„Es gibt viele Möglichkeiten zu helfen“

Nach zwei pandemiebedingten Ausnahmejahren hatten viele heuer zu Ostern auf eine Wiederkehr der Normalität gehofft. Nun herrscht in Osteuropa Krieg. Millionen Menschen sind mittlerweile davor geflüchtet, Zehntausende nach Österreich. Ein Ende der Kampfhandlungen ist nicht in Sicht. Ein Gespräch mit Werner Freistetter, Österreichs Militärbischof.

Werner Freistetter, Österreichs Militärbischof Foto: Katholische Militärseelsorge

BauernZeitung: Viele Österreicher blicken nach wie vor gebannt auf die Ukraine und haben Angst. Wie geht es Ihnen als Militärbischof in der gegenwärtigen Situation?
Freistetter: Ich bin nach wie vor erschüttert über den klar völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf ein Nachbarland und die katastrophalen Folgen, die dieser Krieg für die Menschen in der Ukraine hat und haben wird. Ich habe großes Mitgefühl für die Bevölkerung der Ukraine, besonders in den umkämpften Regionen. In manchen Städten ist ein großer Teil der Häuser zerstört, Medikamente, Lebensmittel und Wasser werden knapp. Viele Menschen sind getötet, verwundet, eingeschlossen, traumatisiert, auf der Flucht. Ich denke aber auch an die jungen russischen Soldaten, die in einen Krieg geschickt werden, der nicht wenigen von ihnen ihr Leben, ihre Gesundheit und ihre moralische Integrität kosten kann.

Die folgende Frage an Sie drängt sich förmlich auf: Die Ukraine wurde von der russischen Armee angegriffen. Im Matthäus-Evangelium steht in der sogenannten Bergpredigt der vielzitierte Satz von Jesus: „Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand. Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.“ Hätten sich die Ukrainer also gegenüber dem Aggressor fügen sollen, wie manche meinen, um den Krieg rasch wieder zu beenden?
Diese Stelle in der Bergpredigt gehört tatsächlich zum Kern der christlichen Botschaft: Durch den persönlichen Gewaltverzicht der Christen soll denen, die auf Gewalt setzen, der Wind aus den Segeln genommen werden. Die christliche Gemeinschaft soll Zeichen dafür sein, dass ein Leben der Menschen miteinander ohne Gewalt möglich ist und wir in unserem Leben auf dieses Ziel hinarbeiten sollen. Die Bergpredigt macht dieses Ziel sichtbar und ordnet christliches Leben darauf hin. Jesus spricht dort aber nicht von staatlichen Aufgaben. Ein völliger Verzicht auf die Ausübung und Androhung von Gegengewalt im Rahmen des staatlichen Gewaltmonopols würde binnen kurzem zu einer Auflösung der rechtsstaatlichen Ordnung führen, ein einseitiger Verzicht auf die Bereitschaft zur Selbstverteidigung in der gegenwärtigen Lage potenziellen Aggressoren das Feld überlassen. Deshalb ist Selbstverteidigung in der UN-Charta, deren vorrangiges Ziel ja gerade die Verhinderung zwischenstaatlicher Kriege ist, erlaubt, sofern der Aggression nicht durch eine entsprechende Maßnahme der internationalen Gemeinschaft bereits wirksam begegnet wird. Das wäre etwa ein militärischer Einsatz aufgrund eines Mandats des UN-Sicherheitsrates. Auch das Zweite Vatikanische Konzil bekräftigt in der Konstitution „Gaudium et spes 79“ das Recht auf Selbstverteidigung unter bestimmten ethischen Bedingungen: „Solange die Gefahr von Krieg besteht und es keine zuständige internationale Autorität gibt, die mit entsprechenden Mitteln ausgestattet ist, kann man, wenn alle Möglichkeiten einer friedlichen Regelung erschöpft sind, einer Regierung das Recht auf sittlich erlaubte Verteidigung nicht absprechen.“

Kritik gibt es an der russisch-orthodoxen Kirche. Der Patriarch von Moskau Kyrill hat den Aggressionskurs Putins bislang nicht verurteilt und in manchen Stellungnahmen auch Legitimationsversuche anklingen lassen. Droht auch eine Spaltung der Kirchen?
Das Verhältnis zwischen dem Moskauer Patriarchat und den beiden von Moskau unabhängigen orthodoxen Kirchen in der Ukraine, die nach der Wende Anfang der 1990er Jahre entstanden sind, war von Anfang an belastet, weil die Ukraine aus Sicht der Russisch-Orthodoxen zu ihrem kanonischen Territorium gehört. Nach der Wiedervereinigung der beiden Kirchen in der Ukraine und der Anerkennung ihrer Eigenständigkeit durch das Patriarchat von Konstantinopel hat sich das Verhältnis noch einmal verschlechtert und gilt mittlerweile als sehr angespannt. Der Krieg wird sicher nicht zur Entspannung der Beziehungen beitragen. Aber anders als Kyrill hat Onufrij, der Metropolit der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats, den russischen Angriff klar verurteilt.

