Die BauernZeitung hat bei EU-Abgeordneter Simone Schmiedtbauer nachgefragt, ob es nach der Corona-Krise noch eine Europäische Union geben wird.
Interview: Eva Zitz
BauernZeitung: Die EU steht angesichts der Corona-Krise mehr denn je auf dem Prüfstand. Bis jetzt fällt sie allerdings in vielen Bereichen durch. Wie bewerten sie den allgemeinen Zusammenhalt der EU in der Krise?
Schmiedtbauer: Uns wurde das Ausmaß dieser Krise bei unserer letzten EVP-Fraktionssitzung vor drei Wochen bewusst. Manfred Weber, Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei, hat uns die Positionen der Experten europaweit mitgeteilt. Dann ging es Schlag auf Schlag. Wirklich emotional war die erste Fraktionssitzung, die wir via Videokonferenz hatten. Kollegen erzählten davon, wie die Situation in ihren Heimatländern ist und konnten dabei oft die ihre Tränen nicht zurückhalten, angesichts der vielen Toten in ihrem Land. Das war sehr ergreifend. Deutsche Abgeordnete erzählten etwa auch, dass in ihrem Land zu spät reagiert worden sei. Dementsprechend kam das Lob, wie schnell und gut Österreich reagiert habe. Einige Schritte der EU kamen anfangs vielleicht zu langsam, aber auch in der Politik sind Menschen am Werk. Und Menschen brauchen einfach Zeit, um sich auf neue Situationen einzustellen. Ein so großer Apparat wie die EU braucht länger als ein einzelner Staat, um zu reagieren. Das ist insofern verständlich, als dass man auch keine Fehler machen will. Der Zusammenhalt und das Verständnis füreinander sind jedenfalls sehr intensiv. Man kann diese Krise nur gemeinsam lösen. Das hat eben seine Zeit gebraucht.
Dennoch hatte man das Gefühl, dass Italien lange alleine gelassen wurde. Hilfe kam nicht etwa aus der EU, sondern aus China oder Russland, mit Medikamenten und Virusexperten. Wie konnte das passieren?
Schmiedtbauer: Die EU hat geholfen, es hat aber gedauert. Wir müssen daraus lernen und besser werden. Andere Staaten waren vielleicht besser vorbereitet, was Schutzkleidung und Masken betrifft. Ich habe schon immer eingemahnt, dass wir in Europa selbstständig agieren können müssen, auch was die Lebensmittelsicherheit betrifft. Wir müssen versuchen, uns so wenig wie möglich von anderen Staaten abhängig zu machen. Das ist das wichtigste.
“Wir sind es gewöhnt, alles rund um die Uhr zu bekommen. Ich hoffe, dass die Menschen jetzt umdenken und mehr darüber nachdenken, wie wichtig die Bauern vor Ort sind.”
Ich kann mich an die letzte Fraktionssitzung erinnern, in der Manfred Weber genau das angesprochen hat. Ich habe damals daraufhin gewiesen, dass wir Masken und Schutzkleidung brauchen, aber das wichtigste die Lebensmittelversorgung ist. Wir müssen diese Versorgung sicherstellen können. Einige Kollegen haben daraufhin gelacht, nach dem Motto: ‚ Abgeordnete Schmiedtbauer will mehr Geld für die GAP’. Ich habe entgegnet: ‚Wenn diese Krise vorüber ist, dann werdet ihr alle mehr Geld für die GAP wollen.’ Dann herrschte Stille. Wir sind es gewöhnt, alles rund um die Uhr zu bekommen. Ich hoffe, dass die Menschen jetzt umdenken und mehr darüber nachdenken, wie wichtig die Bauern vor Ort sind. Ich merke auch, dass die Bauernmärkte gerade sehr beliebt sind und dass sich die Kunden bei den Bauern bedanken und sich freuen, dass sie da sind und Lebensmittel verkaufen. Das ist wiederum schön, weil es wertschätzend ist.
Zur Lebensmittelproduktion in Österreich sei gesagt, dass sie in vielen Bereichen von ausländischen Arbeitskräften und Importen abhängig ist. Die Personenfreizügigkeit gilt als das Aushängeschild der Union. Die Grenzen sind nun aber vielerorts dicht. Die Kommission forderte die Mitgliedstaaten dazu auf, systemrelevante Arbeitskräfte reisen zu lassen. Wie soll das Grenzmanagement weitergehen?
