Tierwohl und Tierschutz sind zweierlei. Selbst wo alle gesetzlichen Tierschutzbestimmungen eingehalten werden, ist nicht garantiert, dass sich die Tiere tatsächlich wohlfühlen. Um „Tierwohl“ messen zu können, hat die Forschung 25 Parameter definiert – an vorderer Stelle intakte Ohren und Schwänze, keine Lahmheiten, geringe Verluste und definierte Funktionsbereiche. Um letztere geht es in diesem Beitrag. Sie stehen noch vor Parametern wie Beschäftigungsmaterial, Antibiotikaeinsatz und Mensch-Tier-Beziehung.
Grundlegende Verhaltensweisen
Die entsprechend gestalteten Funktionsbereiche sollen den Schweinen grundlegende Verhaltensweisen ermöglichen. Dazu zählen Aktivität und Ruhen sowie Futteraufnahme und Ausscheidung. In den österreichischen Programmrichtlinien für mehr Tierwohl im Schweinebereich ist das vorrangige Kriterium die Haltung von Mastschweinen in Stallungen mit höherem Platzangebot als gesetzlich gefordert.
Die beiden freiwilligen Module der AMA für mehr Tierwohl „Sehr Gut“ und „Gut“ verlangen 100 Prozent beziehungsweise 60 Prozent mehr Platzangebot als gesetzlich vorgegeben. Zusätzlich ist bei „Sehr Gut“ auf das Kupieren des Schwanzes zu verzichten und männliche Ferkel müssen unter Vollnarkose kastriert werden.
Strukturierung braucht mehr Platz
So mancher Landwirt stellt sich die Frage: Wie können bestehende Stallungen mit möglichst geringem finanziellen Aufwand umgebaut werden, sodass die Lieferung in ein Tierwohlprogramm möglich wird? Hilfreich bei dieser Überlegung ist zunächst die Kalkulation der Mindestfläche, die notwendig ist, um eine Strukturierung der Bucht überhaupt zu ermöglichen. Wenn alle Tiere gleichzeitig im Liegebereich Platz finden sollen, muss dafür eine Fläche von ca. 0,55 bis 0,6 m² je Endmastschwein reserviert werden. Bei Trockenfütterung wird man mit einem Tier:Fressplatzverhältnis von 4:1 auskommen, was je Tier einen Fressplatz-
anspruch von 0,15 m² ergibt. Im Ausscheidungsbereich müssen nicht alle Tiere gleichzeitig Platz finden, es sollte aber möglich sein, dass sich alle Tiere entweder am Fressplatz oder im Ausscheidungsbereich befinden – also beträgt die Mindestfläche für beide Bereiche zusammen 0,5 m². Daraus ergibt sich, dass eine sinnvolle Aufteilung in Funktionsbereiche erst ab 1,1 m² pro Tier möglich ist.
Aus drei mach eins
Kleine Buchten sind deutlich schwieriger zu strukturieren als große. Dementsprechend kann es Sinn machen, Buchten zusammenzulegen, damit der Raum für das Einzeltier größer wird. So können etwa drei 12er-Buchten zu einer größeren Bucht zusammengelegt werden. Aus ursprünglich drei Buchten mit 36 Tieren (ca. 0,8 m²) entsteht danach Platz für rund 25 Tiere bei 1,1 m².
Im „Schlafzimmer“ soll es gut riechen
Schweine sind geruchssensibel. Der Geruchssinn ist der am besten entwickelte Sinn des Schweins. Wichtige Verhaltensweisen hängen am Geruchssinn – etwa das Wiederfinden der Zitze beim Saugferkel, die Unterscheidung von Nahrungsbestandteilen sowie das Rauscheverhalten.
Vollperforierte Stallungen erschweren die Unterteilung in Liege- und Ausscheidungsbereich, da alle Bereiche unterkellert sind. Somit verteilt sich der Geruch der Ausscheidungen gleichmäßig im Stall. Trotz guter Lüftungsanlagen ist die Schadstoffkonzentration auch auf der Liegefläche hoch, was zur Verkotung dieser Flächen führen kann.
Eine geschlossene Fläche ermöglicht nicht nur die Gabe von Einstreumaterial, sondern hält die Schadstoffkonzentration in der Luft gering, etwa wenn die Liegefläche zusätzlich baulich vom Rest des Stalles getrennt werden kann.
