Von Malta bis Irland und von Riga bis Madrid, überall in der Europäischen Union ziehen seit Jänner Landwirte mit ihren Traktoren los, um für bessere Rahmenbedingungen und gegen steigende Rohstoffpreise, Produktionseinschränkungen und Umweltauflagen, aber auch überbordende Bürokratie, die Zulassung von Laborfleisch oder der neuen Gentechnik zu protestieren.
Schonfrist in der BRD
Den Anfang nahmen die Proteste – den Aufruhr rund um die niederländischen Pläne in Sachen Nitratemissionen im Vorjahr ausgenommen – bekanntermaßen in Deutschland. In Berlin erreichten sie Mitte Jänner mit rund 30.000 Bauern und 5.000 Traktoren ihren vorläufigen Höhepunkt. Zwar konnte die Berliner Ampelregierung vergangene Woche die umstrittene Abschaffung des Agrardiesels im Bundestag beschließen, letztlich stellte sich jedoch der Bundesrat gegen das rasche Durchwinken. Der Deutsche Bauernverband als Initiator der Protestbewegung will, Medienberichten zufolge, die dadurch gewonnene Zeit für Verhandlungen nutzen, um doch noch eine Lösung zum Erhalt des Dieselprivilegs zu finden. „Die gewonnene Zeit muss jetzt sinnvoll genutzt werden“, sagte Präsident Joachim Rukwied. Schließlich handle es sich um eine der zentralen Forderungen der deutschen Protestbewegung.
Nichtsdestotrotz kam es am Wochenende etwa in Brandenburg und Rheinland-Pfalz zu teils unangemeldeten Protestaktionen, etwa Blockaden von Logistikzentren, von denen sich auch der Bauernverband mittlerweile distanziert. Regionalen Medien zufolge sollen dort auch Heuballen aus bisher ungeklärten Ursachen Feuer gefangen haben.
Todesfall bei Protesten in Frankreich
Ähnliche Bilder erreichten die Welt auch aus Frankreich. Nebst Umweltauflagen stieß den Bauern dort vor allem das geplante Handelsabkommen mit den Mercosur-Staaten sauer auf. Zwar ist dort nach umfangreichen Zugeständnissen der Regierung – etwa 150 Mio. Euro zusätzliche Fördermittel für die Tierhaltung sowie Erleichterungen beim Pflanzenschutz – wieder Ruhe eingekehrt, doch Frankreichs Bauern hatten zu brachialen Methoden gegriffen. So wurden Straßen rund um die Hauptstadt Paris und wichtige Verkehrsverbindungen im Land aufgerissen und mit Strohfeuern versperrt, Traktoren standen Panzerfahrzeugen gegenüber, rund 15.000 Polizisten waren im Einsatz. Eine Landwirtin kam beim Versuch eines verärgerten Autofahrers, eine Barrikade zu durchbrechen, sogar ums Leben, wie agrarheute. com berichtete.
Die zwei größten französischen Bauernverbände, die FNSEA und die Jeunes Agriculteurs, haben ihre Mitglieder mittlerweile aufgefordert, auf ihre Betriebe zurückzukehren. FNSEA-Vorsitzender Arnaud Rousseau sagte, man habe „greifbare Fortschritte“ erzielt. Der Verband machte aber deutlich, dass die Traktoren wieder rollen, sofern keine Taten folgen würden. Für Furore sorgten vergangene Woche auch die Proteste in Brüssel. Knapp 1.300 Traktoren blockierten dort die Innenstadt, die größten Ansammlungen demonstrierender Bauern konzentrierten sich auf den Place Luxembourg direkt vor dem Europaparlament.
Ein Teil der Proteste richtete sich an die zeitgleich in Brüssel tagenden EU-Staats und Regierungschefs. Zu den Ausrichtern der Demonstrationen zählten unter anderem der flämische Boerenbond (BB) und die Föderation der belgischen Junglandwirte (FJA). Unterstützt wurden die Proteste von den EU-Ausschüssen der Bauernverbände (COPA) und ländlichen Genossenschaften (COGECA). Aber auch der Kleinbauernverband Via Campesina war zugegen. Auch hier richtete sich der Protest vor allem gegen das geplante Mercosur-Abkommen, wiewohl es gar nicht auf der Tagesordnung der Staats- und Regierungschefs stand.
