„Wir müssen die Zügel wieder in eigene Hände bekommen“

Auf Ersuchen der BauernZeitung erläutert Josef Moosbrugger, selbst Milchbauer in Vorarlberg und Präsident der Landwirtschaftskammer Österreich, wie er die neuesten Agrardaten des Grünen Berichts bewertet und womit er die Land- und Forstwirtschaft wieder unabhängiger von den bisherigen Absatzschienen machen will.

LKÖ-Präsident Josef Moosbrugger bewertet auf Ersuchen der BauernZeitung die neuesten Agrardaten des Grünen Berichts. FOTO: BauernZeitung

Kaum ist der “Grüne Bericht” erschienen, tauchen bereits jene auf, die dieses 274 Seiten starke, mit unzähligen Fakten gefütterte Werk auf eine einzige Zahl reduzieren: die Zu- bzw. Abnahme der durchschnittlichen Betriebseinkünfte innerhalb eines Jahres. Im Fall von 2019 führen die 0,2% weniger dann mitunter zu Schulterzucken und Meldungen wie: “Was wollt Ihr? Die Einkünfte sind doch eh quasi gleich geblieben!” Und ehrlich gesagt sind es genau Aussagen wie diese, die mir sauer aufstoßen. Aus vielerlei Gründen:

Bei genauerer Betrachtung sieht man, dass die Einkünfte der Landwirte über Jahre bestenfalls stagnieren. Genauso wie alle anderen Menschen haben aber auch wir Bäuerinnen und Bauern mit steigenden Lebenserhaltungskosten zu kämpfen. Wer das durchschnittliche Einkommensniveau – knapp 28.000 Euro pro Betrieb – sieht, sollte nachvollziehen können, warum wir als Berufsgruppe mit Nachdruck und lautstark unsere Nöte und Forderungen vertreten. Noch ist es für die Bevölkerung ja meist selbstverständlich, dass der ländliche Raum gepflegt und dabei beste Lebensmittel erzeugt werden. Vielen ist aber nicht bewusst, wie enorm Leistungs- und Leidensdruck von Bäuerinnen und Bauern sind, wenn einzelne Betriebszweige oder gar ganze Bauernhöfe aufgegeben werden müssen, wenn sich das nicht mehr rechnet. Mit Leidenschaft am eigenen Hof zu arbeiten, ist für uns nicht nur Beruf, sondern Heimat seit Generationen. Werden trotzdem einmal Stall- oder Hoftüren geschlossen, ist es zu spät. 

Eine Durchschnitts-Einkommenszahl sagt allerdings nur wenig über die einzelnen Sektoren oder Betriebe aus. Wie meinte der frühere Weinbaupräsident Josef Pleil einmal: “Was bedeutet schon der Durchschnitt? Mit einem Fuß in der Eistruhe und mit dem anderen auf der Herdplatte ist die Durchschnittstemperatur auch angenehm.” Daher muss man die Agrarsektoren einzeln bewerten – und das über mehrere Jahre und sehr differenziert.

Genau diese Möglichkeit schätze ich am Grünen Bericht, der seit gut 60 Jahren für die Bauern und die Agrarpolitik wichtige Zahlen liefert und damit eine Entscheidungsgrundlage darstellt. Ich kann zwar hier nicht auf jeden einzelnen Sektor und jede Region eingehen, aber versichern, dass unsere Experten in der Landwirtschaftskammer wie auch jene im Ministerium alle Daten genau unter die Lupe nehmen und daraus zielgerichtete Maßnahmen ableiten.

Öffentliche Gelder sind gute Investition

Klar wird im Grünen Bericht, welch unverzichtbare Einkommensbasis die Ausgleichszahlungen weiterhin für die Landwirte sind. Heuer hat uns zudem Corona gezeigt, dass die öffentlichen Gelder eine mehr als gute Investition in die heimische Versorgung mit Lebensmitteln, Rohstoffen und erneuerbaren Energien darstellen. Wenn Österreich weiterhin flächendeckend eine bäuerliche Landwirtschaft – auch in Berg- und benachteiligen Gebieten – haben will, ist es mit der EU dringend gefordert, mit praktikablen Programmen und Maßnahmen die Grundlage dafür abzusichern. Produktion und Praktikabilität dürfen dabei nicht außer acht gelassen, gar weiter einschränkt werden. Andernfalls hören weitere Betriebe auf, und Produktionsrückgänge würden durch Agrarimporte ersetzt.

Unsere hohen Qualitäts- und Produktionsstandards sowie Zusatzleistungen für Umwelt, Tierwohl oder für die Landschaftspflege und den Tourismus können aber nicht importiert werden und müssen weiterhin möglichst attraktiv für die Bauern abgegolten werden. Die Biolandwirtschaft muss marktangepasst und unter Rücksichtnahme auf topografische Besonderheiten weiterentwickelt werden.

