Die Corona-Krise hat neu ins Bewusstsein gebracht, wie wichtig die regionale Landwirtschaft für eine sichere Versorgung mit Nahrungsmitteln ist. Vor diesem Hintergrund stellte die Industriegruppe Pflanzenschutz ihren siebten „IGP-Dialog“ unter das Thema „Wie sicher ist unsere Lebensmittel-Versorgung?“
Teilnehmer des am 28. Mai als Webkonferenz abgehaltenen Dialogs waren
• Valentin Opfermann von der Generaldirektion Agrar der Europäischen Kommission,
• Sektionsleiter Johannes Fankhauser (BMLRT),
• Hans Mayrhofer (Ökosoziales Forum) und
• Christoph Metzker (RWA Raiffeisen Ware Austria).
Seitens der Industriegruppe Pflanzenschutz als Veranstalter machte deren Vorstand Christoph Stockmar darauf aufmerksam, dass Knappheitssituationen bei Grundnahrungsmitteln wie beispielsweise Kartoffeln sehr real sind und jederzeit passieren können. Das habe die Corona-Krise sehr deutlich gezeigt. Solche Szenarien seien mit Pflanzenschutzmaßnahmen eng verwoben, denn von einem sachgerechten und funktionierenden Pflanzenschutz hänge direkt ab, welche Erntemengen im Inland zur Verfügung stehen und wie gut die Versorgung mit Lebensmitteln gesichert werden kann.
Weniger Dünge- und Pflanzenschutzmittel
Seitens der Moderation wurde dieser Ball sofort nach Brüssel weitergespielt, von wo aus GD-Agri Mitarbeiter Valentin Opfermann die Grundlinien der Biodiversitätsstrategie als Teil des „Green Deals“ der EU-Kommission erläuterte. Im Zuständigkeitsbereich von EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides wurde die kürzlich vorgestellte “Farm to Fork”-Strategie („Vom Hof auf den Tisch“) entwickelt, wonach
• die eingesetzte Menge an Pflanzenschutzmitteln bis 2030 um 50 Prozent reduziert werden soll sowie
• die ausgebrachte Menge an Düngemitteln in den kommenden zehn Jahren um 20 Prozent vermindert werden soll.
Weitere weitreichende Anforderungen sieht die Strategie für die Artenvielfalt vor, in deren Rahmen EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius vorschlägt,
• zehn Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche zur Erholung von Vogel- und Insektenbeständen mit Landschaftselementen, Blühstreifen oder Brache zu widmen.
• Weiters soll der Anteil an Bioflächen bis 2030 EU-weit auf einen Mindestanteil von 25 Prozent steigen..
Opfermann erläuterte zudem, dass die Landwirtschaft in der EU bereits von einem hohen Niveau starte und etwa im Bereich Klimaschutz in den vergangenen 25 Jahren etwa ein Fünftel der Emissionen eingespart habe, während außerhalb der EU sich der Ausstoß an Treibhausgasen verdoppelt habe. Dennoch wolle man in der EU weitere Schritte machen in Richtung einer nachhaltigen und umweltfreundlichen Landwirtschaft. Dazu müsse die Landwirtschaft auch hierzulande noch mehr schaffen und nachbessern. Die Gesellschaft habe neue, höhere Erwartungen. Von dem mit 750 Milliarden Euro dotierten Corona-Aufbauprogramm der EU-Kommission seien 15 Milliarden für die ländlichen Gebiete vorgesehen.
Engpass bei Arbeitskräften
Seitens des BMLRT verwies Sektionsleiter Johannes Fankhauser mit Bezug auf das Thema des Dialogs, dass die Lebensmittelversorgung auch auf dem Höhepunkt der Krise zu keinem Zeitpunkt gefährdet war. Ein Bedrohungsszenario sei insofern entstanden, als in den Schlachthöfen und fleischverarbeitenden Betrieben die Gefahr eines Arbeitskräftemangels bestand. Die heimischen Schlachtbetriebe seien zu etwa 80 Prozent von Arbeitskräften aus dem Ausland abhängig. Eine länger dauernde Grenzschließung könnte dazu führen, dass zwar genug Schlachtvieh da sei, aber zu wenig Arbeitskräfte für die Schlachtungen. Bereits nach einer Zeitspanne von einer Woche könnte in einem Krisenfall das Fleisch knapp werden.
Wo sind die Märkte für 25 % Bioanteil?
„Grundsätzlich“ stimmte Fankhauser dem Ziel der EU-Kommission zu, Maßnahmen zur Milderung der Klimaerwärmung zu setzen. Die nun im „Grean Deal“ vorgeschlagenen Maßnahmen seien „in Wahrheit“ das, was die österreichische Agrarpolitik bereits seit vielen Jahren umsetze.
Kritisch zu fragen sei demnach, ob die vorgeschlagenen Maßnahmen dieser Zielsetzung gerecht werden können. Denn wenn man etwa einen Bioanteil von 25 Prozent fordere, müsse man dafür auch die Absatzmärkte schaffen. Und wenn man eine Reduktion beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln verlange, dann sei auch zu definieren, ob es sich um Mengen, Wirkstoffe oder andere Parameter handle und wie man in den einzelnen Mitgliedstaaten die Ausgangsposition definiert. Die derzeitigen Vorschläge seien viel zu undifferenziert. Bezeichnend sei auch, dass es sich um Strategien des Umwelt- und des Gesundheitskommissars handle, der Landwirtschaftskommissar sei bei der Vorstellung von „Farm to Fork“ nichteinmal anwesend gewesen.
Eine Lehre aus der Coronakrise sei, dass man die regionale Landwirtschaft und die regionale Wertschöpfung stärken müsse. Darauf müsse man in der neuen GAP und in den Programmen der Ländlichen Entwicklung Rücksicht nehmen.
