ProHektar: In Ihrem neuen Buch „Landverstand“ gehen Sie anfangs auf die Grundsätze der Landwirtschaft ein und behaupten, dass Landwirtschaft brutal ist. Wieso das?
Küntzle: Habe ich gesagt die Landwirtschaft ist brutal?
Sie verwenden das Beispiel mit dem Garten und den Radieschen…
Ja, das ist auf jeden Fall eines der grundlegenden Missverständnisse, dass viele, die nichts mit der Landwirtschaft zu tun haben, die Natur als etwas ganz Sanftes sehen, das nie weh tut. Das ist einer der zentralsten Fehlschlüsse, die von der Öffentlichkeit gezogen werden, vor allem von Menschen, die kaum Kontakt zu Landwirten haben. Um es wie im Buch mit dem Radieschen-Feld zu beschreiben: Jeder der etwas ernten will wird feststellen, dass wenn er die Natur einfach walten lässt, er nichts ernten wird. Irgendwas muss man immer tun, um die Kräfte der Natur auch ein bisschen einzudämmen. Natürlich muss man mit den Naturgesetzen arbeiten. Tatsache ist aber, dass ich Kulturpflanzen auch schützen muss vor Organismen, die in der Natur unterwegs sind, sonst kann ich nichts ernten. Brutal ist die Natur auch. Denn wenn ein Tier artgerecht gehalten und im Anschluss sachgerecht geschlachtet wird, ist das wohl weniger brutal, als wenn in der Natur ein altes Reh von einem Raubtier gejagt und gerissen wird.
Sie schreiben, dass Landwirtschaft eine Einschränkung der Artenvielfalt bedeutet, was für viele einen „Oh Mein Gott, das haben wir ja schon immer gewusst“-Moment hervorruft. Machen die Bauern alles richtig?
Alles richtig macht vermutlich niemand irgendwo auf der Welt (lacht). Wenn ich auf einem Feld Getreide anbaue, muss ich die Artenvielfalt einschränken, weil sonst wächst mein Getreide nicht. Würde ich die Natur wuchern lassen, dann werde ich am Ende nichts ernten. Aber in Mitteleuropa ist es ja so, dass es ohne Landwirtschaft eine geringere Artenvielfalt geben würde. Das klingt zwar widersprüchlich, aber es kommt immer darauf an, welcher Systemrahmen betrachtet wird. In Mitteleuropa würde ohne Landwirtschaft hauptsächlich Wald wachsen. Dann hätten etliche Arten, die offene Landschaften brauchen und sich erst im Schlepptau der ersten Ackerbauern hier ausgebreitet haben, keine gute Überlebenschance. Es heißt also nicht ohne Grund Feldlerche oder Feldhamster. Global werden viele Wälder, Regenwälder und Moore in landwirtschaftliche Flächen umgewandelt und dadurch geht Artenvielfalt verloren. Deswegen braucht es eine effiziente Landwirtschaft, die pro Hektar viel Ertrag liefert, damit man dann andere Flächen als Wald oder Moor belassen kann.
Welchen Einfluss hat nun die Landwirtschaft in Österreich auf den globalen Klimawandel?
Knapp 10 Prozent der Treibhausgasemissionen fallen nur auf die Landwirtschaft, aber da sind weder nachgelagerte noch vorgelagerte Bereiche mit einberechnet. Was man festhalten kann ist, dass die allermeisten Lebensmittel, die in Österreich produziert werden, pro Kilogramm einen deutlich geringeren CO2-Fußabdruck haben als im globalen Durchschnitt. Bei pflanzlichen Produkten ist die Differenz etwas kleiner, weil diese insgesamt einen geringeren Fußabdruck haben. Aber vor allem bei den verschiedenen Fleischarten ist das nicht so. Deswegen bin ich der Meinung, dass es nichts Schlechtes ist, wenn Österreich seine Schweine oder Rindfleisch exportiert. Würde Österreich kein Fleisch mehr exportieren und diese Mengen mit Produkten aus anderen Ländern, die einen höheren CO2-Fußabdruck haben ersetzt werden, dann ist das insgesamt schlecht für das Klima. Und natürlich wäre es besser, wenn wir alle weniger Fleisch konsumieren würden. Das ist aber im Moment Wunschdenken, denn der Fleischkonsum steigt global.
Sind alle Agrarsparten in Österreich so effizient?
