„Es geht mir vieles zu langsam“

Agrarministerin Elisabeth Köstinger wirft sich in Österreich wie auch in der EU für die verpflichtende Herkunftskennzeichnung von Lebensmitteln in die Bresche. Und wird nun zunehmend ungeduldig, was den Gesundheitsminister betrifft.

Ministerin Elisabeth Köstinger im Interview mit der Österr. BauernZeitung FOTO: BMLRT/Paul Gruber

BauernZeitung: Wie gut ist Österreichs Landwirtschaft bisher durch die Corona-Krise gekommen?

Köstinger: Der Absatz von landwirtschaftlichen Produkten war stark vom Lockdown betroffen. Durch die Ausfälle der Gastronomie und des Tourismus sind wichtige Märkte über Nacht weggebrochen. Das hat etwa die Fleischpreise binnen einer Woche um 20 Prozent sinken lassen. Mit 800.000 Euro wurden im Gegenzug sofort Vermarktungsmaßnahmen der ARGE Rind unterstützt. Generell haben wir in dieser schwierigen Situation dafür gesorgt, dass die allgemeinen Unterstützungen für die Bevölkerung und die Wirtschaft auch für die Landwirtschaft gelten. Zum Beispiel der Fixkostenzuschuss, die Investitionsprämie oder auch der Kinderbonus in der Höhe von 360 Euro. Denn die Land- und Forstwirtschaft ist eine Schlüsselbranche, um die Wirtschaft zu beleben.

BauernZeitung: Die Pandemie begleitet uns seit gut einem halben Jahr. Was könnte speziell den Bauern noch an Problemen drohen?

Köstinger: Die Märkte sind massiv unter Druck. Der Tönnies-Skandal in Deutschland hat auch unsere Abhängigkeit etwa von Exporten nach Asien gezeigt. Nach dem Schweinefleisch-Exportstopp aus Deutschland nach China und damit weniger Schlachtungen ist der Preis eingebrochen. Auch Österreich ist von solchen Entwicklungen stets mit betroffen. Gleichzeitig erleben wir ein enorm starkes Bekenntnis der Bevölkerung zur eigenen Landwirtschaft wie nie zuvor. So ist die Direktvermarktung ein großer Gewinner dieser Krise. Während des Shutdowns haben sich viele umgesehen, wo man bei den Bauern online einkaufen kann. Die Netzwerk Kulinarik-Online-Initiative „Frisch zu mir“ ist mit rund 250.000 Nutzern mittlerweile die erfolgreichste Webseite der AMA Marketing. Die Krise hat dazu geführt, dass eigentlich Selbstverständliches wieder mehr wertgeschätzt wird.

BauernZeitung: Deutschland hat derzeit den EU-Ratsvorsitz inne. Sie kommen gerade vom informellen Agrarministertreffen in Koblenz. Welche maßgeblichen Schritte werden von Berlin in Sachen GAP gesetzt?

Köstinger: In Koblenz stand das Tierwohl im Fokus. Um die GAP-Themen geht es erst wieder beim nächsten Rat. Der Austausch war gut, wir Minister hatten ja über Monate hinweg fast nur virtuell untereinander Kontakt. Es kristallisiert sich immer mehr heraus, dass wir in der EU nicht permanent unsere Produktionsstandards erhöhen können, weil das dazu führt, dass dann immer mehr Waren aus Drittstaaten importiert werden. Nun hat sich auch Julia Klöckner (Agrarministerin BRD, Anm.) klar gegen den EU-Mercosur-Pakt ausgesprochen.

BauernZeitung: Ist das geplante Abkommen längst ein „Totes Pferd“, wie einst das TTIP mit den USA?

