Was bei Pizza und Co. schon lange selbstverständlich ist – zumindest in größeren Gemeinden und Städten – soll nun auch im Lebensmitteleinzelhandel zum Standard werden: der Onlineversandhandel. Ob es sich dabei um einen eher fragwürdigen oder doch vielversprechenden Trend handelt, versuchten Marktforscher, Direktvermarkter und Experten aus Theorie und Praxis in einer Diskussionsveranstaltung des Netzwerks Zukunftsraum Land zu klären.
Als Ziel der Veranstaltung galt es, die Auswirkungen der demografischen Entwicklungen, wie die starke Zunahme von Ein-Personen-Haushalten, die neuen Formen des Zusammenlebens, die Erwerbstätigkeit der Frauen und die Digitalisierung des Alltags auf die Vermarktung von Lebensmitteln he-rauszufinden. Solche gesellschaftlichen Veränderungen beeinflussen schließlich zahlreiche Entscheidungen, die Lebensmittelproduzenten, -verarbeiter und -vermarkter zu treffen haben.
Zeit und Mühe sparen
GfK-Marktforscher Rudolf Bret-schneider erklärte zunächst die demografischen Veränderungen unserer Gesellschaft. “Wir leben häufiger unter Stress und favorisieren daher Angebote, die uns Zeit und Mühe sparen”, so Bretschneider. Dazu würde etwa bügelfreie Wäsche zählen, genauso wie Fertig- oder Halbfertigprodukte im Lebensmittelbereich – Stichwort: Convenience-Produkte. Auch die Einkaufs- und Informationswege verkürzten sich massiv. Das Filialnetz an Supermärkten ist sehr eng, und das Internet ermöglicht zudem die Vorabinformation über jegliche Produkte sowie deren direkte Bestellung. Das betrifft nicht mehr nur Bücher, Kleidung und Schuhe, sondern auch Produkte wie Möbel und Lebensmittel.
“Das Phänomen der Internetnutzung können wir gar nicht überschätzen in seiner Auswirkung”, betonte Bret-schneider. Mehr als 80 Prozent (%) der Österreicher nutzen das Internet. Diese Zahl steigt mit der Bevölkerungsentwicklung. Zudem zeigt die demografische Entwicklung, dass es bald mehr Haushalte geben wird, denn die Zahl der Ein-Personen-Haushalte steigt. Hinzu kommt das Phänomen der Zeitknappheit, das oftmals unterschätzt werde, so der Marktforscher. Das sei selbst in den Kirchen spürbar, denn “die Predigten werden auch kürzer”, verdeutlichte Bretschneider. Diese gesellschaftlichen Entwicklungen bewirken auch Veränderungen im Einkaufsverhalten.
Zum Einkaufsverhalten
Eine GfK-Umfrage ergab: Alle kaufen Lebensmittel im Supermarkt, 17 % der Konsumenten kaufen noch beim Greißler ein, 23 % kaufen ab Hof, 37 % am Markt oder Bauernmarkt, und bereits sieben Prozent kaufen online ein. Für Bretschneider bedeutet das: “Der Onlinehandel von Lebensmitteln ist schon da. Die Frage ist: Wie wird sich das in Zukunft entwickeln?”
Parallele zur Vergangenheit
AMA-Marktforscherin Micaela Schantl sieht im Onlineversandhandel mit Lebensmitteln eine Parallele zur Vergangenheit: “Früher gab es auch den Milchmann, der die Milch vors Haus lieferte”, erinnerte Schantl. Auch sie erklärte den Anstieg des Onlineversands mit dem Phänomen der Zeitknappheit: “Wir haben nicht die Zeit, direkt zum Bauern zu fahren, hätten aber trotzdem gern seine Produkte.”
Um genau diese Wünsche zu erfüllen, gibt es bereits mehrere Onlineplattformen. So kann der Konsument online unter www.myproduct.at “handgefertigte Qualitätsware” bestellen. Diese reicht von Lebensmitteln bis hin zu Kosmetik oder Einrichtungsgegenständen. Auch die Vereinigung der Biobauern, Bio Austria, hat in Kooperation mit myproduct.at den eigenen Webshop für Bioprodukte überarbeitet.
Enorme Steigerung
Der Lebensmittelversand beschränkt sich allerdings nicht mehr auf eine Nische. Auch die großen Supermarktketten bieten die Onlinebestellung an. Der Kunde kann wählen, ob er die Produkte dann selbst vor Ort abholt oder sie sich nach Hause liefern lässt. Auch die Post stellt bereits Lebensmittel zu. Der Umsatz daraus ist 2016 im Vergleich zu 2015 um 400 % gestiegen, erklärte Andrea Rodlauer von der Österreichischen Post AG. “Wir gehen davon aus, dass sich das nächstes Jahr verfünffachen wird”, so Rodlauer. Die Post arbeitet u. a. mit zwei Direktvermarktern zusammen, die einen Logistikpartner für den Versand gesucht haben. Die Direktvermarkter bündeln die Bestellungen, und die Post liefert sie am folgenden Tag aus.
Auch der Obmann der Direktvermarkter Österreichs, Anton Heritzer, bestätigte diesen Trend. Er erhält Bestellungen wie “ein Schweinsbratl für kommenden Freitag”, ähnlich wie bei einem Catering. Heritzer merkt auch, dass die Nachfrage größer ist, als die Menge, die er vermarkten kann. “Wir müssen unseren Bereich stärker spezialisieren, in Marketing und Vertrieb”, betonte Heritzer.
Marge niedrig, Kosten hoch
Dass der Onlineversand von Spezialitäten funktioniert, bestritt auch Robert Zniva, Assistenz-Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien, nicht. Allerdings sieht Zniva im Onlineversand von Lebensmitteln generell einen “fragwürdigen Trend”. Derzeit werden in Europa weniger als ein Prozent der Lebensmittel online bestellt, in Amerika ca. drei Prozent. Für Zniva ist das Problem eindeutig: “Es gibt keine Last-Mile-Lösung, und die Margen bei Lebensmitteln sind gering, die Kosten für die Zustellung sehr hoch”, fasste Zniva zusammen. Die “Last-Mile-Problematik” bedeutet: Wie kommen die Lebensmittel von Zentrallagern oder Supermärkten bis zum Kunden? Die Post etwa darf nur zustellen, wenn das Lebensmittelpaket direkt vor der Wohnungstür abgelegt werden kann, nicht aber vor der Haustür, wenn diese auf öffentlichen Straßen oder Plätzen liegt. Zniva wies auch auf die enge Filialdichte der Supermärkte hin, “da muss der Onlinehandel erstmal dagegen ankommen”.
Geteilte Meinungen
Bretschneider hingegen glaubt an die positive Entwicklung des Lebensmittelversands. Er bewertet die derzeitige Situation ähnlich wie beim Online-Banking. Da habe sich anfangs auch sehr wenig bewegt, bis es dann durch verbesserte Nutzerfreundlichkeit und gestiegenes Vertrauen ins Internet mit dem Online-Banking rasant nach oben ging. Sind erst die vielfältigen logistischen Herausforderungen der Lebensmittelzustellung gelöst, könnte aus diesem Trend die Zukunft werden. Und: Laut Informationen der Post will auch der Onlineversand-Riese amazon in den österreichischen Lebensmittelversand einsteigen. Man darf also gespannt bleiben.
Eva Zitz