Bauern brauchen Verlässlichkeit
Hans Mayrhofer verwies als praktizierender Landwirt auf das Bedürfnis der Bauern nach Planbarkeit und Verlässlichkeit der Rahmenbedingungen. Weitere Einsparungen bei Pflanzenschutz und Düngung erfordern teure Technik, die für die meisten kleineren und mittleren Betriebe viel zu teuer sei.
Mit Reduktion sichert man keine Erträge
Für die RWA, Österreichs größtem Agrarhandelsunternehmen, stellte Vorstand Christoph Metzker fest, dass die Versorgung mit Betriebsmitteln und Ersatzteilen auch während der Corona-Krise gegeben war. Man sei vom Shutdown überraschend getroffen worden, die Bevorratung sei aber gut.
Auch Metzker sah im „Grean Deal“ wichtige Ansätze für Maßnahmen gegen den Klimawandel, man müsse hier aber „das große Ganze“ sehen. Der Klimawandel sei die weitaus größte Bedrohung für die heimische Landwirtschaft. Einzelmaßnahmen etwa bei Düngung und Pflanzenschutz könnten in die Irre führen. Beispielsweise habe Österreich in den vergangenen 15 Jahren den Einsatz an Mineraldüngern halbiert. Länder wie z. B. Deutschland arbeiten hier noch auf einem ganz anderen Niveau.
Auch an das Thema Pflanzenschutz müsse man differenzierter herangehen. Wenn man Reduktionen vornehme, dürfe man doch nicht Produktionsmöglichkeiten einschränken – was für konventionell und bio gleichermaßen gelte. Einfach nur zu reduzieren sei zu wenig, so Metzker. Die Borkenkäferinvasion in unseren Wäldern oder gar die Heuschreckenplage in Afrika würden deutlich machen, wie wichtig der Einsatz gegen den Klimawandel sowie auch für einen sachgerechten Pflanzenschutz seien.
In Österreich und in Europa würden sich die Landwirte betriebswirtschaftlich schon „auf dünnem Eis“ bewegen. Die Betriebe müssen kostendeckend und ertragreich produzieren, um bestehen zu können. Streicht man Produktionsmittel, dann könnten Fruchtfolgen verloren gehen und mit neuen Monokulturen die Biodiversität auf der Strecke bleiben – eine Entwicklung, die man sicher nicht wolle. Am Ende des Tages zähle für den Landwirt der Deckungsbeitrag pro Hektar. Hier dürfe man nicht falsch steuern.
Basisjahr nicht definiert
Durch die Replik Opfermanns wurde in der Debatte klar, dass die EU-Kommission für die vorgeschlagenen Ziele beim reduzierten Dünge- und Pflanzenschutzmitteleinsatz noch kein Basisjahr definiert hat. Auch die Ausgangsposition der einzelnen EU-Länder ist bisher noch nicht berücksichtigt. Zudem gehe es nicht um absolute Mengen, man arbeite an Indikatoren, um die Maßnahmen bewerten zu können, so der GD-Agri-Mitarbeiter.
Auf die Frage, wie weit die Generaldirektion für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit die Corona-Krise in ihre Farm to Fork-Strategie eingearbeitet habe, stellte Opfermann fest, dies sei geschehen. Ursprünglich seien die Einsparungsziele noch höher gewesen.
Seitens der EU-Kommission sei nicht beabsichtigt, dass „kleine Betriebe wegsterben“. Die Reduktionsziele seien erreichbar mit neuen Ansätzen. Digitalisierung sei nur einer davon, weitere seien Züchtung, Biotechnologien sowie Bildung und Beratung.
In der zweiten Säule der GAP werde man neue, ergebnisorientierte Elemente entwickeln:
So seien Projekte in Entwicklung, die die Maßnahmen von Landwirten zur CO2-Bindung honorieren. Die EU-Kommission arbeite an einem Rechtsrahmen zur Zertifizierung solcher Modelle.
EU-Kommission will Umweltstandards „exportieren“
Zur Bedeutung der neuen Strategien für die Position der EU auf den Weltagrarmärkten meinte Opfermann, der EU-Kommission sei bewusst, dass die EU für den Weltmarkt produziere. Würde die EU mit den Reduktionszielen die Produktion verteuern, dann könnten davon Staaten mit niedrigeren Umweltstandards profitieren. Dies sei eine Entwicklung, der man vorbeugen wolle. Vielmehr will die EU-Kommission ihre hohen Umweltstandards „exportieren“. So sollen bei Importen von Agrarerzeugnissen aus Drittstaaten auch die dortigen Produzenten an die EU-Standards gebunden sein. Dazu sollen die Umwelt- und Klimaziele auch in den Handelsverträgen verankert werden.
Wie weit dies beispielsweise für Importe von GMO-Soja aus Südamerika gelten wird (Glyphosat könnte ja in der EU verboten werden), blieb offen.
Was die „Eigenversorgung“ der EU mit Pflanzenschutzmitteln betrifft, musste sich Opfermann in der Debatte dem Vorwurf stellen, dass die restriktive Zulassungspolitik der EU zur Abwanderung wichtiger Forschungsbudgets aus Europa führt. Die EU verliere damit moderne Pflanzenschutzmittel, während ältere Wirkstoffe laufend verboten würden. Der DG-Agri Mitarbeiter ließ dazu mit der Nachricht aufhorchen, dass die EU-Kommission anstrebe, die Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel zu verkürzen und zu vereinfachen.
Die Nachfrage der Konsumenten nach Biolebensmitteln wolle die EU-Kommission mit einem Aktionsplan stimulieren.
Den IGP-Dialog zum Nachschauen finden Sie hier: IG-Pflanzenschutz
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