Köstinger: De facto ja. Ein Erfolg auch für uns, weil wir seit Langem darauf gedrängt haben. Sebastian Kurz hat im Jänner bei seinem ersten Treffen mit EU-Kommissionspräsidentin Von der Leyen klar gemacht, dass es von Österreich keine Zustimmung zu Mercosur geben wird. Unsere Ablehnung dieses Abkommens ist auch im Regierungsprogramm verankert. Das ist auch als klares Bekenntnis der Bundesregierung zu sehen, dass wir hinter den Bauern stehen und um deren Leistungen Bescheid wissen. In der Art und Weise, wie man Mercosur bisher verhandelt hat, ist unglaublich viel falsch gelaufen. Bei diesem geplanten Abkommen nach altem Zuschnitt fehlen viele Schutzmechanismen speziell für die Landwirtschaft. So wie der Pakt derzeit vorliegt, wäre er zum Schaden der Europäischen Landwirtschaft. Handelsabkommen wie dieses können nur ausgewogen und nicht zulasten einer Branche vereinbart werden. Es ist für uns inakzeptabel, daher auch unser klares Nein.

BauernZeitung: Klöckner will in der EU die Tierwohlkennzeichen vorantreiben. Hat sie mit Ihnen eine Mitstreiterin?

Köstinger: Wichtiger wäre die verpflichtende Kennzeichnung der Herkunft von Lebensmitteln. Das sehen mittlerweile auch andere Agrarminister so, was mich sehr freut. Damit kann man auch wenig transparente Lebensmitteltransporte quer durch die Welt sichtbar machen, um sie zu reduzieren. Wenn Konsumenten schnell und einfach erkennen können, wo ein Lebensmittel herkommt, werden sie eher zu heimischen Produkten greifen.

BauernZeitung: Herkunft schließt Tierwohlaspekte nicht aus. Braucht es mittelfristig auch die Abkehr etwa von Spaltenböden? Und im sonst GVO-freien Agrarland Österreich die GVO-freie Fütterung von Schweinen?

Köstinger: Wir haben uns in der Regierung auf eine marktkonforme Weiterentwicklung in Sachen Tierwohl geeinigt. Generell ist Fleisch wie kein anderes Agrarprodukt enormen Dumping-Konditionen ausgeliefert. Bei Geflügel haben wir höchste Tierwohlstandards eingeführt. Das hat dazu geführt, dass unsere Eigenversorgung mit Putenfleisch massiv zurückgegangen ist. Bei den Importen ruft niemand nach Tierwohl. Ein Spaltenbodenverbot macht also nur Sinn, wenn es überall in der EU eingeführt würde. Tierwohl-Forderungen der Konsumenten bilden sich selten auch im Einkaufsverhalten ab. Zur GVO-freien Fütterung hat die Branche viele Initiativen gesetzt. Aber auch da gilt: Es muss von den Konsumenten angenommen, sprich gekauft werden.

BauernZeitung: Klöckner will Lockangebote von Fleisch unter dem Einstandspreis verbieten. Gefällt Ihnen diese Idee?

Köstinger: Man soll darüber diskutieren, auch wie das in der Praxis funktionieren kann. Besser wäre es, wenn die Handelskonzerne, die sich gerne als „Retter der Bauern“ darstellen, diese „Aktionitis“ selbst beenden würden. Derzeit wird ein Großteil vom Frischfleisch über Lockangebote abgesetzt.

BauernZeitung: Im Jänner findet in Österreich das Tierschutz-Volksbegehren statt. Die Initiatoren sehen es auch als ein Zeichen gegen das Bauernsterben. Werden Sie es unterschreiben?

Köstinger: Als Regierungsmitglied unterschreibe ich generell keine Volksbegehren. Das käme einer Selbstaufforderung gleich. Aber ich unterstützte sehr viele Inhalte, speziell die Forderung nach der Herkunftskennzeichnung. Ich habe mich mit einigen der Initiatoren getroffen und – wie ich finde – konstruktiv ausgetauscht. Es gibt ja auch Tierschützer, denen es nicht primär um die Weiterentwicklung des Tierwohls geht, sondern um ein generelles Aus für tierische Erzeugnisse.

