BauernZeitung: Es sind nur noch zweieinhalb Wochen bis zur EU-Wahl. Sie sind derzeit wahlwerbend quer durch Österreich unterwegs. Wie anstrengend war der Wahlkampf bisher?
Bernhuber: Ich war in ganz Österreich unterwegs und habe sehr viele bäu-erliche Betriebe und Veranstaltungen besucht, teils gemeinsam mit der JVP. Dabei konnte ich viele interessante Gespräche führen und neue Kontakte knüpfen. Das ist für mich enorm motivierend. Also keine Angst, Ermüdungserscheinungen sind noch nicht eingetreten.
Mit welchen EU-Themen wurden Sie speziell von den Bäuerinnen und Bauern konfrontiert?
Das ist sehr verschieden. Natürlich gibt es überall unterschiedliche Probleme. Speziell im Westen und Süden, also in Tirol, Vorarlberg, Salzburg, der Steiermark oder Kärnten, ging es oft um den Wolf. Den Bäuerinnen und Bauern ist wichtig, dass die Absenkung des Schutzstatus von Wölfen rasch gelingt, was wir auch massiv fordern. Im Osten geht es mehr um die Agrarimporte aus der Ukraine und dass es generell noch strengere Regelungen für Einfuhren speziell aus Drittstaaten und damit auch aus Übersee braucht. Welche Standards gelten für importierte Produkte, wenn wir in Österreich zu besonders hohen Standards produzieren? Da gibt es in vielen Bereichen ein Ungleichgewicht mit berechtigter Kritik. Und da gehört auf EU-Ebene etwas gemacht.
Wie lautet Ihre bisherige Bilanz nach fünf Jahren als EU-Abgeordneter im EU-Parlament in Straßburg und Brüssel?
Ich muss voraussschicken, dass es zuletzt im EU-Parlament eine linke Mehrheit gegeben hat. Trotzdem haben wir es mehrfach geschafft, bei Themen, die speziell die Landwirte betreffen und wo es vor Abstimmungen oft Spitz auf Knopf gestanden ist, einiges zu erreichen. Etwa wenn es um die Rettung der Biomasse gegangen ist, damit diese weiterhin grün bleibt, oder um die umstrittene Pflanzenschutzmittelverordnung, die wir bekanntlich gekippt haben. Oder als wir heuer die Herkunftskennzeichnung für Honig durchgesetzt haben. Für mich ein nicht unwesentlicher Schritt.
Bernhuber: „Wir haben es in Abstimmungen auch bei Stand Spitz auf Knopf mehrfach geschafft, für die Bauern einiges zu erreichen .“
Was macht die EU-Wahl diesmal für EU-Bürger und im Speziellen für die Landwirte besonders bedeutend?
Uns ist glaube ich viel zu wenig bewusst, wo uns die Beschlüsse der Europäischen Union überall betreffen, speziell im Agrarbreich. Gleichzeitig wird oft einfach darauf vergessen, dass die EU in den vergangenen Jahren oder auch Jahrzehnten viele Errungenschaften gebracht hat, und ich meine da nicht nur die wirklich ganz großen Themen wie Frieden oder Wohlstand dank des gemeinsamen Marktes. Da sollte man sich immer wieder das Positive vor Augen führen. Etwa die Reisefreiheit ohne zeitraubende Grenzkontrollen, wenn wir ins benachbarte Ausland fahren, dass wir nach der Abschaffung der Roaming-Gebühren günstig EU-weit telefonieren oder dass man über die Grenzen hinweg im EU-Ausland arbeiten oder seine Dienstleistungen anbieten oder auch beziehen kann. Vieles also, das in der Vergangenheit so nicht gegangen ist. Dabei darf man aber auch nicht unter den Tisch fallen lassen, dass sich die EU teils zu viel im Klein-Klein verloren hat. Dafür hat wohl jeder Beispiele parat. Der LEADER-Obmann, der sich bei der Projektabrechung darüber ärgert, weil er sich durch immer neue Bürokratie oft wirklich gefrotzelt fühlt bis aufs Letzte. Oder man beim Kauf einer Flasche Wasser neuerdings die Plastikverschraubung herunterreißen muss, weil man glaubt, man macht die (Um-)Welt mit den neuen Verschlüssen besser. Jeder findet wenn er will jeden Tag einen Grund, wo er sich denkt, warum regelt das die Europäische Union? Also müssen wir aufhören, uns in oft fragwürdigen Details zu verrennen.
Die Österreicher gelten als besonders EU-skeptisch. Was sind die Gründe dafür und wie soll man dem gegensteuern?
Einerseits weil wie gesagt oft der Blick auf das große Ganze verloren gegangen ist. Eine Rolle spielt wohl auch die mediale Berichterstattung über EU-Themen. Da werden oft Skandale aufgegriffen, hinter denen sich meist nur kleine Aufreger verbergen. Das führt zu einer Ablehnung der sogenannten „Technokraten“ in Brüssel und Straßburg. Gleichzeitig werden wegweisende Beschlüsse, die wirklich etwas weiterbringen, oft unter den Tisch gekehrt.
Die EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen ist mit einigen Vorhaben – Stichwort Green Deal – vielen auch in der EVP zu ambitioniert. Gleichzeitig gibt es den Klimawandel und die Notwendigkeit, fossile Energien zurückzudrängen, um die Abhängigkeit von Autokratien bei Öl und Gas zu reduzieren. Wie stehen denn Sie zum Green Deal der Kommission?
