Ein Tiroler NS-Bau und seine Geschichte

Das Neue Landhaus ist der größte noch bestehende NS-Bau in Tirol. Im Zuge der Ausstellung „Vom Gauhaus zum Landhaus“ wird die Geschichte des Gebäudes aufgearbeitet.

Kurator Christian Mathies führte durch die Ausstellung.

Die Tiroler Landesregierung gab 2019 im gemeinsamen Interesse mit dem Tiroler Landtag den Auftrag zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der Geschichte des Neuen Landhauses. Die Publikation „Vom Gauhaus zum Landhaus. Ein Tiroler NS-Bau und seine Geschichte“ wurde der Öffentlichkeit im November 2021 präsentiert. Sie erläutert die Bau-, Nutzungs- und Bedeutungsgeschichte des Gebäudes in umfassender Weise und bildet die Grundlage für eine von Oktober 2023 bis Anfang Mai 2024 öffentlich zugängliche Ausstellung.

Nationalsozialismus als System

„Uns war es wichtig, nachvollziehbare Menschengeschichten zu erzählen. Nationalsozialismus war kein Elitenprojekt, sondern viel mehr gesellschaftliche Praxis“, erklärt Kurator Christian Mathies. So wirft die Ausstellung Fragen zur gesellschaftlichen Verantwortung im Nationalsozialismus auf. Vier Täterbiografien und zwölf Geschichten von Menschen, die mit dem Gebäude in Verbindung stehen und von Bediensteten des Landes erzählt werden, bieten Einblicke in den Verwaltungsalltag und den Umfang der Verbrechen. Die vorgestellten Menschengeschichten machen den Nationalsozialismus als System greifbar und erinnern daran, wie zerbrechlich unser demokratisches Zusammenleben ist. Präsentiert werden diese Lebensgeschichten im ehemaligen Arbeitszimmer des Gauleiters Franz Hofer. 21 erhalten gebliebene Deckenbalken erinnern an eine traditionelle „Tiroler Stube“. NS-Symbole rahmen Motive für Handwerksberufe und Schmuckbänder. Das unkenntlich gemachte Spruchband oberhalb der Fensterreihe wird bei Renovierungsarbeiten im Frühjahr 2023 freigelegt. Wahrscheinlich befand sich ein Hitler-Zitat an dieser Stelle. Die US-amerikanischen Befreier entfernen den Spruch vermutlich schon im Mai 1945.

Ein auffliegender Adler

Die Entscheidung für den Neubau eines Gauhauses trifft Franz Hofer im Sommer 1938. Auf der Baustelle wird ab Oktober 1938 rund um die Uhr gearbeitet. Der hohe technische Einsatz von Luftdruckwerkzeugen, Greifbaggern, Bauaufzügen und eines Beton-Durchlaufmischers sorgt für einen raschen Baufortschritt. Zusätzlich plant die Gauleitung den Ankauf sämtlicher Wohnhäuser im Landhausviertel, um einen geschlossenen Machtkomplex zu schaffen. Die Finanzierung erfolgt durch einen Raubzug gegen christliche Einrichtungen und die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung. Mitte des Jahres 1939 beziehen die ersten Abteilungen das Gebäude. Den Entwurf des Gauhauses liefern die Architekten Walter und Ewald Guth. Der Gestaltung mit hohem Mittelrisalit und geschwungenen Seitenflügeln liegt die Idee eines „auffliegenden Adlers“ zugrunde. 

Quelle: Bastian Fettinger
Auch LH Anton Mattle fand Zeit für einen Besuch.

Umfassende Kontrolle

Bis auf wenige Ausnahmen sind sämtliche Dienststellen der Partei und des Staates im Landhauskomplex untergebracht. Das ermöglicht eine umfassende Kontrolle der Abteilungen und des Personals. Neben den Büros befinden sich eine Kantine, eine Kinoleinwand, ein Schießkeller und sogar ein Friseur im Gebäude. Der Landhauskomplex ist die Schaltzentrale der Verbrechen, die an den Schreibtischen der NS-Funktionäre und der Beamtenschaft abgewickelt und organisiert werden. Darüber hinaus dient das Gebäude als Anlaufstelle für Verrat und Verleumdung. 

Die offzielle Kapitulation der lokalen Wehrmachtstruppen findet am 5. Mai 1945 statt. Die US-amerikanischen Befreier besiegeln das Ende der Kampfhandlungen im Sitzungssaal des Gauleiters. Im Neuen Landhaus richten die Besatzungsmächte ihren Stützpunkt ein. Die Tiroler Politik schenkt der kriminellen Entstehungsgeschichte des Gebäudes jahrzehntelang keine Aufmerksamkeit.

Dem Vergessen entgegenwirken

Mehr als 3.000 Interessierte haben die Ausstellung bereits besucht. LH Anton Mattle fand Zeit, der Führung von Forum Land beizuwohnen. „Ich bin dankbar für jeden Besucher, der Interesse an der Geschichte dieses Landes hat. Das Wissen um die Gräueltaten des Nationalsozialismus geht verloren, wenn wir nicht aktiv dem Vergessen entgegenwirken. Vor allem junge Menschen reflektieren diese Ereignisse ins Jetzt und müssen sich mit der Frage auseinander setzen, wie sie zu dieser Zeit wohl gehandelt hätten. Wir dürfen nie vergessen, dass wir uns für die Demokratie täglich einsetzen müssen.“ Kurator Christian Mathies bedankte sich für die starke Unterstützung durch den Landeshauptmann.

Die Ausstellung „Vom Gauhaus zum Landhaus – Ein Tiroler NS-Bau und seine Geschichte“ ist eine Kooperation des Landes Tirol mit den Tiroler Landesmuseen. Die Veranstaltungsreihe im Rahmen der Ausstellung ist eine Kooperation mit ERINNERN:AT, dem Archiv für Bau.Kunst.Geschichte und dem Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck sowie dem Gemeindemuseum Absam. Bis 4. Mai wird die Ausstellung noch im Landhaus zu sehen sein, dann ist eine Nutzung im virtuellen Raum geplant.

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AUTORRed. JS
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