Was kann Kirche in Österreich jetzt überhaupt bewirken, im Kleinen wie im Großen, um den Menschen zu helfen und sogar auf ein Ende des Krieges in der Ukraine hinzuwirken? Wie können sich Menschen jetzt am sinnvollsten einbringen? Wozu sind die europäischen Katholiken verpflichtet?
Es gibt viele Möglichkeiten zu helfen: Durch Gebet, Appelle und Initiativen für den Frieden, durch Zeichen der Solidarität mit den Kirchen in der Ukraine. Auch durch klare Stellungnahmen zum Angriffskrieg und bei offensichtlichen Kriegsverbrechen. Ebenfalls durch humanitäre Hilfe seitens kirchlicher Hilfswerke, NGOs und privater Initiativen sowie durch Sach- und Geldspenden für verschiedene Projekte. Vor allem gehört auch die herzliche und großzügige Aufnahme von Flüchtlingen in den Diözesen, Pfarren oder Familien dazu.

Der Krieg zerstört gerade auch Europas Kornkammer. Das Getreide aus der Ukraine und auch aus Russland wird in Afrika und im Nahen Osten fehlen, die Zahl der Hungernden wird steigen. Kann man vor diesem Hintergrund die angekündigte massive Erhöhung der Militärausgaben europaweit, auch in Österreich, gutheißen?
Aus globaler Perspektive steht Papst Franziskus einer massiven Aufrüstung, verbunden mit einer generellen Aufstockung der Militäretats, mit Recht kritisch gegenüber. In einem demokratischen Staat muss jedenfalls sichergestellt werden, dass die Armee jene Mittel erhält, die sie zur Erfüllung ihrer verfassungsmäßig festgelegten Aufgaben benötigt. Das gilt gerade auch für neutrale Staaten wie Österreich. Die gemeinsamen Anstrengungen aller Länder gegen die Getreide- und Nahrungsmittelknappheit erfordern sicher auch den Einsatz erhöhter finanzieller Mittel, um speziell den armen und benachteiligten Staaten oder Regionen Zugang zu Lebensmitteln in ausreichendem Maß zu ermöglichen. Ich denke, es gibt für ein reiches Land wie Österreich ausreichend budgetäre Möglichkeiten, sowohl dem Österreichischen Bundesheer die für die Erfüllung seiner Aufgaben benötigten Mittel an die Hand zu geben wie auch sich großzügig an internationalen Initiativen gegen den Hunger zu beteiligen – auch gemeinsam mit kirchlichen Akteuren, die in diesem Bereich sehr aktiv sind.

Zwei Jahre lang hat die Pandemie mit ihren Ausgangssperren und Abstandsregeln auch die Karwoche und das Osterfest beherrscht. Die Kirchen waren geschlossen oder leer, liturgische Handlungen teilweise untersagt, Gottesdienste wurden via TV und Internet verfolgt. Manche befürchten, dass die Zahlen der Kirchgänger wie in Vor-Pandemie-Zeiten nicht mehr erreicht werden. Sie auch?
Ich fürchte mich nicht vor Zahlen und vertraue darauf, dass Christinnen und Christen wie in den letzten zwei Jahrtausenden auch in Zukunft gemeinsam in der Hoffnung auf den Frieden und die Vollendung der Welt das Wort Gottes hören und die Eucharistie als Fest des Todes und der Auferstehung Jesu feiern werden.

Wo werden Sie am Karfreitag des Todes Jesu gedenken und mit wem feiern Sie in der Osternacht seine Auferstehung?
Ich hatte mich schon sehr gefreut, diese Tage in Bosnien mit den österreichischen Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz zu verbringen. Leider musste ich meine Reise aus gesundheitlichen Gründen absagen. Ich werde deshalb die österlichen Tage mit der Gemeinde in meiner Kathedrale in Wiener Neustadt feiern.

Zur Person

Dr. Werner Freistetter (68), gebürtig aus Linz und Offizierssohn, ist seit 2015 der Militärbischof für Österreich. Von Kardinal Franz König 1979 in Rom zum Priester geweiht, war er anfangs Seelsorger und Mitarbeiter am Institut für Ethik und Sozialwissenschaften der Universität Wien und nach einigen Jahren in Rom wiederholt Militärseelsorger in Krisen- und Kriegsgebieten am Golan, im Libanon, im Kosovo und in Bosnien. Ab 1997 bis 2015 leitete Freistetter das Institut für Religion und Frieden.

Interview: Bernhard Weber

- Werbung -
AUTORRed. SN
Vorheriger ArtikelDer Boden uralter Tiroler Gesetzgebung
Nächster ArtikelKöstinger: Digitale Infrastruktur und Versorgungssicherheit stärken