Zeitenwende in der Milchviehfütterung

Neue Empfehlungen zur Fütterung von Milchkühen: Das System zur Bewertung von Energie und Protein wird auf eine neue Grundlage gestellt. Bis Herbst 2025 soll die Umstellung bewältigt sein.

Je nach Leistungsniveau und Futteraufnahme ermöglicht das neue GfE-Futterbewertungssystem eine exaktere Anpassung der Milchviehrationen an den Bedarf der Kühe.

Verdauliche Energie und dünndarmverdauliches Rohprotein, das sind die beiden neuen Schlüsselfaktoren zur Futtermittelbewertung und zur künftigen Rationsberechnung für Milchkühe. Die Umrechnung der Verdaulichen Energie (ME) auf Nettoenergie (NEL) wird künftig entfallen und an die Stelle des am Dünndarm nutzbaren Rohproteins (nXP) tritt das dünndarmverdauliche Protein (sidP).
Markus Rodehutscord, Professor am Institut für Nutztierwissenschaften der Universität Hohenheim, ist einer der maßgeblichen Wissenschaftler, die das neue System entwickelt haben. Im vergangenen Herbst wurde es von der deutschen Gesellschaft für Ernährungsphysiologie veröffentlicht.
Bei der diesjährigen Viehwirtschaftlichen Tagung der HBLFA Raumberg-Gumpenstein hat Rodehutscord das neue System vorgestellt. Zudem haben sich heimische Fachleute mit den Auswirkungen der neuen Fütterungsempfehlungen auf die heimischen Futtergrundlagen beschäftigt.

Wie der Sprung von analog zu digital

Thomas Guggenberger, der Leiter des Instituts für Nutztierwissenschaften an der HBLFA Raumberg, bezeichnete das neue Futterbewertungssystem nach „GfE 2023“ als „Zeitenwende in der Milchviehfütterung“. Es sei vergleichbar mit dem Sprung von der analogen zur digitalen Fotografie und stelle die Milchviehfütterung auf eine gänzlich neue Grundlage.
Die Notwendigkeit der Weiterentwicklung der Fütterungsempfehlungen begründete Rodehutscord mit dem in die Jahre gekommenen aktuellen Verfahren. Das NEL-System sei bereits rund 50 Jahre in Gebrauch, die Proteinbewertung etwa 40 Jahre. In diesem Zeitraum haben sich die Tiere wesentlich verändert, die Milchleistung sei um etwa 100 kg gestiegen. Neben dem Leistungsniveau wollte man die Fütterungsempfehlungen zudem auch besser in Richtung Tiergesundheit und Umweltwirkung anpassen. Damit wolle man zur Zukunft der Milcherzeugung beitragen und den Sektor zukunfsfähig machen.
In Deutschland, so Rodehutscord, soll das neue System ab Oktober 2025 in praktische Verwendung kommen. Die Zeitspanne sei erforderlich, weil auch die Programme für Futtermittelbewertung und Rationsplanung angepasst werden müssen. Auch in der Futtermittelanalytik seien Umstellungen erforderlich.
Aus den vielen Aspekten der neuen Fütterungsempfehlungen stellte Rodehutscord mit Energie- und Proteinversorgung die beiden wichtigsten Säulen in den Mittelpunkt.

NEL-Umrechnung entfällt

Was die Energiebewertung betrifft, so hörten sich Rodehutscords Ausführungen zunächst eher beruhigend an. Demnach wird die auch bisher schon bekannte Umsetzbare Energie (ME bzw. UE in MJ/kg TM) nun der wichtigste Energiemaßstab. Die Umrechnung auf NEL entfällt. Grundsätzlich neu im Vergleich zu bisher sei die Vorgangsweise bei der Ermittlung der ME. Damit soll der Bedarf der Tiere präziser als mit NEL ermittelt werden. Die Bedarfsermittlung ist damit von der Futterbewertung sachlich getrennt.
Zur Ermittlung der Verdaulichen Energie (ME) wird anstelle der bisherigen Schätzung mit Regressionsgleichungen ein dreistufiges Ermittlungsverfahren angewendet. Die drei Stufen ergeben sich aus den Energieverlusten über Kot, Harn und Methan.

• Kotenergieverluste: Der Schritt von der Bruttoenergie (GE) zur verdaulichen Energie (DE) ergibt sich aus derVerdaulichkeit der Energie in Prozent (ED%), Das heißt:
DE (MJ/kg) = GE (MJ/kg) x ED(%)
Dieser Anteil ist der wichtigste, weil der größte, je nach Zusammensetzung des Futters aber auch der variabelste. Um die Verdaulichkeit der Energie (ED) eines Futtermittels bestimmen zu können, kann man in der Praxis von der Verdaulichkeit der organischen Masse (OMD) ausgehen, zu deren Bestimmung standardisierte Methoden verfügbar sind. Die Umrechnung von OMD zu ED ist möglich, weil die beiden Größen erstaunlich eng mit dem konstanten Faktor 3,3 korrellieren. Es gilt:
OMD (%) – ED (%) = 3,3
und zwar unabhängig von der Höhe der Verdaulichkeit und unabhängig von der Futteraufnahme.

