Der renommierte Ökonom und Agrarexperte des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo), Franz Sinabell, sprach mit der BauernZeitung über die Bedeutung des Freihandels, die Auswirkungen des LE-Programms und wie die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) nach 2020 aussehen sollte.
Freihandelsabkommen sorgen immer wieder für Diskussionen. Warum brauchen wir aus Sicht der Landwirtschaft überhaupt Freihandelsabkommen?
SINABELL: Der erste Grund ist: Wir brauchen Handel, um die Bevölkerung zu ernähren, weil Österreichs Landwirtschaft die heimische Bevölkerung nicht zur Gänze versorgen kann. Das heißt, wir brauchen den Freihandel in erster Linie aus Sicht der Konsumenten. Aus Sicht der Landwirtschaft brauchen wir Freihandel, weil wir jede Menge Rohstoffe importieren, aus denen wir wertvolle hochwertige Lebensmittel machen.
Wertschätzung in Hocheinkommensländern
Der dritte Grund ist: Wir produzieren Güter für Märkte, auf denen Konsumenten bereit sind, mehr auszugeben als der durchschnittliche Konsument. Diese Güter finden vor allem in Hocheinkommensländern Wertschätzung. Daher ist jede Handelserleichterung in Richtung der Länder, die hohe Einkommen haben, für unsere Landwirte ein großer Vorteil. Es ist natürlich so, dass verarbeitete Lebensmittel verkauft werden und somit nicht unmittelbar die Landwirte davon profitieren. Aber wir sehen, dass in Österreich im Durchschnitt die Produkte ein bisschen teurer sind als beispielsweise in Nachbarländern wie Ungarn. Das heißt, die österreichischen Bauern profitieren davon, dass sie heimische Lebensmittelverarbeiter haben, die auf Premiummärkten österreichische Produkte absetzen.
Sie haben die Lebensmittelpreise angesprochen. Die Arbeiterkammer kritisiert dabei immer wieder die steigenden Preise in Österreich. Wie verändern sich zum einen die Nachfrage nach Lebensmitteln und zum anderen die dafür aufgewendeten anteiligen Haushaltsausgaben?
SINABELL: Es ist interessant: Je reicher eine Volkswirtschaft wird, umso weniger vom Einkommen wird anteilsmäßig für Lebensmittel ausgegeben. Das ist eine Beobachtung, die seit 120 Jahren zutrifft. Das heißt aber nicht, dass die Konsumenten weniger Geld für Lebensmittel ausgeben, sie geben nur weniger von ihrem Einkommen dafür aus. In Summe wird mehr für Lebensmittel ausgegeben, aber von dem höheren Einkommen geben die Menschen auch viel, viel mehr für Gesundheit, Reisen oder Freizeit aus. Bei den Lebensmitteln beobachten wir aber in Österreich, dass der Ausgabenanteil relativ stabil ist. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass wir mehr Haushalte haben. Mehr Haushalte, die aber kleiner sind und daher weniger verfügbares Haushaltseinkommen haben. Trotzdem ist es so, dass die Ausgaben für Lebensmittel aus meiner Sicht stark gestiegen sind. Und zwar in erster Linie deshalb, weil die österreichische Bevölkerung stark wächst. Und das ist ein Unterschied gegenüber Deutschland. In Deutschland stagniert die Bevölkerung, und daher gibt es Verteilungskämpfe in einem stagnierenden Markt. Bei uns ist die Situation eine andere. Bei uns haben wir wachsende Märkte.
In Österreich ist auch speziell, dass drei große Handelsketten den Lebensmittelmarkt dominieren. Produzenten und Lieferanten stehen unter Druck, gelistet zu werden. Sind Freihandels- abkommen ein möglicher Weg, sich diesem Druck zu entziehen?
SINABELL: Die Situation in Österreich ist typisch für kleine hochentwickelte Industrieländer. In Schweden und Holland findet man genau dieselbe Situation vor. Mit dem Wettbewerbsrecht hat man ganz schwache Hebel, um dem etwas entgegenzusetzen. Daher suchen die Verarbeiter nach Möglichkeiten, dieser Nachfragemacht ein bisschen zu entkommen. Eine Möglichkeit ist, die Güter auf internationalen Märkten abzusetzen, denn dort stehen die Verkäufer zwar auch großen, starken Unternehmen gegenüber, aber es sind eben nicht drei, sondern es sind 30 oder 300.