Dauerbrenner Klima

Wie in den Jahren davor lassen sich auch für 2019, nun im Grünen Bericht 2020 – quer über alle Produktionssparten – die längst dramatischen Auswirkungen der Klimaveränderung mit Dürren, Spätfrost, anderen Wetterextremen sowie steigendem Schädlingsdruck ablesen. Insgesamt wächst also die Bedeutung eines geeigneten Risikomanagements mit Versicherungen oder Gewinnglättung, um die vermehrten Marktschwankungen abzufedern. Die 2018 erreichten Verbesserungen etwa mit höherer Bezuschussung und steuerlicher Entlastung der Ernteversicherung waren zukunftsweisend. Ähnliches brauchen wir aber auch im Bereich Tierhaltung. Das Auftreten der Schweinepest in China  samt Einbruch der dortigen Produktion hat zwar auch unseren Schweinebauern kurzfristig einen Höhenflug bei den Preisen beschert, angesichts von Corona, Tönnies und nun dem ersten Schweinepest-Fall in Deutschland zeigt sich 2020 die Marktentwicklung in einem anderen Licht. Große Bedeutung messe angesichts alldessen auch Forschung und Entwicklung bei.

Besonders dramatische Auswirkungen hat die Klimakrise auch im Forstbereich durch Trockenheit, Borkenkäfer und immer höherem Schadholzanfall seit Jahren. Das rund 10%-ige Einkommensminus 2019 beweist, warum es so wichtig war, ein 350 Mio. Euro starkes Forstpaket zu schnüren.

Fest steht: Der Druck in vielen Agrarsparten manifestiert sich, weshalb wir nach 70 Mio. Euro Entlastungen heuer nochmals auf 50 Mio. Euro gedrängt haben. Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger und der Bauernbund haben diese schließlich bei der Regierung durchgesetzt.

Höhere Preise sind einfach unverzichtbar

Der Grüne Bericht macht deutlich: Der wichtigste und größte Einkommensbringer für uns Bäuerinnen und Bauern bleiben die Einnahmen aus der Produktion. Dafür wird die Orientierung am Markt immer wichtiger. Die angesichts von Corona steigende Wertschätzung für Regionalität müssen wir aber in die richtigen Bahnen lenken (auch weil wir wegen der Covid-Krise mit angespannten Budgets und massiven Verteilungskämpfen aller Wirtschaftsbereiche rechnen müssen). So müssen wir uns noch besser aufstellen, auch um die Wertschöpfung wieder mehr in bäuerliche Hände zu bekommen, und dürfen uns nicht auf die Rolle des Rohstofflieferanten oder des Abfüllers von Eigenmarken beschränken. Sonst sind wir austauschbar und bekommen das, was der internationale Markt zulässt.

Um neue Käuferschichten für uns zu gewinnen, braucht es spezielle Markenstrategien, mehr eigene Veredelung unserer Erzeugnisse und dazu innovative, online-basierte Vermarktungsschienen samt Zustellservices. Damit wir nicht wie derzeit auf dem Einkommensniveau von 2014 (?) bleiben.

Einiges erwarte ich mir von einer verpflichtenden Herkunftskennzeichnung, wie im Regierungsprogramm verankert und vom Parlament gefordert. Der Gesundheitsminister muss diese endlich umsetzen. Das würde speziell den Tierhaltern erheblich nützen. Auch eine bessere Abstimmung und Allianzen zwischen Landwirtschaft und Verarbeitung mit Sektorstrategien ist aus meiner Sicht dringend notwendig. Vereint könnten wir so selbstbewusster gegenüber dem Handel auftreten. Denn eine Tatsache ist auch, dass unser Anteil in der Lebensmittel-Wertschöpfungskette immer weiter zurückfällt.

Aus unserem Preiskampf muss ein Qualitäts- und Regionalitätswettbewerb werden, damit die Erzeugerpreise quer durch die Sektoren ansteigen. Und was nicht unseren hohen Standards entspricht, sollte im Grunde auch nicht in die Supermarktregale und auf unsere Teller gelangen dürfen.

Mehr Flexibilität durch neue Absatzmärkte

Generell müssen wir neue Absatzmärkte entwickeln und bearbeiten, um unabhängiger von den bisher dominierenden Schienen zu werden, im Lebensmittelbereich genauso wie beim Holz. So sind etwa im erwähnten Forstpaket auch eine Holzbauoffensive und eine Pilotanlage zur Erzeugung von Holzdiesel enthalten. Es muss unser Ziel sein, zusätzliche Alternativen zu LEH und Holzindustrie zu schaffen. Ansonsten ist jede Verhandlung schwierig. Wir müssen die Zügel puncto Wertschöpfung wieder mehr in die eigenen Hände bekommen. Einkommensergebnisse wie 2019 im Forstbereich sind auf Dauer untragbar. Zukunftsweisende Forstmaßnahmen sind generell auch für unsere Bergbäuerinnen und Bergbauern wichtig, deren einkommensmäßiger Abstand zur restlichen Landwirtschaft sich wegen der ruinösen Holzpreise 2019 weiter vergrößert hat. Auch in einer besseren Zusammenarbeit von Landwirtschaft und Tourismus sehe ich großes Potenzial für beide Seiten, in trockenen Weinbauregionen genauso wie in saftig-grünen Berg- und Almregionen.

Wir sind nicht nur in der Agrarpolitik und Interessenvertretung, sondern auch auf den Höfen selbst gefordert, die Lage laufend neu zu bewerten. Ich möchte daher jede Bäuerin und jeden Bauer einladen, unser breites Bildungs- und Beratungsangebot in Anspruch zu nehmen, um den eigenen Hof für die Zukunft zu rüsten. Es bedarf gemeinsamer Anstrengungen von uns allen, um im Grünen Bericht in den nächsten Jahren einen positiven Trend bei den land- und forstwirtschaftlichen Einkommen zu erwirken.

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