An sich ist dieser zu begrüßen. Nur geht dessen Entwurf auf 2019 und damit auf die Zeit vor den multiplen Krisen wie der Corona-Pandemie ab 2020 oder seit 2022 dem Ukraine-Krieg zurück. Die Lage nicht nur in Europa hat sich seither massiv verändert. Allerdings wurde der Green Deal nicht daran angepasst. Und Ursula von der Leyen hat speziell bei Themen, welche die Landwirtschaft und die Umwelt betreffen, ihrem mittlerweile ehemaligen Kollegen Frans Timmermans das Spielfeld überlassen. Das sehe ich schon sehr kritisch. Wenn sie weiter Kommissionspräsidentin bleiben will, braucht es hier von ihrer Seite einen spürbaren Kurswechsel. Am besten noch in den nächsten Wochen. Sonst kann ich mir nur schwer vorstellen, dass sie für den Green Deal eine Mehrheit im Parlament finden wird und sie auch von meiner Seite Unterstützung erhält.
Nach Bauernprotesten quer durch Europa hat man jüngst auch in Brüssel der Lockerung von agrarischen Auflagen zugestimmt. Welches Gewicht haben also Stimmen der Landwirte – auch Ihre – in der EU?
Agrarpolitische Entscheidungen haben in der EU seit jeher große Relevanz. Allerdings merkt man schon, dass bei solchen Themen etwa auch in den Ausschüssen des Parlaments immer häufiger umweltfokussierte Personen über agrarische Themen diskutieren und die Fachargumente der Agrarier oft links liegen gelassen werden. Durch die Proteste von Bauern in ganz Europa sind Agrarthemen wieder an die Spitze gerückt und auch
intensiv im Parlament diskutiert worden, was zu begrüßen ist. Nur sollte man schon genau hinschauen: Wer hat bisher stets die Anliegen der Landwirte vertreten und wer spielt sich erst sehr plötzlich als Bauernvertreter auf? Von vielen hat man – wenn überhaupt – jahrelang nichts gehört.
Bernhuber: „Man sollte schon genau hinschauen: Wer hat bisher stets die Anliegen der Landwirte vertreten und wer spielt sich plötzlich nur auf?“
Welche großen Aufgaben kommen bis 2029 auf das EU-Parlament zu?
Relativ schnell nach der Europawahl werden die Verhandlungen für die nächste GAP-Periode starten. Dabei muss es wirklich darum gehen, dass das System nach ohnehin erfolgten Anpassungen dieser Tage nicht wieder komplett umgedreht wird. Aber es braucht Nachbesserungen. Für Importe braucht es faire, vernünftige Regelungen und es braucht ein EU-Agrarbudget, das wie in Österreich an die Inflation angepasst wird. Wichtige Themen werden auch der weitere Umgang mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und generell die Regelung des Handels mit aller Welt sein. Dabei müssen Vorschriften, die wir uns selbst auferlegen, auch für Importe geltend gemacht werden. Sonst macht sich die EU-Politik unglaubwürdig.
Mit seinem Zehn-Punkte-Programm will der Bauernbund „die Landwirtschaft für Frauen attraktiver machen“. Konkret womit?
Ich glaube es braucht hier sicher mehrere Maßnahmen, wie etwa mehr Offenheit für Quereinsteigerinnen in die Landwirtschaft. Unsere Bäuerinnen leben das bereits toll vor, auch mit Ausbildungsprogrammen wie „ZAMm unterwegs“. Generell geht es fast mehr national als europäisch um vernünftige Karenzregelungen, faire Familien- und Pensionsleistungen oder die Attraktivierung des Arbeitsplatzes Bauernhof.
Mit welchen Argumenten gehen Sie konkret auf junge Mitbürger zu, damit diese am 9. Juni bei der EU-Wahl ihre Stimme abgeben?
Viele besonders der jüngeren Generation sehen einiges schon als selbstverständlich an, was es beileibe nicht ist: offene Grenzen oder beinahe 80 Jahre Frieden auf unserem Kontinent. Dabei fallen wenige Kilo-meter hinter Polen oder Rumänien die Bomben. Wir müssen alles daran setzen, dass wir dieses Friedensprojekt EU nicht verlieren, auch wenn wir nicht für jedes Problem rasch eine Lösung haben. Wer sagt, ihm oder ihr sei die Europäische Union egal, dem ist viel zu wenig bewusst, wie sehr die EU jeden Tag sein oder ihr Leben beeinflusst.
Sie appellieren ja immer wieder auch, dass sich junge Österreicher für EU-Jobs bewerben sollen.
Ja natürlich! Österreich ist eher unterrepräsentiert, nicht nur in der Kommission, auch in anderen EU-Behörden oder Verbänden. Ich versuche stets zu motivieren, vielleicht beginnend mit einem Praktikum für ein paar Jahre in Brüssel beruflich Fuß zu fassen. Es wäre extrem wichtig, dass wir viele gute Kontakte zu denjenigen haben, die unsere Gesetze vorbereiten und schreiben.
Welches persönliche Erlebnis aus dem Wahlkampf stimmt Sie für den 9. Juni optimistisch?
Dass mich etwa auch Österreichs vor nunmehr 30 Jahren erste Bäuerin im EU-Parlament, Agnes Schierhuber (ab 1995 bis 2009, Anmerkung der Redaktion), unterstützt. Und natürlich die vielen Treffen mit sehr motivierten jungen Bäuerinnen oder Bauern, die nicht auf Anti-EU-Stimmung in den sozialen Medien hören, sondern einfach innovativ sind, positiv denken, etwas ausprobiert oder für sich und ihre Höfe eine Nische funden haben. Da waren echt einige Lichtblicke darunter.
Zur Person
DI Alexander Bernhuber, 32, ist seit 2019 Abgeordneter im EU-Parlament. Der Landwirt aus Kilb, Niederösterreich, kandidiert bei der EU-Wahl am 9. Juni für den ÖVP-Bauernbund.
- Bildquellen -
- Weber im Interview mit Bernhuber: Stockinger/BauernZeitung