Im Jahr 2050 werden neun Milliarden Menschen auf der Erde leben. Um diese ausreichend zu ernähren, muss sich die Nahrungsmittelproduktion nahezu verdoppeln. In-vitro-Fleisch, umgangssprachlich auch Laborfleisch genannt, wird das Potenzial zugeschrieben, zukünftige Probleme in der globalen Lebensmittelversorgung und Umweltauswirkungen der Fleischproduktion zu lösen.
Dr. Aleksandra Fuchs ist Biotechnologin und beschäftigt sich im Austrian Centre of Industrial Biotechnology mit der Herstellung von In-vitro-Fleisch. In den nächsten 30 Jahren wird die Nachfrage nach Proteinzufuhr aufgrund des Bevölkerungswachstums stetig steigen. Um den Bedarf zu decken, muss etwa 40 Prozent mehr Fleisch produziert werden. „Das größte Problem stellt die Flächenknappheit dar. Ein Großteil der verfügbaren Agrarfläche wird bereits genutzt. 70 Prozent davon entfallen auf Weideflächen, der Rest ist Ackerland. Das Ackerland wird aber wiederum zu 70 Prozent dazu genutzt, um Futtermittel für die Fleischproduktion anzubauen“, erklärt Fuchs. Da Futtermittel meist in Monokulturen angebaut wird, geht mit der derzeitigen Form der Nutztierhaltung ein massiver Verlust an Biodiversität einher. „Nun kann man verschiedene Maßnahmen ergreifen. Sinnvoll ist, auch in gesundheitlicher Hinsicht, den Konsum von rotem Fleisch zu reduzieren. Alternativen bieten pflanzen- und pilzbasierte Produkte. Und zuletzt haben wir noch die Option von kultiviertem Fleisch und Fisch.“
Keine Zulassung in Europa
In-vitro-Fleisch bietet laut der Expertin diverse Vorteile. Die Produktion kommt ohne die Verwendung von Antibiotika aus und es werden weniger Nutztiere, Flächen und Wasser benötigt. Die Nutzung von erneuerbaren Energien im Herstellungsprozess senkt Treibhausgasemissionen und Feinstaubbelastung. Derzeit ist der Energiebedarf und Kostenfaktor der Produktion noch zu hoch, um kultiviertes Fleisch im industriellen Maßstab herzustellen. Die Zulassung von In-vitro-Fleisch erfordert umfassende Untersuchungen, wie sich das neue Produkt auf die Gesundheit auswirkt. Das betrifft vor allem Toxikologie, allergenes Potenzial, ernährungsphysiologische Zusammensetzung, mikrobiologische und chemische Sicherheit sowie alle Aspekte des Herstellungsprozesses. Derzeit ist In-vitro-Fleisch in Singapur, Israel und den USA zugelassen. Als Chance sieht Fuchs, die Herstellung von kultiviertem Fleisch mit traditioneller Landwirtschaft zu verbinden.
Vegane „Cash Cow“
Etwa ein Viertel der neu eingeführten Lebensmittel entfallen auf vegane Produkte. Damit beschäftigt sich Mag. Angelika Kirchmaier. „Auf die Frage, ob wir Fleisch-ersatz brauchen, würde ich pauschal mit ‚Ja‘ antworten. Viele chronische Erkrankungen sind das Resultat von schlechter Ernährung und übermäßigem Fleischkonsum. Den Eiweißbedarf kann man aber mit natürlichen Lebensmitteln und einer ausgewogenen Ernährung decken, zu der natürlich auch Fleisch gehört.“
Kritisch sieht Kirchmaier die gesetzliche Grundlage für Fleischersatzprodukte: „Im österreichischen Lebensmittelgesetz gibt es dazu kein Kapitel. Zutaten, die mit einem Anteil von unter zwei Prozent enthalten sind, müssen nicht gekennzeichnet werden. Allergische Reaktionen werden aber bereits bei Kontakt mit Spuren eines Inhaltsstoffes ausgelöst. Gibt es eine Vielzahl an unnatürlichen Allergenen in einem Produkt, kann es zu einer schneeballartigen Vermehrung von Allergien kommen.“
Das Fazit: Die Palette an veganen Produkten ist immens und aufgrund der derzeitigen Trends ein lukratives Geschäft. Die gesundheitlichen Auswirkungen beschreibt Kirchmaier nach derzeitigem Wissensstand als fatal. „Mit dem Lebensmittelabfall von Nordamerika und Europa könnte man alle Hungernden dieser Welt dreimal ernähren. Wir müssen beim Umgang mit Lebensmitteln grundlegend umdenken“, so die Expertin.
