“Beim Kauf und Genuss von Lebensmitteln kommt es – abhängig von Werbeeinflüssen, Kaufsituation oder sozialem Druck – zu positiven oder negativen Rückkopplungseffekten. So führen Verbote oftmals zu Trotzreaktionen.” Dies betonte Daniel Kofahl vom Büro für Agrarpolitik und Ernährungskultur in Kassel bei einer Veranstaltung von forum.ernährung.heute (f.eh). Nora Szech vom Karlsruher Institut für Technologie unterstrich, dass bereits die Marktsituation beim Einkauf unerwünschte Handlungen bei Menschen auslösen könne.
“Der Begriff Rückkopplungseffekt kommt ursprünglich aus der Technik. Die Soziologie beschreibt damit in erster Linie Handlungen, die gegenteilige Aktionen beim Gegenüber oder nicht intendierte Effekte auslösen”, erläuterte Kofahl.
“Der Rückkopplungseffekt ist umso stärker, je mehr jemand die ‘Holzhammer-Methode’ anwendet oder mit Moral argumentiert. Menschen lassen sich nicht gerne mit Bildern von Massentierhaltung und Tierquälerei konfrontieren, auch dann nicht, wenn sie Geld dafür geboten bekommen. Bei jenen, die sich Bilder und Videos ansehen, kommt es zudem nur kurz zu einer Verhaltensänderung. Die moralisch aufgeladene Klima- und Gesundheitsdebatte bringt sogar negative Rückkopplungseffekte mit sich”, gab Kofahl zu bedenken.
Erst durch die Diskussion um eine Fleischreduktion werde der Stellenwert von Fleisch erneut bewusst, wodurch es wieder aufgewertet werde. Bei einer Studie der Universität Göttingen antworteten 15% der Teilnehmer auf die Frage, wie weit sie ihren Fleischkonsum reduzieren könnten, dass sie mehr essen würden, wenn es finanziell möglich wäre. “Daher liegt der Erfolg von vegan und vegetarisch auch nicht unbedingt in Bildern aus Tierfabriken, sondern an tollen Projekten und positivem Storytelling. Das hat die Speisen attraktiver gemacht und den Menschen das Gefühl des Verzichts genommen”, ist Kofahl überzeugt.
Anreize statt Verbote bei der Ernährung
“Ein solcher Rückkopplungseffekt kann auch bei Verboten auftreten. Diese führen oftmals nicht zum erwünschten Verhalten, sondern zu Trotzreaktionen und steigendem Interesse an Verbotenem”, so Kofahl. Das zeige sich auch bei Verboten von Eltern. Diese könnten dazu führen, dass die Kinder Snacks oder Getränke erst recht im Übermaß konsumieren.
Kennzeichnung muss übersichtlich sein
Die beiden Experten gingen dann auch auf die Forderung nach mehr Labels und Transparenz bei der Kennzeichnung von Lebensmitteln ein. Diese Forderung sei nicht bei allen Konsumenten erwünscht, gaben sie zu bedenken – insbesondere dann, wenn es sich dabei um moralisch aufgeladene Informationen handle. Aus Sicht vieler Kunden gebe es bereits zu viele Labels, und trotz einer großen Anzahl von extra Kennzeichnungen zu Nährwerten, Tierwohl, Fairtrade oder Bio zeige sich, dass nur wenige für die Kaufentscheidung relevant sind: “Studien belegen, dass Konsumenten meist nur aufgrund eines umfassenden Gütesiegels entscheiden. Sie denken, dann brauche ich auf andere ethisch relevante Kriterien nicht mehr achten”, so Szech.
Verhaltensänderung schwierig
Die Erfahrung zeige, dass viele Menschen tendenziell ihr Verhalten beibehalten und sich nicht gerne mit den Produktionsbedingungen und Konsequenzen der Konsumgüter beschäftigen wollen. Bei anderen wiederum führten Labels zu einer Auseinandersetzung und in der Folge auch zu einer Verhaltensänderung. “Die Quote dafür liegt bei 10:1. Zehn Personen geben in Umfragen an, sich zum Beispiel für mehr Tierwohl entscheiden zu wollen, aber nur eine tut dies dann auch in der Marktsituation. Viele Mechanismen begünstigen das: Bei einer Kaufsituation bin ich nicht allein verantwortlich, da mir ja etwas angeboten wird. Zudem sehe ich andere Personen interagieren. Es ist im Markt daher schwerer, bei seinen Werten zu bleiben”, so Szech.
Ernährungsbildung: Sinnliche Erfahrung statt Druck
Kritik üben die Experten auch an Broschüren und Ratgebern, die nur perfekte Situationen abbilden, zum Beispiel frohe Kinder, die Brokkoli essen. Bei den Eltern entstehe so der Eindruck, nur die eigenen Kinder würden kaum Gemüse und stattdessen vorwiegend Süßes essen. Das führe zu einer Drucksituation, die unangenehme Stimmung beim Essen erzeuge. Es sollte also ein gesundes Verhältnis zu Produkten vermittelt werden, stellte Szech klar. Hier seien auch die Schulen gefordert, nicht nur die Eltern. Generell sei es für Kinder wichtig, zu Hause und in der Schule Reflexion sowie Ernährungs- und Esskompetenz vom Kauf über die Zubereitung bis zum Verzehr zu erlernen. “Das betrifft aber auch Wissen im Umgang mit Märkten und der Informationsgesellschaft. Ernährungsbildung sollte stattfinden, und dabei müsste auch die sinnliche Komponente des Essens stärker betont werden. Bildung soll mehr auf positive Rückkopplung und Genuss setzen”, so Kofahl.
AIZ