Herr Bauernbundobmann LHStv. Josef Geisler, Der anhaltend niedrige Milchpreis ist für viele bäuerliche Betriebe existenzbedrohend. Was tut die Politik?
Geisler: Zinsfreistellung des Landeskulturfonds für Milchviehbetriebe für das Jahr 2016, Ratenstundung und Laufzeitverlängerung von AIK-Krediten, Befreiung von Sozialversicherungsbeiträgen im vierten Quartal und nun auch EU-Gelder für einen freiwilligen Lieferverzicht: Die Summe aller Sofortmaßnahmen zur Überbrückung der Krise kann sich sehen lassen. Aber die Politik kann Marktmechanismen nicht ausschalten. So realistisch müssen wir selbst und auch die Bäuerinnen und Bauern sein. Wir haben Marktwirtschaft, keine Planwirtschaft.
Es gibt auch Kritik an den geplanten Zahlungen für nicht gelieferte Milch. Wie stehen Sie dazu?
Geisler: Die Milchmenge über einen freiwilligen Lieferverzicht zu drosseln, ist der richtige Ansatz. Die in Aussicht gestellten Zahlungen von EU und Bund bieten einen Anreiz. In den nächsten Wochen muss ausgearbeitet werden, wie das in der Praxis ablaufen kann. Und eines sollten wir auch nicht vergessen: Die Tiroler Bauern sind an der Überproduktion in Europa nicht schuld.
Die Vermarktung heimischer Lebensmittel in der Region ist seit langem ein Schwerpunkt. Gibt es noch Potenzial?
Geisler: Seit Jahren trommeln wir Regionalität nicht nur, sondern bringen mit dem AMT-Erfolgsprojekt “Bewusst Tirol” auch viel weiter. Das Ende der Fahnenstange ist gerade im Tourismus noch nicht erreicht. Wenn wir den Schulterschluss von Tourismus und Landwirtschaft flächendeckend leben wollen, braucht es auch die Eigenverantwortung der handelnden Personen in den Regionen. Der Ruf nach der Politik ist hier zu wenig, wenngleich das Land Vorhaben tatkräftig unterstützt. Initiativen werden vor allem dann erfolgreich sein, wenn sie vor Ort entstehen. Dabei sollten wir seitens der Landwirtschaft bestehende Strukturen wie die Regionalmanagements stärker nutzen.
Wo sehen Sie die mittel- und langfristigen Perspektiven für die Tiroler Landwirtschaft?
Geisler: Von den 269 Millionen Kilogramm angelieferter Milch waren im Jahr 2015 57 Prozent Standard- und 43 Prozent Spezialmilch. Die Hälfte der Tiroler Milchbetriebe produziert bereits Spezialmilchsorten. Die Produzent/-innen von Spezialmilchsorten haben bessere Preise und schlagkräftige Verarbeitungsbetriebe als Abnehmer. Mehr als ein Fünftel der Tiroler Milch wird in Kleinsennereien verarbeitet. Die Sennereien investieren 2015/16 13 Millionen Euro. Das Land Tirol unterstützt diese Zukunftsinvestitionen mit bis zu 20 Prozent. Einen neuen Impuls für den Absatz regionaler Produkte wird die Käseschneide- und Verpackungsanlage bringen.
Bedeutet das, die Milchproduktion soll in großem Stil umgestellt werden?
Geisler: Jeder Betrieb muss sich überlegen, mit welchem unternehmerischen Konzept er in die Zukunft geht. Patentrezepte gibt es keine. Eine Änderung der Wirtschaftsweise ist ja auch mit Investitionen verbunden. Basis muss jedenfalls ein realistisches und belastbares Betriebskonzept sein. Dabei muss man sich auch selbstkritisch fragen: Passen Viehbestand und Eigenflächenausstattung zusammen? Gibt es günstigere Lösungen beim Stallbau? Lässt sich bei der Mechanisierung noch etwas einsparen? Ist die Fleischproduktion, die Schaf- oder Ziegenhaltung möglicherweise eine Alternative? Derzeit importieren wir ja Schaf- und Ziegenmilch aus anderen Bundesländern.
Erwerbskombination und Diversifizierung
In den vergangenen Tagen wurde oft so getan, als hätten Agrarpolitik und Interessenvertretung in den letzten Jahren geschlafen. Das stimmt nicht! Seit Jahren stellen wir in der Strategie, in der Beratung und in der Förderung die Weichen in Richtung Erwerbskombinationen sowie Diversifizierung und Professionalisierung der Landwirtschaft. Viele Bäuerinnen und Bauern sind in Spezialsegmenten tätig. Die Mehrzahl der bäuerlichen Familien in Tirol hat bereits mehrere Standbeine. Diesen Weg werden wir konsequent weitergehen. Klar ist aber auch: Auf den Almen wächst kein Salat. Wir brauchen eine gewisse Anzahl von Tieren, um die flächendeckende Bewirtschaftung und die Bestoßung der Almen aufrechterhalten zu können.
Damit sind wir beim nächsten Thema, den Almen.
Geisler: Für die Strafzahlungen bei den Almfutterflächen haben wir mit Hilfe von Bundesminister Andrä Rupprechter eine tragbare Lösung gefunden. Besonders ärgerlich ist, dass nach einer Vor-Ort-Kontrolle der AMA getroffene Flächenfeststellungen im Folgejahr wieder infrage gestellt wurden. Da haben wir vergangene Woche in Wien vereinbart: Es gilt die Flächenfeststellung nach der Vor-Ort-Kontrolle. Für die Mehrfachanträge 2017 ist vereinbart, dass die aktualisierten Referenzflächen rechtzeitig vor der Antragstellung feststehen sollen.
Weite Teile Tirols waren in den letzten Wochen von schweren Unwettern betroffen. Welche Hilfe gibt es für die Betroffenen?
Geisler: Trotz der zahlreichen Ereignisse ist kein Mensch zu Schaden gekommen. Die materiellen Schäden sind beträchtlich, aber bewältigbar. Für die notwendige Wiederherstellung von Schutzbauten werden Land und Bund die erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen. Mein Dank gilt allen Einsatzkräften, vor allem den Feuerwehren, die im Dauereinsatz waren und hervorragende Arbeit geleistet haben. Über 300 Feuerwehreinsätze gab es allein am 10. und 11. Juli. Die steigende Zahl der Extremereignisse ist auch Auftrag, beim Hochwasserschutz für das Unterinntal weiterzumachen. Die Gefahr ist da. Die Planungen für die Schutzmaßnahmen werden zunehmend konkreter und wir können Schritt für Schritt die Grundeigentümer informieren.