Schmiedtbauer: Es ist für mich nachvollziehbar, dass die Grenzen kontrolliert oder geschlossen werden, weil es darum geht, die Ansteckungen einzudämmen. Allerdings brauchen wir Saisonarbeiter und Pflegekräfte aus dem Ausland. Wir haben diesbezüglich regelmäßig Konferenzen mit Europaministerin Karoline Edtstadler, die mit Innenminister Karl Nehammer und Außenminister Alexander Schallenberg mit Hochdruck daran arbeitet, diese Personenfreizügigkeit sicherzustellen. Die Kommission hat dafür Leitlinien erarbeitet, die es zu unterstützen gilt, schließlich brauchen wir diese Arbeitskräfte. Die anderen Mitgliedsstaaten sind, was die Arbeitskräftevermittlung angeht, noch weit hinterher. In Österreich wurde dafür sofort eine Plattform geschaffen. Auch auf die Bundesregierung können wir diesbezüglich sehr stolz sein.
Was rechtfertigt eine Staatenunion überhaupt, wenn in einer so großen Notlage wie dieser nicht zusammengearbeitet wird?
Schmiedtbauer: Weil man gemeinsam stärker ist, als allein. Das betone ich auch bei Schuldiskussionen immer wieder. Ich brenne nach wie vor für die Europäische Union. Das Gefühl des Miteinanders wird einem als EU-Abgeordnete bereits beim Betreten des Parlamentsgebäudes bewusst. Trotz der verschiedenen Sprachen und staatlichen Interessen sind immer alle bereit, Kompromisse zu finden. Ich muss als Abgeordnete immer die anderen Länder und Interessen mitdenken, den anderen Abgeordneten die nötige Zeit dafür geben, mit Veränderungen umzugehen. Genau das macht den immensen Zusammenhalt aus. Wir können es uns als Union nicht erlauben, dass wir nach Großbritannien noch ein weiteres Mitglied verlieren. Das darf nicht mehr passieren. Dafür müssen wir kämpfen.
Gerade der Brexit hat neben der Migrationsdebatte immer wieder die GAP-Verhandlungen verzögert. Droht die aktuelle Wirtschaftskrise nun die GAP zu kippen? Sind die bisher erzielten Verhandlungsfortschritte, die nebenbei gesagt bereits eine Kürzung der GAP-Mittel vorgesehen hätten, jetzt Makulatur?
Schmiedtbauer: Wir arbeiten nach wie vor auf Hochtouren an der GAP weiter. Zur Corona-Krise hat der Agrarausschuss auch sofort mit Kommissar Janusz Wojciechowski Kontakt aufgenommen und Forderungen positioniert. So sind etwa Betriebskontrollen auf ein Minimum zu reduzieren und die Flexibilität für sie Mitgliedsstaaten für die Umsetzung der GAP aktuell auszubauen. Natürlich gehören auch die Budgetverhandlungen zu unseren Prioritäten. Kürzungen im Agrarbudget stehen meiner Meinung nach klar jetzt noch weniger zur Debatte als zuvor. Wichtige Themen, wie die Umsetzung des Green Deals mitsamt Farm to Fork-Strategie, oder auch die Biodiversitäts- und Forststrategie der EU wollen wir auf den Herbst verschieben. Wenn das Europaparlament gerade jetzt erklärt, dass wir Geld für den Green Deal oder Umweltschutz brauchen, dann halten uns alle für verrückt.
“Unser Ziel ist es, während der Übergangsperiode in eine Verlängerung der aktuellen GAP zu gehen, unter Beibehaltung des aktuellen Niveaus der GAP-Mittelausstattung.”
Aktuell arbeiten wir in der EVP, sowie die anderen Fraktionen, an der GAP-Übergangsregulierung. Unser Ziel ist es, während der Übergangsperiode in eine Verlängerung der aktuellen GAP zu gehen, unter Beibehaltung des aktuellen Niveaus der GAP Mittelausstattung. Ich hoffe, dass die anderen Parlamentsfraktionen diesbezüglich zur Einsicht gebracht werden können. Es geht hier immerhin um nicht weniger als Planungssicherheit für unsere bäuerlichen Familienbetriebe.
Ich höre heraus, dass die Corona-Krise zumindest auf agrarischer Seite einen Verhandlungsvorteil bringt, weil die Lebensmittelversorgung stärker in den Fokus gerückt ist. Werden Sie diesen Vorteil nutzen können?
Schmiedtbauer: Ja, das hoffe ich. Viele Abgeordnete sind der Meinung, man könne innerhalb der GAP noch Mittel kürzen. Auf Nachfrage kann aber niemand beantworten, wo genau dort Einsparungen möglich sind.
Aktuell finden keine physischen Sitzungen statt. Wie sieht ihre Ausschuss- und Plenararbeit nun aus?
Schmiedtbauer: Ich konnte mir anfangs nicht vorstellen, dass über hundert Menschen an einer Sitzung via Videokonferenz teilnehmen können. Angesichts des hohen Übersetzungsaufwands hat es zwar einige Tage gedauert, das organisatorisch auf die Beine zu stellen, nun funktioniert das aber wirklich gut. Ich nehme an Videokonferenzen mit der österreichischen Delegation, mit der EVP-Fraktion und mit den Agrarausschussmitgliedern teil, ansonsten wird viel telefoniert.
