Angst vor Dreschern

Kommentar von Bernhard Weber,
Chefredakteur.

Irgendwann ist die Stimmung gekippt. Fast 550 Tage nach Beginn des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine ist es mit dem anfänglichen Entsetzen darüber, mit dem Mitleid für die Zivilbevölkerung oder Flüchtlinge, immer öfter auch mit der Solidarität für die weiterführend Betroffenen der Kriegswirren in aller Welt offenbar vorbei. Dabei ist für viele in Nordafrika, im Mittleren Osten ihr täglich Brot durch das Ausbleiben des Getreides aus dem Schwarzmeerraum längst unleistbar geworden.
In Europa wurden die von der EU initiierten Solidaritätskorridore für Getreide oder Mais (gut gemeint, aber dramatisch schlecht umgesetzt) zum Fiasko. Die wenigsten LKW- oder Bahncontainer aus der Ukraine fanden den Weg bis zu den Häfen für den Weitertransport. Dem Vernehmen nach nicht einmal die Ladung des ersten ÖBB-Railcargo-Güterzuges, der im Mai 2022 nach Österreich gerollt war.
Während mehr und mehr Agrargüter offenbar ab Rampe zwischen Debrecen und Posen bis Frankreich oder Spanien günstig verscherbelt werden, flossen mehr als 100 Millionen Euro nach Polen, Ungarn, die Slowakei oder Rumänien, um dort Bauern für den Preisverfall ihres Getreides zu entschädigen. Weit weniger Geld wäre wohl weit besser in digitale Logistik-Lösungen investiert worden. Mittels GPS-Tracking lassen sich zwar Millionen Reisekoffer auf Flugreisen nachverfolgen, aber offenbar keine plombierten Transit-Getreidefuhren. Ob es auch Krisengewinner in Österreich gibt, darüber wird noch kaum geredet. Dass hierzulande mit Mähdreschern bebilderte Ukraine-Berichte heute mehr Sorge und Angst verbreiten als dort rollende Panzer lässt indes tief blicken.

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