Landwirtschaft sichert Lebensmittelversorgung
Eine bundespolitische Einschätzung liefert Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig. „Wachsende Weltbevölkerung, Klimawandel, militärische Konflikte – die globalen Herausforderungen sind vielfältig. Wir haben uns in der EU dazu verpflichtet, unsere Wirtschaft modern, ressourceneffizient und wettbewerbsfähig zu gestalten. Anreize helfen dabei besser als Verbote, wie man etwa an der starken freiwilligen Teilnahme am ÖPUL-Programm sehen kann. Unsere Bäuerinnen und Bauern leisten einen wesentlichen Beitrag zu Klimaschutz und Biodiversität. Auch bei den Treibhausgasemissionen in der Produktion haben wir sehr niedrige Werte und sind Spitzenreiter innerhalb der EU.“
Die österreischische Landwirtschaft ist von Grünland geprägt. Diese Fläche kann nur von Wiederkäuern genutzt werden. Eng damit verbunden ist die einzigartige Alm- und Berglandwirtschaft, die ohne Nutztiere nicht fortgeführt werden kann. Landwirtschaft stellt in Österreich einen erheblichen Wirtschaftsfaktor dar, und bietet entlang der Wertschöpfungskette etwa 420.000 Arbeitsplätze.
Bei In-vitro-Fleisch sieht Totschnig noch viele offene Fragen: „Zurzeit haben wir natürlich einen Trend in diese Richtung. Man verspricht sich von kultiviertem Fleisch einfache Lösungen für globale Probleme. Auf EU-Ebene hat Österreich mit Italien und Frankreich mit der ‚Kulinarik-Allianz‘ eine breite Diskussion gefordert. 18 Mitgliedsstaaten haben diese Forderung unterstützt. Wir benötigen eine umfassende und faktenbasierte Folgenabschätzung. Vor einer möglichen Markteinführung von In-vitro-Fleisch sind Transparenz und klare Kennzeichnung auf EU-Ebene geboten. Das geht nur durch unabhängige Forschung. Generell gilt aber, dass die Verurteilung von tierischen Produkten aufhören muss. Wir brauchen eine ausgewogene Ernährung mit Hausverstand. Deshalb lautet die Antwort auf die Frage ‚Wer versorgt uns in Zukunft mit Lebensmitteln?‘ eindeutig: unsere heimische Landwirtschaft.“
Auch Landesbäuerin LK-Vize Helga Brunschmid und Bauernbundobmann LH-Stv. Josef Geisler, die im Namen der Veranstalter des Infoabends sprachen, schlugen in dieselbe Kerbe. „Uns war es wichtig, mit dieser Infoveranstaltung Wissen zu vermitteln und damit Missverständnisse und Ängste aus dem Weg zu räumen. Letztendlich wird unsere heimische Berglandwirtschaft mit ihren höchsten Produktionsstandards auch weiterhin einen wesentlichen Stellenwert in der Versorgung mit Lebensmitteln haben“, so Brunschmid. Geisler ergänzte: „Wir haben an diesem Abend gesehen, wie vielschichtig dieses Thema ist. Bei der Versorgung unserer Bevölkerung geht es nicht nur um Laborfleisch und Fleischersatzprodukte, sondern dreht sich vieles um Bewusstseinsbildung und das Wissen um Lebensmittelverarbeitung, Lebensmittelverschwendung und die Rahmenbedingungen für die Produktion für unsere Bauern. Somit können wir alle einen Beitrag dazu leisten, damit unsere Teller auch in Zukunft gefüllt bleiben und zwar mit gesunden und heimischen Lebensmitteln.“
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