BauernZeitung: Sie selbst werfen sich lieber voll für das Thema verpflichtende regionale Lebensmittelkennzeichnung in den Bresche…

Köstinger: Es geht mir vieles zu langsam. Die Kennzeichnungspflicht der Herkunft steht für 2021 auch in unserem Regierungsprogramm. Wir haben aber, was die Umsetzung betrifft, noch immer keinen diesbezüglichen Gesetzesvorschlag. Der Gesundheitsminister ist gefordert, endlich einen solchen vorzulegen. Wir warten sehnsüchtig darauf.

BauernZeitung: Ist Rudolf Anschober vielleicht Corona-bedingt, etwa wegen der „Ampel“-Regelungen und Ähnlichem, in Verzug?

Köstinger: Das glaube ich nicht. Er unterstützt ja auch viele Anliegen der Tierschützer. Er sollte aber auch auf Seite der Bauern stehen und eine klare Herkunftsregelung bringen. Etwas mehr Schnelligkeit in dieser Sache wäre wünschenswert. Mein Ministerium hat bisher gemacht, was es konnte. So wurden unsere Kantinen oder die Ausspeisung an unseren Schulen auf regionale Lebensmittel umgestellt. Und mit dem AMA-Genussregion-Siegel wurde eine bisherige Lücke geschlossen, um in vielen Dörfern am Land im Zusammenspiel von Bauern, Gastronomie und Manufakturen mehr Wertschöpfung zu erzielen.

BauernZeitung: Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz hat nun angekündigt, der Bund werde bei öffentlichen Kantinen vermehrt auf regionale Lebensmittel achten. In den Bundesländern ist das längst der Fall. Wann wird dazu endlich eine erste Bilanz erstellt?

Köstinger: Ich bin an diesem Thema schon seit zwei Jahren dran. 2018 haben wir dafür als Grundlage das „Bestbieter statt Billigstbieter“-Prinzip geschaffen. Es wird nun Schritt für Schritt umgesetzt, nun auch mit dem Innenminister für die Polizei. Viele öffentliche Beschaffungsverträge wurden aber oft über zwei bis drei Jahre abgeschlossen. Diese werden erst langsam durch Neuausschreibungen ersetzt. Auch die bäuerlichen Anbieter müssen sich oft erst auf die größer werdende Nachfrage einstellen. Also auch die Landwirtschaft selbst muss sich teilweise neu oder besser organisieren, um mit ihren Produkten die öffentliche Beschaffung ausreichend bedienen zu können.

BauernZeitung: Wie gut wirkt eigentlich Ihre Vereinbarung mit den Handelsketten betreffend freiwilliger Selbstverpflichtung zu einem fairen Umgang mit landwirtschaftlichen Lieferanten?

Köstinger: Teils, teils. Es gibt nach wie vor Probleme. Zum Beispiel, wenn sich Österreichs größte Handelskette immer wieder herausnimmt, im Milchbereich mit Dumpingangeboten ihre betont rotweißrote und auch regionale Werbelinie zu konterkarieren. In den Regalen schaut es oft anders aus. Auch bei Fleisch oder Gemüse höre ich von vielen Bauern, dass es den ungleichen Kampf David gegen Goliath weiterhin gibt.

BauernZeitung: Angesichts der jüngsten Debatten um den Wolf: Warum verhalten sich die Experten des zu Ihrem Ministerium gehörenden Wolfzentrums in dieser Sache so still?

Köstinger: Für mich ist der Wolf ein Raubtier. Unsere Almwirtschaft hat keine Zukunft, wenn sich die Wölfe weiterhin in der gleichen Geschwindigkeit ausbreiten wie bisher. Ich erwarte mir hier mehr Ehrlichkeit. Man kann nicht gegen eine immer intensivere Tierhaltung sein und gleichzeitig die Bauern mit sehr extensiver Weidehaltung im Berggebiet durch den uneingeschränkten Wolfsschutz in ihrer Existenz bedrohen. Im Wolfszentrum in Raumberg-Gumpenstein werden die Länderinteressen koordiniert. Die Betroffenheit ist nicht überall gleich groß. Gleichzeitig ist der Naturschutz Ländersache, auch die Entnahme von Problemwölfen.