Zur Gemeinsamen Agrarpolitik: Sie haben eine Studie zum österreichischen Programm der Ländlichen Entwicklung und seiner Wirksamkeit durchgeführt. Ergebnis: In Bezug auf Umweltschutz, Beschäftigung und Wertschöfpung hat es seine Ziele erreicht. Wie bewerten Sie die GAP und das LE-Programm hinsichtlich der Produktion?
SINABELL: Wenn man den Gesamtsektor betrachtet, ist das österreichische Programm der Ländlichen Entwicklung so konzipiert, als würden Gas- und Bremspedal gleichzeitig betätigt. Wenn man sich das auf Betriebsebene anschaut, ist es nicht so, dass das Programm kontraintuitiv ist und gegensätzliche Anreize schafft. Aber am Agrarsektor insgesamt ist es so. In einfachen Worten heißt das: Wir haben Betriebe, die unter normalen Marktbedingungen nicht wettbewerbsfähig sind, und die versucht das Programm der Ländlichen Entwicklung zu unterstützen. Daher produzieren diese Betriebe mehr Agrargüter dort, wo sonst zum Beispiel Wald aufkommen würde.
Wir lassen auch Absatzpotenzial liegen
Auf der anderen Seite bremst das Programm der Ländlichen Entwicklung, vor allem das Öpul, die Produktion in Gunstregionen. Dort wird dann relativ gesehen weniger produziert. Das heißt, per Saldo sind die Produktionseffekte ein bisschen abgebremst durch das LE-Programm. Das ist auf der einen Seite gewünscht, weil dadurch die negativen Umweltauswirkungen verringert werden. Auf der anderen Seite lassen wir natürlich auch Absatzpotenzial liegen.
Im kommenden Sommer will Agrarkommissar Phil Hogan ein erstes Papier zur GAP nach 2020 vorlegen. Was muss darin unbedingt enthalten sein?
SINABELL: Aus europäischer Sicht wäre es gut, wenn die nationalen Alleingänge abgemildert werden. Österreich ist, wie auch Deutschland und ein paar andere Länder, sehr fortschrittlich in Bezug auf Marktöffnung. Andere Länder wiederum haben in anderen Bereichen ihre Interessen. Das kann zu Produktionsverzerrungen innerhalb Europas führen. Dieser unfaire Wettbewerb sollte beseitigt werden. Ich fürchte aber, dass Hogan nicht stark genug sein wird, sich gegen die nationalen Widerstände durchzusetzen. Auf der anderen Seite sehe ich aber großes Potenzial in der Entwicklung neuer Instrumente, vor allem, was die Stabilität betrifft. Die wichtigsten Ziele der GAP sind angemessenes Einkommen für Landwirte und faire Preise für Konsumenten, aber auch Marktstabilität ist ein wichtiges Ziel. Dieses Ziel ist in den vergangenen 15 Jahren unter die Räder gekommen, weil die anderen Ziele effektiver verfolgt wurden. Der Fokus sollte auf Risikomanagement liegen, das die Betriebe unterstützt, den Einkommensstrom über die Jahre hinweg stabiler zu halten.
Sie haben die Marktstabilität angesprochen – glauben Sie noch an eine globale Freihandelslösung der Welthandelsorganisation? Oder werden bilaterale Abkommen wie TTIP und CETA die Zukunft sein?
SINABELL: Ich bin sehr skeptisch, was das Inkrafttreten von CETA betrifft, weil sehr große Widerstände in weiten Bereichen der Bevölkerung bestehen. Aus Sicht der Landwirtschaft sollte man alles tun, um mit Aufklärung und Sachkunde diesen Widerstand aufzulösen, um sicherzustellen, dass das österreichische Parlament CETA zustimmt. Wenn wir dieses Abkommen haben, sendet Europa ein Signal aus, dass wir bereit sind, die Liberalisierung voranzutreiben – auf extrem hohen Standards.
Handelsliberalisierung als Vorteil für Österreich
Es wäre natürlich gut, wenn am Beispiel CETA auch ein verbessertes TTIP weiterverhandelt würde. Und sehr langfristig gedacht, wenn diese Schritte erfolgreich sind, wird auch im Rahmen der WTO eine weitere Liberalisierung möglich sein. Aus österreichischer Sicht ist das ein großer Vorteil, denn wir sind ein kleines Land, das auf Importe angewiesen ist. Andererseits erzielt Österreichs Exportwirtschaft Einkommen auf Exportmärkten in Ländern mit hohem Einkommen. Das ist vor allem für Betriebe im ländlichen Raum besonders wichtig, denn unsere Lebensmittelwirtschaft ist dezentral über ganz Österreich angesiedelt und diese Unternehmen exportieren fast in die ganze Welt.
Interview: Eva Zitz