Almtiere hüten ist kein einfacher Job, aber auf wenigen Almen ist er so anstrengend wie auf der Hinteren Gedingstattalpe. Sie gehört zu Zams, liegt aber auf der anderen Seite der hochgelegenen Jöcher – im Madautal, einem Seitental des Lechtals. Beim Beweiden des 5400 Hektar großen Almgebietes (Weidefläche ca. 320 Hektar), gibt es ebenfalls eine Besonderheit: Galtvieh und Pferde werden im Lauf des Sommers von den tieferen Lagen auf sechs Weide-Etappen (mit sechs unterschiedlichen Hirten-Hütten) von sogenannten „Nomadenhirten“ über fünf zackige Jöcher getrieben und halten sich die meiste Zeit über 2.000 Meter auf, bis die Herde am Ende des Almsommers im Inntal von den Zammer Bauern in Empfang genommen wird.
Ein Beihirte warf das Handtuch
Sieht man die beeindruckend schöne, aber extrem raue Gegend mit den steilen Hängen und Aufstiegen, kommt man ins Staunen, dass sich diese herausfordernde Aufgabe eine junge Frau aufgebürdet hat: Die Osttirolerin Maria Rime ist heuer schon den zweiten Sommer Hirtin auf der Gedingstattalpe und hat sich als Beihirtin eine Frau ausgesucht: Die bodenständige Rosi aus Köln, die früher selber einen Hof mit Kühen hatte und schon mehrere Sommer Almerfahrung besitzt. Es ist nicht damit zu rechnen, dass Rosi ihre Arbeit vorzeitig hinwirft wie der Beihirte vom letzten Jahr, der mit zwanzig Liter Schokomilch und einem Gaskocher anreiste und nur eine Nacht blieb.
Maria weiß nicht, was ihn so schockiert hat – die einfache Hüttenausstattung, die steilen Berge und Weiden oder die temperamentvollen Kühe und Pferde – jedenfalls fand sie am nächsten Tag in der Hütte des Beihirten nur mehr einen Zettel: „Das hier ist nicht so Meins!“ Gut, dass wenigstens Marias Hütehund Fred und gute Freunde verlässlich waren und ihr beim Treiben und Zäunebauen geholfen haben.
Glück und Last zugleich
Für Maria, die studierte Psychologin, die im Allgäu eine psychologische Praxis betreibt, bedeutet ein Sommer auf der Gedingstattalpe Glück und Last zugleich. Als Tochter von Osttiroler Bergbauern ist sie an die Arbeit mit Tieren von klein auf gewöhnt, hat eine landwirtschaftliche Ausbildung, kann zupacken und liebt die Bewegung in der Natur. „Die körperliche Anstrengung ist hier zwar oft extrem, aber ärger ist die psychische Herausforderung, denn es gibt in diesem großräumigen Gebiet viele Gefahrenbereiche“, erzählt Maria. Alles muss bestens geplant sein, vor allem die Weidehaltung und wann der Hubschrauber die Lebensmittel bei welcher Hütte ablädt.
Wenn sie im August auf den höchsten Weiden wie dem Gufl bzw. Gifl ein Wintereinbruch überrascht, kann sie mit dem Vieh nicht mehr vor und zurück. Solche Wetterkapriolen fürchtet sie am meisten. „Hoffentlich wird es ein guter Sommer ohne Schnee“, wiederholt sie am Tag des Almauftriebes mehrmals. Auch der Anblick, wenn Kühe dort droben sich besonders exponierte Plätze aussuchen, kostet Nerven.
Maria: „Da bin ich oft froh, wenn es dunkel wird und nicht mehr alles mit ansehen muss, denn man kann da oben nicht alles abzäunen.“ Leo, der Hirte, der vor ihr auf der Gedingstattalpe gehütet hat, soll in solchen Situationen ein Stoßgebet zum Himmel geschickt haben: „Vater, Mutter, helfat’s mir, weil iatz hobat’s derweil!“
Die Pferde reißen aus
Der Almauftrieb, der am 14. Juni stattfand, zeigte bereits die Tücken des Gebietes. Dabei ist der Auftrieb von Lechtaler Seite viel einfacher als der Weg vom Inntal über zwei hohe Jöcher, der früher in drei Tagen von Zams bis ins Madautal absolviert wurde. Jetzt müssen die Kühe und Pferde nach der Anfahrt nur zehn Kilometer über die Forststraße getrieben werden.
Aber selbst das bringt unwägbare Ereignisse mit sich. War es vor zwei Jahren eine Kuh, die aus Schreck über einen Radfahrer über einen steilen Abhang kollerte und nur mit einem Radlader geborgen werden konnte, sind es diesmal die Haflinger, die eine Absperrung überwinden, den Wildbach durchqueren und dort zu weiden beginnen, wo der Zugang für die Hirten und Treiber äußerst schwierig ist.
„Es laft, wie’s laft“, sagen Almobmann Hubert Reheis und Almmeister Manfred Hueber von der Interessentschaft Gedingstatt Zams, die sich engagiert um die Belange der Alpe kümmern und auch für eine gute Vorbereitung gesorgt haben, schicksalsergeben. Am Ende gelingt es doch, die Ausreißergruppe zu bergen und auf die Weiden bei der
Alpli-Hütte zu bringen.
Aber was ist das schon gegen die Herausforderungen, die in höheren Regionen warten. Wenn die Hirtinnen mit den Kühen auf einem schmalen, in den Felsen gehauenen Steig am Rand des Abgrunds über das Mintschajoch auf fast 2.300 Meter müssen, um zur nächsten Weide zu gelangen. Letztes Jahr war der Steig zum Teil vermurt, sodass Maria mit dem Pickel Stufen in Stein und Erdreich geschlagen hat, damit die Kühe zumindest Tritte vorfanden.
„Die Jocher kommen“, sagten die Lechtaler früher, wenn die Zammer über das Joch kamen, und gingen ihnen entgegen, auch deshalb, weil beim Übertrieb oder im Lauf des Sommers oft Tiere verletzt wurden oder umkamen und es deshalb Fleisch zu erwerben gab.
Heuer wird hoffentlich nichts Schlimmes passieren – die zwei tüchtigen Hirtinnen werden jedenfalls alles in ihrer Macht Stehende tun, dass alles bestens läuft.
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