BauernZeitung: Auffallend still ist es ebenso, was die Umsetzung der EU-Bioverordnung in Sachen Weidehaltung betrifft. Lässt sich Brüssel in Sachen Härtefälle noch erweichen?

Köstinger: Nicht alle Biobauern in Österreich können ihren Tieren aufgrund der spezifischen Lage ihrer Höfe einfach eine permanente Weide ermöglichen. Wo Weide möglich ist, wird es passieren. Aber wir werden um Ausnahmen nicht umhinkommen. Nur will sich die EU-Kommission überhaupt nicht bewegen. Dafür fehlt mir jegliches Verständnis. Einerseits will man in jedem Mitgliedsstaat 25 Prozent Biolandwirtschaft, andererseits wird verhindert, dass Bauern weiterhin biologisch produzieren können. Ich gebe aber nicht auf und bin bereit, mich dieser Auseinandersetzung zu stellen.

BauernZeitung: Der frühere EU-Agrarkommissar Phil Hogan ist als Handelskommissar jüngst zurückgetreten, weil er in Corona-Zeiten zu wenig Abstand gehalten hat. Wie sorgen Sie als Politikerin vor, dass so etwas nicht passiert?

Köstinger: Irland hat anders als Österreich massive Restriktionen. Natürlich achte ich auf Abstand, wenn nötig mit Mund-Nasen-Schutz und Desinfektion. Aber wir brauchen nach Monaten unter Corona-Bedingungen mit viel Distanz wieder ein Stückchen Normalität zurück. Ich bin zwei bis drei Tage pro Woche im ganzen Land unterwegs. Das direkte Gespräch auch mit vielen Bäuerinnen und Bauern kann man nicht durch Telefonate oder Konferenzschaltungen ersetzten. Trotzdem sind übertriebene Hysterie oder gar Schuldzuweisungen fehl am Platz. Niemand ist davor gefeit, sich anzustecken.

BauernZeitung: Stichwort „Agrarpolitischer Herbstauftakt“: Heuer gibt es keine Bauerntage auf Messen, kein Erntedankfest. Haben Sie dennoch ein Thema, das Sie unbedingt aufs Tapet bringen möchten?

Köstinger: Ja. Unsere Initiative „Das isst Österreich“. Damit noch mehr Menschen auf die Herkunft unserer Lebensmittel achten. Dazu gibt es im ORF bald eine eigene Kochsendung mit der Moderatorin Silvia Schneider und Produkten aus vielen Genussregionen. Wir haben es erstmals geschafft, alle Kräfte zu bündeln, und alle agrarischen Organisation von der AMA-Marketing über die Landwirtschaftskammern, die Länder, aber auch die Landjugend werden bei der Initiative eine wichtige Rolle spielen.

BauernZeitung: Der NÖ. Bauernbund fordert, die Selbstversorgung mit Lebensmitteln als Staatsziel in der Verfassung zu verankern. Ist das realistisch, sogar unter der jetzigen Regierung?

Köstinger: Es spricht nichts dagegen. Ich werde das gerne verstärken.

BauernZeitung: Befürchten Sie Vorbehalte, gar Einspruch vom Verfassungsdienst wie im Falle der Corona-Gesundheitsverordnungen?

Köstinger: Es gab dazu bereits Gespräche mit der zuständigen Verfassungsministerin Karoline Edtstadler. Daher gehe ich davon aus, dass es rechtliche Möglichkeiten geben wird.

Interview: BERNHARD WEBER

- Werbung -
Vorheriger ArtikelSaatbau Linz trotzt der Corona-Krise
Nächster ArtikelStrasser/Radatz: „Qualität statt Masse – eine Strategie im Aufwind“