Als Reaktion auf die wegen des Ukrainekriegs drohende Lebensmittelknappheit in Folge der stark gestiegenen Preise für Getreide und Sonnenblumenöl erlaubt die EU-Kommission nun die Nutzung von Ackerflächen, die eigentlich stillgelegt werden sollten, um die Artenvielfalt zu schützen. Brüssel reagiert damit auf Forderungen von Agrarpolitikern und Landwirtschaftsverbänden aus allen EU-Mitgliedstaaten. Auch in Österreich haben sich Bauernbund-Mandatare auf den verschiedensten Ebenen in den vergangenen Tagen für eine solche Vorgangsweise ausgesprochen.

Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger fordert die EU-Kommission beim Rat der Agrarministerinnen und -minister auf, das vorgeschlagene EU-Maßnahmenpaket sofort umzusetzen und die Abhängigkeit von Futtermittelimporten mit Hilfe einer eigenen EU-Eiweißstrategie entgegenzuwirken. „Jetzt ist die Zeit, wo unsere Bäuerinnen und Bauern die Saat und damit Grundlage für die Ernte in diesem Jahr ausbringen. In zwei bis drei Wochen ist es zu spät. Wenn wir die Bracheflächen nutzen wollen, dann braucht es jetzt die notwendigen Maßnahmen.“ Allein für Österreich geht es dabei um eine Fläche von etwa 9.000 Hektar, in Deutschland wären es bis zu 250.000 Hektar, für die gesamte EU rechnet man mit 4 Millionen Hektar. Köstinger: „Wir müssen schnell in die Umsetzung kommen. Denn wer spät hilft, hilft zu spät.“

Vorerst auf die lange Bank geschoben das Vorhaben, ein EU-weit verbindliches Ziel für die Reduzierung von Pestiziden um 50 Prozent bis zum Jahr 2030 festzulegen. „Man könnte argumentieren, dass die allgemeine geopolitische Unsicherheit zum jetzigen Zeitpunkt dem Vorschlag über die nachhaltige Verwendung von Pestiziden nicht den nötigen politischen Raum für weitere angemessene Diskussionen und Überlegungen lässt“, formulierte etwas langatmig die für Lebensmittelsicherheit zuständige Kommissarin Stella Kyriakides während des Agrarministertreffens. Kurz darauf bestätigte Agrarkommissar Janusz Wojciechowski schließlich die Verschiebung. Dies bedeutet laut EU-Insidern konkret, dass die Kommission heute, Mittwoch, keine Gesetzesvorschläge im Zusammenhang mit dem Naturschutzpaket vorlegen wird, wie ursprünglich geplant.

Dem Vorsitzenden des Agrarausschusses im Europaparlament, Norbert Lins, gehen die Ansagen der Kommission indes zu wenig weit: „Die Lage in der Ukraine und Russland werde vermutlich „zu Ernteknappheit bis mindestens ins Jahr 2023 führen“, so der CDU-Mandatar aus Deutschland. Mit einer Aussetzung des Green Deal in diesem Jahr sei es deshalb nicht getan. Zudem fordert er von der EU die Erlaubnis, dass auch Unkrautbekämpfungsmittel auf den eigentlich stillgelegten Flächen eingesetzt werden dürfen.

Allerorts betont wird, dass die Versorgung der EU selbst durch den Krieg in der Ukraine nicht gefährdet sei. Das betont auch die Brüsseler EU-Kommission mehrfach. Anders sei die Situation dagegen in Afrika. Von Ägypten über den Sudan bis Marokko beziehen viele Sahara-Anrainerländer einen Überwiegenden Teil ihres Brotweizens aus der Ukraine und Russland.

Österreich drängt in Brüssel nach wie vor auch auf das Vorantreiben einer EU-weiten Eiweißstrategie. Köstinger: „Seit 2018 forciere ich dieses Thema auf europäischer Ebene.“ Immerhin: 20 Mitgliedsstaaten würden den Vorstoß, den Köstinger erst vor Kurzem auch mit dem derzeitigen Agrarratsvorsitzenden, Frankreichs Landwirtschaftsminister Julien Denormandie, erneut untermauert hat, unterstützen.

Derweil spitze sich die agrarische Situation in der Ukraine immer weiter zu, berichtet Köstinger vom Ministerratstreffen:  Der größte ukrainische Seehafen in Odessa sei gesperrt, es werde über diesen Weg kein Getreide mehr exportiert. Viele Agrarbetriebe auch in noch nicht umkämpften Regionen des Landes könnten kein Getreide anbauen, weil Betriebsmittel, Maschinen und Arbeitskräfte fehlen, im Kriegsgebiet selbst wurden Agrarflächen und zerstört oder besetzt. Auch würden die russischen Streitkräfte gezielt Agrarinfrastruktur angreifen, um die Produktion zu verunmöglichen. Aktuell werden bereits jetzt Ernteausfälle bis zu 60 Prozent der ukrainischen Produktion erwartet. Abhängig von den weiteren Kampfhandlungen kann es zu noch größeren Ausfällen kommen.

Bernhard Weber

 

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