Zugluft regt immer zum Verkoten an
Schweine ruhen in Gruppen und bevorzugen dabei abgedunkelte Bereiche. Ist dies aufgrund des Bestandes schwer möglich, kann ein Abdunkeln der Fenster oder das Versetzen der Beleuchtung hilfreich sein. Wird die Liegefläche mit diffusionsoffenen Materialien abgedeckt, kann die Ausatemluft durch die Abdeckung entweichen und ausreichend Frischluft durch den Deckel diffundieren. Auch bei offenen Liegeflächen spielt die Belüftung eine zentrale Rolle. Zugluft regt immer zum Vermisten an, zu wenig Frischluft führt zum gleichen Ergebnis.
Typisch für einen gut genutzten Ausscheidungsbereich sind sichtbare Kotreste an der Buchtenwand. Schweine gehen oftmals bis ans Ende der Bucht und stellen sich so an die Buchtenwand, dass sie während der Kot- und Harnabgabe die gesamte Bucht im Blick haben. Aus diesem Grund empfiehlt sich auch ein Kotschlitz an der Buchtenwand, damit sich abgesetzter Kot hier nicht zu Haufen aufbaut.
Tränken passen zum Ausscheidungsbereich
Neben der Möglichkeit zum Kontakt zu den Nachbarbuchten sollte der Ausscheidungsbereich zugig, hell und feucht gehalten sein. Schalentränken sollten nicht unmittelbar am Ende einer Bucht angebracht sein, sondern an der Trennwand zur Nachbarbucht oder an einem Paneel, das den Kotbereich vom Rest der Bucht trennt. Auch hier gilt: Die optische Trennung einzelner Bereiche unterstützt die Annahme durch die Tiere. Falls Spaltenelemente im Ausscheidungsbereich erhöht angebracht werden können, motiviert das die Tiere zusätzlich zur Harn- und Kotabgabe.
Organisches Material schützt vor Langeweile
Schweine sind im Freiland zu 70 Prozent des Tages mit Futtersuche beschäftigt. Das Thema Beschäftigung hängt ganz eng mit der Ernährung zusammen. Anorganisches Beschäftigungsmaterial (Ketten, Beißsterne, Spielzeug aus PVC) ist deshalb nur bedingt sinnvoll. Organisches Material schützt wesentlich besser vor Langeweile. Heu, Stroh, Silage, Luzernepellets, Dinkelspelzen, Torf oder Kompost sind attraktive Materialien. Die Tiere können sie bewegen, ins Maul nehmen, kauen und schlucken. Herausfordernd ist die Kombination von organischem Material und perforiertem Boden. Abhilfe schaffen hier Futterautomaten, die direkt am Boden montiert sind. Ideal ist es, wenn solche Automaten als Strukturelement verwendet werden und so zur Funktionstrennung beitragen.
Mastschweine sind „Teenager“
Mastschweine sind jugendliche Tiere, die sich mit 110 kg kurz vor oder bereits in der Geschlechtsreife befinden. Das Verhalten solcher Tiere lässt sich im Vergleich zu erwachsenen Schweinen etwas schlechter lenken oder vorhersagen. Einzelne Tiere und oft auch einzelne Tiergruppen verhalten sich anders, als es sich die Tierbetreuer wünschen. Solche Ausnahmen kommen auch in gut geplanten Ställen vor und sollten niemals Grund für Frustration der Tierbetreuer sein.
Das Schwein hat immer recht
Die Buchtenstruktur hat wesentlichen Einfluss auf das Tierwohl. Allerdings müssen die Schweine das Angebot auch annehmen. Nicht immer machen die Tiere das, was beabsichtigt wurde. Schweine reagieren oft sensibler als der Mensch. Es gilt der Grundsatz: Die Schweine haben immer recht!
Damit man Probleme von vornherein vermeidet, können folgende Überlegungen hilfreich sein:
• Eine echte Strukturierung der Bucht wird erst ab einer Fläche von 1,1 m² pro Endmastschwein möglich.
• Planbefestigte Flächen eignen sich besser zum Liegen als (minimal) perforierte Flächen.
• Schweine legen ihren Ausscheidungsbereich möglichst weit entfernt vom Liegeplatz an.
• Ausscheidungsbereiche sind zugig, hell und ermöglichen Kontakt zur Nachbarbucht.
• Liegebereiche sind endständig angeordnet, planbefestigt, abgedunkelt, eingestreut, gut belüftet und bieten allen Tieren gleichzeitig Platz.
• Beschäftigungsmaterial dient nicht nur der Beschäftigung, sondern bietet den Tieren einen Mehrwert.
• Mastschweine sind „Teenager“, nicht alles, was gut gemeint ist, kommt auch an. Selbst im besten Stall kann manchmal etwas nicht funktionieren.
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Der Autor: Dr. Werner Hagmüller ist Beratungstierarzt in Oftering, OÖ
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