• Harnergieverluste (UE):
Diese Verluste sind im Wesentlichen von der N-Ausscheidung abhängig und können durch Berücksichtigung des Rohproteingehalts des Futtermittels (CP) berechnet werden. Auch hier gilt ein konstanter Faktor. Je Gramm Rohprotein beträgt der Harnenergieverlust oder die Harnstoffausscheidung 3,7 kJ.

• Methanenergieverluste (CH4-E): im dritten Berechnungsschritt werden die Methanenergieverluste abgezogen, die durch das Abrülpsen nach der Umsetzung des Futters im Pansen entstehen. Die Methanbildung hängt deshalb eng zusammen mit der Verdaulichkeit der organischen Masse (OMD) des Futters. Auch hier gilt wieder eine lineare Beziehung.
CH4-E (MJ/kg OM) = 0,7 + 0,014 OMD (%)

Die erforderlichen Laborbestimmungen sind größtenteils etabliert. So müssen zur Berechnung der Verdaulichkeit der Energie aus der Verdaulichkeit der organischen Masse sowohl der Brennwert (Bruttoenergie) als auch die Rohasche (CA) eines Futtermittels analytisch bestimmt werden. Für die Abschätzung der Harnenergieverluste wird das Rohprotein und für die Schätzung der Methanenergieverluste die Verdaulichkeit der organischen Masse benötigt.
In der großen Breite, so Rodehutscord zusammenfassend, werde sich die ME nicht wesentlich ändern. Besser berücksichtigt werden mit dem neuen System aber die Vorzüge von Futtermitteln mit hoher Verdaulichkeit, etwa Grasprodukte bei frühem Schnitt mit geringer Lignifizieurng, deren energetische Werte nun etwas höher liegen als zuvor.
Um exakt zu arbeiten, sei es aber erforderlich, die ME-Empfehlungen in sämtlichen Tabellen umzuarbeiten. Die neuen Empfehlungen seien dann auf sämtliche (!) Nutztier-Wiederkäuer, Masttiere und kleine Wiederkäuer anwendbar.

Berücksichtigung der Futteraufnahme

Ein neuer Aspekt der künftigen Versorgungsempfehlungen ist die Berücksichtigung der Höhe der Futteraufnahme. Dies ist erforderlich, weil mit steigender Futteraufnahme auch die ruminale Passagerate größer wird – es muss mehr Futter pro Tag durch den Verdauungstrakt, bzw. wird die Verweildauer im Pansen kürzer – was letztlich die Verdaulichkeit der organischen Masse (OMD) vermindert. Gegenzurechnen ist allerdings die mit höherer Passagerate verringerte Methanbildung je kg organischer Substanz. Will man den Wert eines Futtermittels bei höheren Leistungsniveaus bestimmen, so sind beide Effekte zu berücksichtigen.
Bezugsgröße für das Futteraufnahmeniveau (FAN 1) ist der energetische Erhaltungsbedarf, was 50 g TM je kg metabolischer Körpermasse entspricht (Anmerkung: Die metabolische Körpermasse ist der stoffwechselaktive Teil der Körpermasse, berechnet aus der Lebendmasse mit dem Exponenten 0,75. Eine Kuh mit einer Lebendmasse von 700 kg hat somit eine metabolische Lebendmasse von 136 kg. Ein täglicher Futterverzehr von 24 kg TM entspräche dem Futterverzehr von 24.000/136 = 176,4 g TM je kg LM0,75 bzw. einem FAN von 3,53).
Bei der Rationsplanung ist somit nach dem neuen System das Leistungs- bzw. Futteraufnahmenivau zu berücksichtigen. Je höher das Futteraufnahmeniveau eines Tieres bzw. einer Leistungsgruppe, umso deutlicher ist der Effekt niedrigerer ME-Werte. Die Rationsplanung nach GfE 2023 wird demnach spezifisch für ein bestimmtes Leistungsniveau gemacht. Die Bewertung der Einzelkomponenten eines Futtermittels bleibt davon aber unberührt, der ME-Gehalt wird hier auf FAN 1 standardisiert ausgewiesen.
Im Vergleich zur bisherigen Energiebewertung werde der Erhaltungsbedarf laktierender Tiere etwas höher angesetzt während der Leistungsbedarf etwas niedriger zu liegen kommt. Bei hoher bis sehr hoher Leistung werde der Energiesaldo der Kühe realistischer eingeschätzt, so Rodehutscord.

