Sinabell ist Ökonom und seit 2002 im Forschungsbereich „Umwelt, Landwirtschaft und Energie“ des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) tätig. Er analysiert: „Ein zeitnaher und aufschlussreicher Indikator für den Zustand der Wirtschaft ist neben der Entwicklung der Börsenkurse die Entwicklung der Preise von Rohöl und Rohstoffen. Der Vergleich der aktuellen Corona-Krise mit der Finanzkrise 2008/09 zeigt, dass die Wirkungskanäle der beiden Krisen unterschiedlich sind.“ So sei 2008 der Preis von Rohöl ab 15. Juli binnen drei Monaten von 138 auf 74 US-Dollar gesunken. „Begleitet wurde dieser Preisverfall von starken Wertverlusten praktisch aller international gehandelten Rohstoffe. Auch agrarische Rohstoffe wurden von dem Preisrutsch erfasst.“ Die Weizenpreise etwa sanken damals von 190 auf 138 €/t. Sinabell: „Als Maß wird der Wert des jeweils nächsten Futures von Euronext verwendet. Während Metalle, vor allem Gold, binnen kurzer Zeit wieder teurer wurden, blieben die Preise von Agrargütern auf niedrigem Niveau. Dies bescherte Österreichs Landwirtschaft 2009 ein Wertschöpfungs-Minus von nahezu 20 Prozent.“
Gut zehn Jahre später, zu Beginn des heurigen Jahres, lag der Rohölpreis mit gerade einmal 61 US-$ je Barrel auf einem niedrigeren Niveau. Dagegen lag der Preis des Weizen-Futures so wie Mitte 2008 je Tonne 190 Euro. Sinabell: „Bis Mitte März 2020 sanken beide Werte massiv, der Ölpreis sogar um mehr als die Hälfte auf 28 Dollar je Barrel und damit gleich wie zu Beginn des Jahres 2000.“
Auch der Weizenpreis folgte wie schon 2008 diesem Preisverfall. „Diesmal allerdings weniger rasant. Der Preis des Weizenfutures für den 20. Mai war am 16. März 175 Euro je Tonne. Ab dann koppelte sich der Weizenpreis jedoch von der Ölpreisentwicklung ab. Am Montag dieser Woche schloss der Markt bei einem Preis von 195 Euro je Tonne und ist damit also wieder auf dem gleichhohen Niveau wie Mitte Jänner und etwas höher als zu Jahresbeginn“, berichtet Sinabell.
Die große Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 und die Bekämpfung der Corona-Virus-Krise seien also durchaus vergleichbar, „und zwar in dem Sinn, dass Entwicklungen damals wie heute gegenübergestellt werden können. Sie nehmen aber einen völlig anderen Verlauf, wie das die Preisentwicklung von international gehandelten Gütern zeigt.“
Der derzeit für kommenden Herbst 2020 prognostizierte Weizenpreis beträgt 188 €/t. Da die Preise der wichtigsten Agrargüter häufig einen ähnlichen Verlauf nehmen würden, zeichnet sich für Sinabell im laufenden Jahr ab, „dass die Landwirtschaft einen Einbruch der Wertschöpfung wie 2009 vermeiden kann.“
Einbußen seien allerdings durch den Mangel an Arbeitskräften zu erwarten. „Vor allem die Obst- und Gemüseproduktion könnten von der aktuellen Beschränkung der Mobilität von Arbeitskräften in Europa betroffen sein“ Alleine diese Sparte steht für annähernd 13 % des Produktionswerts der heimischen Landwirtschaft.
Für Preisprognosen wie auch Preisbestimmungen auf Märkten von Agrargütern werden häufig Beobachtungen von Future-Märkten herangezogen und nicht die Daten von Kassa-Märkten auf Börsen. Eine solche ist die Wiener Produktenbörse. Sinabell: „An ihr werden die Waren tatsächlich gehandelt. Der Vorteil der Future-Börsen ist, dass die angebotenen Produkte an jedem Öffnungstag gehandelt werden und sogar Preisnotierungen während des Tagesverlaufs verfügbar sind. Es werden jedoch Kontrakte zu einem bestimmten Liefertermin gehandelt. Hier wurden daher die Kontrakte mit der jeweils nächsten Fälligkeit verwendet.“
An den Warenbörsen beobachtet man in den meisten Fällen eine ähnliche Entwicklung der Preise, aber deutlich unterschiedliche Niveaus, da die Güter viel differenzierter sind und sich die Qualität unterscheidet. Sinabell: „So nimmt der Preis von Durum-Weizen oft einen anderen Verlauf als Mahlweizen, also jene Qualität, die auf Future-Märkten gehandelt wird. Spezifische regionale Entwicklungen führen immer wieder zu Abweichungen zwischen Future- und Kassapreisen.“
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