Das heißt, sie befinden sich daheim in der Steiermark?
Schmiedtbauer: Genau. Wir haben hier eine sehr gute Internetverbindung. Das ist für den reibungslosen Ablauf natürlich notwendig.
Die EU-Abgeordneten reisen zu Sitzungen normalerweise nach Brüssel oder Straßburg. Wird die Corona-Krise dieses Reiseverhalten beeinflussen? Schließlich verursacht auch das hohe CO2-Emissionen.
Schmiedtbauer: Was man sofort streichen könnte, wären die Sitzungen in Straßburg. Der Aufwand dieses Siedlungsprozesses einmal im Monat ist immens. Dafür müsste man aber das Einstimmigkeitsprinzip abändern, denn die EU-Verträge besagen, dass wir zwölf Mal im Jahr in Straßburg tagen müssen, und diese Verträge können nur einstimmig geändert werden. Ansonsten würde es auch Sinn machen, die Sitzungstermine kompakter anzulegen. In Zukunft könnte sich daran viel verändern, auch dafür muss man offen sein.
Ohne das Einstimmigkeitsprinzip wäre die EU auch insgesamt agiler.
Schmiedtbauer: Dazu müsste man vorher definieren, wo man Einstimmigkeit braucht und wo nicht.
Wir das nach der Corona-Krise ein Thema werden?
Schmiedtbauer: Momentan ist davon noch nichts zu spüren. Jetzt gerade gibt es mit der Coronakrise dringendere Themen für die Europäische Union. Wenn wir diese Krise überwunden haben, wird man sich das aber sicherlich anschauen müssen.
Wären sie dafür, dass man das Einstimmigkeitsprinzip ändert?
Schmiedtbauer Ja. Ich brenne wirklich für Europa, aber diesbezüglich muss ich Bundeskanzler Sebastian Kurz recht geben: Wir müssen es uns erlauben, angesichts geänderter Zeiten, manche Dinge neu zu denken.
Eine Krise gilt immer auch als Lehrmeister. Was sollte die EU denn ändern?
Schmiedtbauer: Es gibt viele Dinge, die wir vereinfachen könnten. Wir müssen auch aus Fehlern lernen und schneller handeln, aber eine Krise dieser Art gab es einfach noch nie. Auch das Szenario einer heruntergefahrenen Wirtschaft konnte sich niemand vorstellen. Wir haben ein paar Tage gebraucht, bis wir reagieren konnten. Das gebe ich zu. Aber das Erste, womit die EU helfen kann, ist Geld. Das haben wir unter anderem mit dem Paket für die Klein- und Mittelunternehmen getan, die sogenannte Initiative zur Bewältigung der Coronavirus-Krise hat das Europaparlament bei der Plenartagung am 26. April verabschiedet. Man kann hier nicht nur an die österreichische Landwirtschaft denken, man muss auch andere Staaten, die Wirtschaft, die Industrie, mitdenken. Und das macht die EU aus.
Wird es nach der Corona-Krise überhaupt noch eine EU geben?
Schmiedtbauer: Doch, natürlich. Das sage ich mit vielen Rufzeichen.
Sie führen selbst einen landwirtschaftlichen Betrieb mit Direktvermarktung. Wie sind Sie von den Corona-Restriktionen betroffen?
Schmiedtbauer: Nicht besonders, da wir als Direktvermarkter ohnehin ein sehr hohes Maß an Hygiene sicherstellen müssen. Wir haben sogar noch vor den Supermarktketten Plexiglaswände zum Schutz errichtet. Beim Verkauf auf den Bauernmärkten tragen wir Handschuhe und verwenden Desinfektionsmittel. Allerdings habe ich beim Verhalten der Menschen Veränderungen bemerkt. Sie halten freiwillig Abstand, warten geduldig bis sie dran sind. Vor Ostern bieten wir auch ab-Hof-Verkauf kann. Der Andrang ist jetzt besonders groß, aber die Kunden warten draußen, sodass sich nur jeweils eine Person im Verkaufsraum aufhält. Alle halten sich an die vorgegebenen Maßnahmen, auch ohne extra Anweisung.
Haben sie Einbrüche zu verzeichnen?
Schmiedtbauer: Nein, wir betreiben die Direktvermarktung bereits in dritter Generation und haben daher sehr viele Stammkunden.
Gibt es Probleme mit Betriebsmittelbestellungen?
Schmiedtbauer: Nein. Wir bekommen alles, was wir brauchen, im Lagerhaus. Das Genossenschaftswesen an sich hat einfach Beständigkeit. Auch das sollte man wieder positiver denken.
- Bildquellen -
- Simone Schmiedtbauer: ZVG