Grundfutterqualität wird noch wichtiger

Weil Futtermittel mit hoher Verdaulichkeit (OMD) einen relativ höheren energetischen Wert haben, werde das Bemühen um qualitativ hochwertige Grobfuttermittel noch stärker gestützt, so der Wissenschaftler. Bei Grobfutter mäßiger Qualität ändert sich der Ergänzungsbedarf an Kraftfutter dagegen kaum.

Der Dünndarm ist die Proteinschnittstelle

Das Proteinbewertungssystems nach GfE 2023 geht aus vom Dünndarm als Schnittstelle zwischen Versorgung und Bedarf des Tieres. Die Proteinbewertung basiert demnach auf dem dünndarmverdaulichen Protein (small intenstine digestible protein = sidP), welches die Summe des im Dünndarm verdaulichen Aminosäure-Stickstoffs ist, multipliziert mit dem Faktor 6,25. Dabei wird die Dünndarmverdaulichkeit nun spezifisch für jedes Futtermittel beurteilt. Ausgehend vom aufgenommenen Futterrohprotein erfolgt im Pansen die Aufteilung in:
• unabgebautes Futterrohprotein (UDP),
• abgebautes Futterrohprotein (RDP) und
• Mikrobenprotein (MCP).
Letzteres hat größten Anteil an der Proteinversorgung, denn etwa die Hälfte des gefressenen Futters wird durch Mikroorganismen umgesetzt woraus laut Rodehuts­cord mehr als zwei Drittel des Futterproteins resultieren.
Auch bei der Proteinversorgung durch Mikroben (MCP) ist die Aufnahme an verdaulicher organischer Substanz (DOM) und somit – wie bei der Energieversorgung – das Futteraufnahmeniveau entscheidend. Mit höherem Futterdurchsatz im Pansen (erhöhte Passagerate) wird auch der Anteil an im Pansen unabgebautem Futterprotein (UDP) größer. Dies wird bei der Rationsberechnung berücksichtigt.
Zur Ermittlung des Proteinumsatzes im Vormagensystem hat die GfE eine Standardmethode festgelegt, um die Werte vergleichbar zu machen. Zudem steht online eine Datentabelle zur Verfügung. Mit den veröffentlichten Abbauparametern soll kalkulierbar sein, welche Proteinmengen verdaut bzw. unverdaut in den Dünndarm gelangen und dort verdaut werden können. Die Dünndarmverdaulichkeit wird für verschiedene Proteinquellen berücksichtigt (UDP und MCP).

Bessere Verdaulichkeit bringt mehr Protein

Auch bei der Proteinversorgung gilt laut Rodehutscord, dass mit einer besseren Verdaulichkeit des Futters auch ein höheres Proteinangebot im Dünndarm einhergeht. Bei einem Futter mit 14 Prozent Rohprotein (CP) erhöht sich das sidP-Angebot um etwa 23 Prozent wenn die Verdaulichkeit von 60 auf 80 Prozent steigt. Der Zusammenhang gilt gleichermaßen auch bei anderen Rohproteingehalten des Futters. Höhere Verdaulichkeit ist somit ein Schlüssel zur Verbesserung des Proteinangebots, und zwar mehr als der Rohproteingehalt im Futter selbst.
Weiters wies Rodehutscord auf den Unterschied in der Proteinversorgung zwischen Grobfutter und Eiweißfuttermitteln hin. Demnach ist bei Grobfutter (Silagen, Heu) das Mikrobenprotein (MCP) bedeutender, während bei Eiweißfuttermitteln (Raps-, Sojaschrot …) der UDP-Anteil in den Vordergrund tritt. Mit zunehmender Futteraufnahme steigt der unverdaute Proteinanteil (UDP). Dies ist in Rationskalkulationen zu berücksichtigen. Wie bei der Energie sind auch die sidP-Werte für Einzelfuttermittel auf FAN 1 standardisiert und tabelliert. Je nach Leistungsniveau und Futteraufnahme ergeben sich bei jedem Futtermittel unterschiedliche sidP-Werte. Bei hohen Leistungsniveaus ermöglicht das neue System auch die Berücksichtigung der Aminosäurezusammensetzung der einzelnen Futtermittel.
www.gfe-frankfurt.de

Die HBLFA Raumberg-Gumpenstein stellt die Vorträge der Viehwirtschaftlichen Tagung 2024 auf ihrer Internetseite bereit:
HBLFA-Raumberg-Gumpenstein

- Bildquellen -

  • 2414 W01 MilchviehFutterwert: agrarfoto.com
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QuelleH.M.
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