“Die EU macht ihre Bauern zu Buchhaltern”

Die Industriegruppe Pflanzenschutz holte sich für ihren Einsatz für einen praktikablen Rechtsrahmen beim Pflanzenschutz argumentative Schützenhilfe bei Hans Hoogeveen, dem Vorsitzenden des Rates der FAO. Hoogeveen sprach Klartext zur Verantwortung der EU für die globale Ernährungssicherung.

IGP-Dialog mit Hermann Bürstmayr, Christian Stockmar, Hans Hoogeveen, Thomas Resl und David Süß.

Landwirte sollen Unternehmer sein, sie brauchen Raum zum arbeiten. Die Europäische Union macht ihre Bauern zu Buchhaltern!“ Der aus den Niederlanden stammende Hans Hoogeveen, unabhängiger Vorsitzender des Rates der Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) nahm sich bei seinem Vortrag beim jüngsten IGP-Dialog kein Blatt vor dem Mund. Zum Tagungsthema „Grünes Europa, hungrige Welt – Regulieren wir uns die Teller leer?“ öffnete der FAO-Vorsitzende den Blick auf die weltweiten Zusammenhänge der Versorgung mit Lebensmitteln.

EU-Pläne verursachen weltweite Unsicherheit

Mit dem „Green Deal“ sieht Hoogeveen die EU auf dem Weg zu einer „Festung in der Welt“. Das Vorhaben vermindere die Produktion in der EU und damit das weltweite Angebot an Agrargütern. Weil die EU in Zukunft auch mehr Importe benötige, führe dies zu mehr Handelsverzerrungen und mache die weltweite Nahrungsmittelversorgung unsicher.
Aus der globalen Perspektive wäre es wichtiger, die Bauern in armen Ländern stärker zu unterstützen. Dies würde die Ernährungssituation verbessern und die Migration eindämmen.
Die EU sollte darauf achten, die Einkommen der eigenen Landwirte zu schützen. Wenn man Veränderungen plane, dann sollte man die Landwirte auch einbeziehen. Die schrecklichen Ereignisse in den Niederlanden hätten gezeigt, was geschieht, wenn man mit den Bauern nicht redet und sie nicht in neue Entwicklungen einbezieht.
Er persönlich sei stolz darauf, wie Europas Landwirte das bestehende Ernährungssystem aufgebaut haben und dass Landwirte auch noch die Betriebe übernehmen und weiterführen. Es sei Aufgabe der Politik, den Bauern einen Rahmen zur Entwicklung zu geben.

Süß: „Die kritische Infrastruktur sichern“

Zu den drängendsten Herausforderungen der Bauern in Österreich zählte David Süß, Direktor des Österreichischen Bauernbundes, die ausreichende Bereitstellung von Betriebsmitteln. Pflanzenschutzmittel und Dünger seien kritische Bereiche, in denen es gilt, die Versorgung sicherzustellen. Es so doch naheliegend, dass die Bauern die kostspieligen Betriebsmittel effizient einsetzen wollen. Aus dieser Perspektive sei der Green Deal der EU-Kommission hoffnungslos überholt. Die Pläne der Kommission brauchen eine Nachschärfung im Lichte des Ukraine-Krieges, so der Bauernbunddirektor. Gerade die vorherrschende inflationäre Entwicklung fordere die Politik heraus, dämpfend auf die Preisentwicklung zu wirken. Der Green Deal verschärfe die Situation statt sie zu mildern. Auf politischer Ebene arbeite man daran, Allianzen zu schmieden, um weiterhin die Versorgung zu angemessenen Preisen zu sichern. Einen klaren Befund zu den Folgewirkungen des Green Deal gab auch Thomas Resl, Leiter der Bundesanstalt für Agrarwirtschaft, ab.

Resl: „In Summe steigt der Klimaschaden“

Auf Grund des bereits mehrfach übereinstimmend kalkulierten Produktionsrückganges in der EU von durchschnittlich rund zehn Prozent wird die EU mehr Agrargüter importieren. Resl: „Mit unserem Geld ziehen wir die Produkte anderswo ab.“ In der Gesamtwirkung führe dies zu einem zunehmenden Klimaschaden. Im Lichte der Ukraine-Krise und der bereits mehr als verdoppelten Getreidepreise sollte die EU-Kommission ihre Vorhaben ändern.

Seitens der Pflanzenzüchtung stellte der Pflanzengenetiker Hermann Bürstmayr, Boku Wien, fest, dass die Züchtung langfristig weiter große Vorteile bringen könne. Die kurzfristigen Folgewirkungen des Green Deal seien aber auch mit den besten neuen Sorten nicht abzufedern.

Sensible Gebiete – die EU-Kommission beginnt, zurückzurudern
Die EU-Kommission ist anscheindend bereit, ihre Vorschläge zum Verbot von Pflanzenschutzmitteln in „sensiblen“ Gebieten zu entschärfen. Dies geht aus einem Diskussionspapier der Behörde an den EU-Rat hervor. Anstelle eines Totalverbotes könnten in sensiblen Gebieten demnach folgende Präparate erlaubt bleiben:
• Pflanzenschutzmittel mit niedrigem Risiko und
• biologische Präparate.
Die Kommission will damit auch meist nicht vorhandene Alternativen zum chemischen Pflanzenschutz ankurbeln. Auch die Vorschriften für den Pflanzenschutz im Bioanbau könnten künftig für die „sensiblen“ Gebiete gelten, wobei Notfallzulassungen ausgenommen bleiben sollen. Kompromissbereitschaft zeigt die EU-Kommission auch bei den vorgesehenen Ausnahmen, um invasive Arten und Quarantäneschädlinge zu bekämpfen.
Anlass für das Vorgehen der Kommission dürfte sein, dass der Vorschlag zum nachhaltigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (Sustainable Use Regulation, SUR) nach Meinung der EU-Länder nicht zielführend ist. Aus Sicht der EU-Kommission sei die Änderung möglich, ohne das gesamte Vorhaben zu schwächen.
Seitens der Bauernverbände zeigt man sich in ersten Reaktionen unverändert kritisch, besser wäre es, die Kommission würde den SUR-Vorschlag komplett neu aufsetzen, meinen Bauernvertreter. Seitens der Grünen im EU-Parlament hält man den Vorgang jedoch für „irritierend“, weil die Kommission am EU-Parlament vorbei eine neue Verhandlungsebene eröffnet habe.

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  • 221116 001w KatharinaSchiffl 6808: IGP/Katharina Schiffl
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AUTORH.M.
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