Blockaden gegen Importe
Im Laufe weniger Tage haben sich die Proteste nun auf zahlreiche weitere EU-Länder ausgeweitet, die Lage wird zunehmend unübersichtlich. Mittlerweile blockierten auch niederländische Bauern wieder zwei Autobahnen, wie die dortige Polizei auf der Plattform X informiert. Betont riskant (nämlich mit Feuer aus Autoreifen und Stroh) scheint man sich mit den Berufskollegen der Nachbarländer zu solidarisieren. Ähnliches wird auch aus Irland berichtet, wo man sich mit friedlichen Protesten solidarisch zeigen möchte. Lettische Bauern gingen indes am Montag in 16 Städten für einen sofortigen Lebensmittelimport-Stopp aus Russland und Weißrussland auf die Straßen. In Portugal nahmen Landwirte vergangene Woche Straßenblockaden an der Staatsgrenze zu Spanien auf, „weil man sich von der Regierung im Stich gelassen fühlt“, heißt es.
Die Spanier selbst wollen erst am 21. Februar vor dem Landwirtschaftsministerium in Madrid mit Traktoren auffahren. Der Gewerkschaftsbund Unión de Uniones will dann gegen „eine Politik protestieren, die das Leben auf dem Land vernichtet und Spanien zu einem abhängigen Land mit zweifelhafter Ernährungssicherheit macht“, teilt man mit. Erste Proteste werden allerdings bereits diese Woche erwartet. Auch im griechischen Thessaloniki versammelten sich vergangene Woche außerdem rund 300 Landwirte, um gemeinsam vor der stattfindenden Agrarmesse für bessere Erzeugerpreise zu demonstrieren.
Rücktrittsforderungen und Kritik an Standesvertretern
In Italien richtet sich der Protest der Landwirte währenddessen gegen die Bauernverbände selbst, zahlreiche Vereine gelten als Initiatoren. Zusätzlich stört man sich an der EU-Agrarpolitik insgesamt, an möglichen Laborfleisch-Einführungen und Rohstoffpreisen. Noch diese Woche sollen gut 2.000 Traktoren gen Rom ziehen und die italienische Hauptstadt lahmlegen. Und aus Bulgarien wurde diese Woche Montag ein Aufmarsch vor dem Agrarministerium in Sofia gemeldet. Regionalen Medienberichten zufolge fordern die Demonstranten den Rücktritt von Landwirtschaftsminister Kiril Watew. „Er hat es nicht geschafft, unsere Interessen vor dem Zustrom ukrainischer Produkte zu schützen“, teilt man mit.
Laut APA blieb selbst die Mittelmeerinsel Malta nicht von Protesten verschont, „mehrere Dutzend Landwirte“ gingen demnach dort gegen die EU-Agrarpolitik auf die Straßen, die sie für ihre wirtschaftlichen Schwierigkeiten verantwortlich machen. Vorerst noch ruhig ist es unterdessen in den Visegrad-Staaten. Tschechischen Bauernvertretern zufolge will man aber auch bei einem kommende Woche stattfindenden Treffen gemeinsame Protestaktionen „gegen den grünen Fanatismus“ aus Brüssel koordinieren.
LK Österreich gegen „Brüsseler Beruhigungspillen“
Keine Proteste werden im Übrigen bisher gesichert nur aus Finnland, Schweden, Dänemark und aus Österreich gemeldet. Abgesehen von einer gescheiterten Demo des freiheitlichen Agrarsprechers Peter Schmiedlechner ist es hierzulande ruhig, zumindest was Blockaden betrifft. An der Diskussion beteiligt man sich jedoch sehr wohl. So kommentierte LK Österreich-Präsident und Bauernbund-Vizepräsident Josef Moosbrugger jüngste Besänftigungsversuche der EU-Kommission folgendermaßen: „Es ist wichtig, dass von der Leyen den Bäuerinnen und Bauern endlich Gehör schenken will. Was wir aber sicher nicht brauchen, sind halbherzige ‚Beruhigungspillen‘, um die Wogen oberflächlich zu glätten.“ Er fordert deshalb im Sinne der heimischen Bauern eine Kurskorrektur der EU-Politik „hin zu einer echten, ökosozialen Marktwirtschaft“. Der Green Deal sei zu einem „nicht umsetzbaren Regelungs-Wirrwarr verkommen“, hier bedürfe es dringender Korrekturen. „Die EU-Vorgaben müssen die Bäuerinnen und Bauern endlich wieder arbeiten lassen, statt sie mit sinnlosen Schreibarbeiten zu beschäftigen“, fordert Moosbrugger und will sich dafür auch weiterhin einsetzen.
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- Proteste: ROB ENGELAAR/ANP/PICTUREDESK.COM