durch qualitativen Fortschritt passiert, aber nie durch eine pauschale Mengenreduktion.“
Von Tiedemann ist überzeugt: „Das mangelnde Wissen der Menschen über Landwirtschaft wird von vielen missbraucht. Das ist die Achillesferse der Landwirtschaft, denn die Menschen glauben dem, was berichtet wird. Eine sachgerechte Aufklärung der Bevölkerung ist eine Riesenaufgabe. Die Politik entscheidet nämlich entsprechend dem Wählerwillen. Und längst ist nicht mehr wissenschaftliches Wissen Treiber des Fortschritts, sondern die gesellschaftliche Akzeptanz des Fortschritts. Durch das Verbot oder Vermeiden von Fortschritt kommt aber das Risiko der unterdrückten Technologien ins Spiel, also das, was passiert, weil wir Innovationen nicht anwenden.“
Rüegg: Entwicklung von Pflanzenschutzmitteln ist nahezu Quadratur des Kreises
Die Landwirtschaft, die Forschung und der Pflanzenschutz seien heute anders als vor 25 Jahren und werden ganzheitlich betrachtet. Laut Willy Rüegg mache das Sinn, da die Kulturpflanze von unterschiedlichen Seiten einem Risiko ausgesetzt ist. Es gibt die traditionellen Bedrohungen wie Schädlinge, Krankheiten und Beikräuter, hinzu kommen durch den Klimawandel bedingter Trockenheits- und Hitzestress. Zudem werden die agronomischen Ressourcen wie Ackerland, Bodenfruchtbarkeit, Wasser und Nährstoffe global gesehen weniger. „Wir sind permanent auf der Suche nach Quellen für Innovation, unabhängig davon, ob sie biologisch oder chemisch-synthetisch sind. Das ist auch notwendig, denn es gibt viele Organismen und Pathogene, die sich durch steigende Temperaturen auch bis zu uns ausbreiten. Die Entwicklung von Pflanzenschutzmitteln ist heute aber schon nahezu die Quadratur des Kreises: Herausforderungen in der Landwirtschaft sind zu bewältigen, es wird eine starke und spezifische Wirkung verlangt, es gelten hohe Standards und die Produkte dürfen keine Nebenwirkungen haben”, so Rüegg.
Eine neue Substanz mit Potential, egal ob chemisch oder biologisch, werde drei Jahre lang im Detail beforscht, um zu wissen ob sie Potenzial hat und registriert werden kann. Das gilt auch für Biologicals. „Jeder Wirkstoff muss gegen ein Pathogen, Insekt oder Unkraut wirken. Aber alles, was wirkt, kann diese Wirkung auch entfalten und hat dementsprechend einen Impact. Heute nehmen wir in der Forschung bereits früh Rücksicht auf diese Parameter, denn das regulatorische Umfeld ist härter geworden. Daher werden möglichst früh Risiken beispielsweise für Nichtzielorganismen identifiziert, um die Substanzen ausschließen zu können.“ Rüegg betonte weiters: „Technische und wissenschaftliche Argumente sind schwierig zu kommunizieren und erreichen viele Leute nicht mehr. Sie verstehen es noch besser, wenn wir sagen: Dieses Fungizid kontrolliert Fusarium-Pilze, die Mykotoxine produzieren und damit schädlich für Mensch und Tier sein können. Das ist ein Anhaltspunkt für den Dialog mit den Menschen.“
Kantelhardt: Müssen Interessenabgleich mit Gesellschaft ermöglichen
Vor allem aufgrund des technologischen Fortschritts und der gestiegenen Effizienz der landwirtschaftlichen Produktion arbeiten mittlerweile wesentlich weniger Menschen in der Landwirtschaft als noch in den 60er Jahren. Das habe laut Jochen Kantelhardt aber auch zu einer Entfremdung der Gesellschaft von der Landwirtschaft beigetragen. Die Corona-Pandemie habe hingegen dazu geführt, dass die Gesellschaft die Landwirtschaft wieder stärker wahrnimmt. Viele Menschen haben gesehen, dass uns die heimische Landwirtschaft gut durch die Krise geführt hat und dass es schwierig ist, sich ausschließlich auf volatile Weltmärkte zu verlassen. Trotzdem bestehen auch an die Produktion vor Ort hohe gesellschaftliche Anforderungen. In Zukunft sollte der Wissenstransfer verstärkt werden, auch um eine breitere gesellschaftliche Akzeptanz zu erreichen.
„Die Politik setzt gesellschaftliche Anforderungen um, die für Forschung und Landwirtschaft gleichermaßen von Bedeutung sind. Wie die Landwirtschaft 2030 aussehen wird, hängt auch davon ab, wie gut es gelingt, die Gesellschaft in den Dialog einzubinden. Wichtig wird dabei sein, der Gesellschaft ein klares und authentisches Bild der Landwirtschaft zu vermitteln. Auch mit einem solchen Dialog wird es aber sicher nicht gelingen, alle Menschen anzusprechen, aber man kann Distanz und Ängste abbauen”, so Kantelhardt.
Für ihn stellt sich daher die Frage, wie sich Rentabilität und Ökologie vereinen lassen? „Grundsätzlich werden viele der von den Landwirten erbrachten ökologische Leistungen als öffentliche Güter über den Markt nicht entlohnt. Das bedeutet: Wir brauchen den Staat auch zukünftig als Regulator, aber auch entsprechende staatliche Zahlungen zum Ausgleich von Mehraufwendungen. Entscheidend wird zudem sein, dass wir den technologischen Fortschritt so gestalten, dass er Landwirten hilft, gesellschaftliche Anforderungen effizient umzusetzen, ohne die Rentabilität zu verlieren.“
Der agrar- und forstwissenschaftliche Beirat des Ökosozialen Forums will dazu beitragen, dass Ergebnisse der Forschung über geeignete Formate schnell und effizient der Gesellschaft vermittelt und auch stärker in die land- und forstwissenschaftliche Praxis integriert werden. Zudem sei es auch wichtig, den interdisziplinären Austausch zu fördern, denn die heutigen Herausforderungen und Probleme lassen sich im Regelfall nicht ausschließlich innerhalb einer Disziplin lösen. „Daher wurde dieser Beirat ins Leben gerufen, in dem Wissenschaftler, sowie Vertreter von Land- und Forstwirtschaft, Bund und Ländern vertreten sind”, erklärte Kantelhardt.
red. TME