Die Rezepte der roten Ärztin

Kommentar von Conrad Seidl,
Redakteur “Der Standard”

Beim ORF-Sommergespräch hatte SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner die seltene Chance, zu glänzen – und sie hat diese Chance gut genutzt: Freundlich und ruhig hat sie sich an jenen Themen abgearbeitet, von denen sie aus ihrer beruflichen Vergangenheit heraus viel versteht. Was die Ärztin und ehemalige Beamtin des Gesundheitsministeriums über Infektionen und über das Management einer Pandemie-Krise zu sagen hatte, klang plausibel. Sie wäre wahrscheinlich auch jetzt eine gute Gesundheitsministerin. Aber das ist nicht die Rolle, die sie derzeit zu spielen hat: Als medizinisch kompetente Oppositionsführerin kann sie den einen oder anderen mehr oder weniger guten Ratschlag geben – der Regierung obliegt es, diese Ratschläge zu prüfen und anzunehmen oder zu verwerfen.
Pamela Rendi-Wagners eigentliche Rolle aber wäre es, Alternativen zum Kurs der Regierung aufzuzeigen. Obenan steht, was schon bei früheren Chefs der Sozialdemokratie gestanden ist: Vermögens- und Erbschaftssteuern, jetzt halt unter dem Titel „Millionärssteuer“ verbrämt, auf dass die Medizin nicht allzu bitter schmecke. Auch die weiteren Vorschläge klingen vertraut: Die Arbeitszeitverkürzung preist Rendi-Wagner mit freundlichem Lächeln an – schmallippig wird sie erst, wenn sie erklärt, dass die Kosten halt hauptsächlich die krisengebeutelte Wirtschaft und der krisenbedingt verschuldete Staat tragen sollen. Ähnlich ist es beim Mindestlohn, der halt besser klingt als seine Finanzierung – insgesamt ist der Rezeptblock der Frau Doktor recht dünn.

conrad.seidl@gmx.at

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