Effizienz in Bezug worauf? Wenn ich von Effizienz spreche, meine ich meistens Klimaeffizienz oder Flächeneffizienz. Also dass man auf einer gegebenen Fläche möglichst viel ernten kann. Dazu gehört auch, dass man das optimale Maß an Intensität, sprich Input, findet. Was bei solchen Rechnungen oft vergessen wird ist der Landnutzungsfaktor. Gerade wenn es um die Bewertung von Bioprodukten geht, kalkulieren Untersuchungen, die einen vermeintlich besseren Fußabdruck für diese Produkte bestätigen, den Landnutzungsfaktor oft gar nicht oder nur eingeschränkt ein. Das haben mehrere Wissenschaftler bestätigt. Auf jedem Stück Feld könnte Wald wachsen. Der wird immer mehr CO2 speichern können als das schönste Biofeld. Und wenn man das als Landnutzungsfaktor in Rechnung stellt, dann ist gerade die Biolandwirtschaft nicht das Optimum, weil sie deutlich mehr Land in Anspruch nimmt.
Welche Landnutzungsänderung würde der heimischen Landwirtschaft guttun?
Grundsätzlich ist es berechtigt, dass es im Bergland die Milchviehhaltung gibt. Manche sagen, „früher haben wir auch auf 1000 Meter Seehöhe Roggen und Weizen angebaut und wieso machen wir das nicht auch dort oben?“. Das aber wäre eine kontraproduktive Änderung der Landnutzung, denn wenn ein Feld von Grünland in Ackerland umgewandelt wird, entstehen sehr viele CO2-Emissionen. Außerdem kann dort oben nicht effektiv Getreide angebaut werden, weil es zu feucht ist und die Temperaturen zu niedrig sind. Die Folgen wären eine geringe Ernte und das Grünland wäre zerstört. Aus Artenschutzsicht wäre es interessant, die Tierhaltung wieder mehr übers Land zu verteilen. So gab es früher zwischen Wiener Neustadt und Wien einen Weidegürtel. Dort wurden Rinder gehalten, um Wien mit Fleisch zu versorgen. Das hat natürlich die Artenvielfalt gefördert. Da gibt es natürlich auch vieles, was dagegenspricht, aber zumindest die Überlegung ist spannend.
Da zählt auch dieser „Rebound“-Effekt der Wiederkäuer mit dazu?
Der Rebound-Effekt bedeutet bei Rindern, dass bei effizienter Produktion das Fleisch billiger wird und daraufhin der Konsum ansteigt. Es ist einfach eine Tatsache, dass der globale Fleischkonsum steigt. Wir Europäer können nicht sagen, „was wir die letzten 50 Jahre gemacht haben, das dürft ihr in Indien, China oder Afrika nicht machen. Ihr kommt zwar aus der Armut raus, aber ihr müsst jetzt direkt auf eine vegetarische Lebensweise umschwenken.“ Das wird nicht passieren und letzteres wird es auch bei uns nicht spielen. Ich glaube aber, dass wir mittelfristig unseren hohen Fleischkonsum reduzieren werden. Dabei habe ich persönlich nicht vor, das Fleischessen aufzugeben.
Sind wir Europäer wirklich Vorreiter beim Umweltschutz?
Ich glaube schon, dass wir Vorreiter sind. Es gibt nirgends so strenge Umweltgesetze wie in der EU. Aber gleichzeitig haben wir manchmal auch eine falsche Vorstellung von Nachhaltigkeit. Etwa bei der Gentechnik oder wenn manche davon träumen, Pflanzenschutzmittel komplett abzuschaffen. Das klingt vielleicht für den Laien wie ein weiterer Schritt Richtung Nachhaltigkeit. Im Endeffekt aber entfernt man sich immer mehr davon. Ohne Pflanzenschutzmittel würden wir weniger produzieren und andere Kontinente müssten das kompensieren. Woanders zu schlechteren Umweltbedingungen zu produzieren und dann bei uns importieren, das ist kein Schritt Richtung Nachhaltigkeit, sondern ein grüner Anstrich für eine Politik, die nicht durchdacht ist. Wenn in einem Entwicklungsland wie Bangladesch Melanzani angebaut werden, die mittels Gentechnik insektenresistent werden und somit nicht so oft gespritzt werden müssen, dann ist Bangladesch bei diesem Produkt nachhaltiger als Österreich.
Woher kommen unsere Abwehrreflexe bei der Grünen Gentechnik?
Ich glaube mit Nennung von Greenpeace und Global2000 ist das meiste gesagt. Es gibt einfach seit Beginn der Gentechnik Kräfte, die dagegen arbeiten. Vor 40 oder 50 Jahren war es ja durchaus berechtigt, eine gewisse Skepsis gegenüber einer Technologie zu haben, die damals völlig neu war. Aber wir wissen seit mindestens zwanzig Jahren, dass Gentechnik ein Werkzeug der Züchtung ist, das per se genauso zu bewerten ist wie alle anderen Methoden der Züchtung. Das ist wissenschaftlicher Konsens. Wer das leugnet, steht auf einer Stufe mit Klimawandelleugnern oder Homöopathie-Sympathisanten. Dass Falschbehauptungen über die Gentechnik weiterhin kursieren liegt vermutlich daran, dass man das den Menschen jahrzehntelang eingebläut hat. Die Medien haben solche Falschbehauptungen lange Zeit weiterverbreitet, ohne nachzufragen. Hinzu kommt eine Natursehnsucht in uns, die uns so gerne glauben lassen möchte, dass die Natur von sich aus alles bereitstellt und dass wir da nichts herumdoktern sollten. Wenn es sich um eine Biozüchtung handelt, dann ist es ökologisch und super. Sobald Gentechnik im Spiel ist, wird es von vielen als unnatürlich wahrgenommen. Dann fallen Ausdrücke wie „Gott ins Handwerk pfuschen“ oder „die Schöpfung manipulieren“. Kritiker halten sich konsequent an solche manipulativen Framings. Man muss sich über die Ablehnung nicht wundern, auch wenn es keine rationalen Gründe dafür gibt.
Wäre das nicht auch Aufgabe politischer Interessensvertreter, hier klare Position einzunehmen?
Entweder ist es der fehlende Mut oder vielleicht liegt es daran, dass es wirklich hoffnungslos ist, sich da zu positionieren. Ich bin überzeugt, dass wir über kurz oder lang die Grüne Gentechnik in Österreich genauso nutzen werden, wie das bereits global passiert. Abgesehen davon nutzen wir sie ja eh schon. Heute sind fast alle Hartweizen-Sorten Mutagenese-Züchtungen. Das ist Gentechnik per Definition der EU-Gesetzgebung und dennoch im Bio-Landbau erlaubt, ohne dass sich jemand aufregt.
Eine Entscheidung zu „Crispr Cas“ steht bald auf EU-Ebene an. Wie wird diese ausfallen?
Es gibt Fragen in der Wissenschaft, wo es wissenschaftlich keinen Streit mehr gibt. Das ist so bei der Gentechnik, beim menschengemachten Klimawandel, bei der Homöopathie, oder bei der Tatsache, dass es das Coronavirus gibt. Da gibt es wissenschaftlichen Konsens und einige wenige Außenseiter, die Gegenteiliges behaupten. Man kann immer irgendwelche Studien oder Wissenschaftler finden, die absurde Thesen vertreten. Aber so können wir nicht arbeiten.
Besteht die Chance, dass die Züchtungsmethode Crispr Cas gesellschaftlich akzeptiert wird?
Wir müssen mehr über die Produkte der Gentechnik reden, die nachweislich zu weniger Pestizideinsatz und höheren Erträgen führen und allein dadurch eine Klimaschutzmaßnahme darstellen. Mehr darüber reden, was Gentechnik kann. Wenn wir auf ein Produkt ‚gecrispert‘ oder ‚Pestizid-reduziert‘ draufschreiben, um die Vorteile rauszustellen, würde das mehr kommuniziert werden. Ich würde aber nicht so tun, als hätte es nichts mit Gentechnik zu tun. Solange man kein Fremd-Gen von außen einführt, ist das Produkt nichts anderes als eine normale Kreuzung, nur dass es gezielter und schneller bewerkstelligt werden kann. Aber darauf zu pochen, dass es sich nicht um Gentechnik handelt, würde wie Vertuschung wirken. Ich würde einfach betonen: Gentechnik ist ein Werkzeug der Züchtung und wenn man es richtig einsetzt, dann hilft es, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren, Ackerflächen effizienter zu nutzen und unsere Erntemengen zu sichern.
Buchtipp mit „Landverstand“: Das Buch beleuchtet die Hintergründe der Lebensmittelproduktion und ist für diejengien geschrieben, die sich für die großen Zusammenhänge zwischen Landwirtschaft, Lebensmittelproduktion und Klima interessieren.
Dem Autor, Timo Küntzle, ist es fast durchgängig gelungen, komplexe Sachverhalte verständlich aufzubereiten, um sie auch wiederzugeben. Küntzle füttert seine Leserinnen und Leser in jedem Kapitel mit vielen Informationen und Argumenten, es ist ein stetes Abwegen von Pro und Kontra unter Berücksichtigung der bis dato vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse. Mit einem durchaus konfrontativen Zugang zu NGO’s zeigt er bei jedem Thema die Widersprüche in deren Aussagen auf und entkräftet auch populistische Forderungen von selbsternannten Weltverbesserern mit konkreten Fakten. Doch statt der steten Zuspitzung konträrer Positionen, bringt das Ende eines jeden Kapitels immer interessante Lösungsansätze mit sich. Viele Denkanstöße für die bäuerliche Leserschaft inklusive.
- Bildquellen -
- Cover Landverstand: Verlag Kremayr & Scheriau
- Timo Kuentzle: Martina Rieberer