BauernZeitung: Auf den Betrieben explodieren derzeit die Kosten. Wie erleben Sie diese Entwicklung am eigenen Hof?
Neumann-Hartberger: Wir haben einen Vollerwerbsbetrieb mit Milchviehhaltung und Grünland und können unsere Rinder dank ausreichender Flächenausstattung selbst versorgen. Wir kaufen nur Kraftfutter zu. Aber gerade da trifft es uns preislich schon sehr. Dazu kommt die Teuerung beim Treibstoff. Gerade im Grünland ist der Diesel ein großer Faktor. Wir haben vom Mähen bis zur Ernte mehrmals viele Bearbeitungsschritte.
Krieg bedeutet Unsicherheit. Mit welchen Anliegen kommen besonders Bäuerinnen dieser Tage zu Ihnen?
Meist sind die Frauen diejenigen, die mit Saisonniers arbeiten. Ob am Betrieb mit Urlaub am Bauernhof oder am Gemüsebaubetrieb mit Spargel, wo es dann um harte Kultivierungsarbeiten geht, wie das „Heindln“ vom Kürbis oder der Erdäpfel. Gerade da stehen Frauen vor Problemen, weil die Saisonarbeitskräfte fehlen, aber viele Frauen mit ihren Kindern angereist sind und auch entsprechend betreut und untergebracht werden müssen.
Trifft Frauen die massive Teuerungswelle in ihrer Brieftasche mehr als die Männer?
Frauen haben oft nur einen Teilzeitjob oder ein geringeres Einkommen, und da wirkt sich die Teuerung im Verhältnis mehr aus. Die Wegstrecke in die Arbeit bleibt nämlich die gleiche.
Welche Vorschläge haben Sie als Parlamentarierin, um die Teuerung zumindest teilweise abzufedern?
Wir brauchen eine Entlastung beim Treibstoff, denn das trifft alle. Ein weiterer Punkt ist die Lebensmittelversorgung. Diese Krise ist wiedermal ein Anlass, um den Dialog mit der Gesellschaft darüber zu schärfen. Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Supermarkt jederzeit mit allen Waren ausgestattet ist. Außerdem müssen wir klarstellen, dass die höheren Preise für Lebensmittel nicht automatisch bei uns ankommen. Hier verdient jemand anderer mit. Nur im Schulterschluss können wir also die Wertschöpfung auf den Betrieben steigern.
Wie will und soll die Landwirtschaft dem Handel die Stirn bieten?
Mit dem eingerichteten Fairnessbüro hat man schon was gemacht. Ob das genau in diese Kerbe schlägt, ist noch schwer zu sagen. Der Handel muss ein fairer Partner sein, doch von Fairness ist wenig zu spüren. Wir sollten uns dennoch als Partner sehen. Der Handel kann sich auf den globalisierten Märkten jederzeit mit Waren eindecken. Deshalb ist es nicht ratsam, dem Handel immer nur negativ gegenüberzustehen.
Kann die Krise für die Bauern auch eine Chance sein?
Jede Krise kann eine Chance sein. Nur muss man diese auch nutzen. Allein ein bewussteres Einkaufen von österreichischen Produkten ist eine große Chance für uns. Auch könnte beispielsweise mehr für hochwertigere Lebensmittel anstelle von Luxusgütern ausgegeben werden. Es muss nicht immer der Flatscreen, das iPhone oder das Auto sein, für das man arbeiten geht. Es darf auch Mal die Ernährung sein.
Frauen am Herd und Männer am Traktor sind klassische Rollenbilder. Bröckelt das, seit es in den Sozialen Medien „Farmfluencerinnen“ gibt?
Weibliche Influencer aus der Landwirtschaft sind stärker vertreten als die Männer. Das zeigt, dass Frauen bereit sind, für ihren eigenen Betrieb in den Sozialen Medien was zu tun und ein realistisches Bild von ihrer Arbeit zu zeigen. Gerade junge Frauen trauen sich vieles zu und stellen sich vor die Kamera, um zu erklären. Authentische Aufklärungsarbeit ist das stärkste Motiv, warum Frauen an die Öffentlichkeit gehen. Sie wollen Lebensmittelwissen, Bräuche oder das Kochen mit regionalem Essen vermitteln. Klassisch wie bei den Seminarbäuerinnen oder einfach aus Überzeugung. Die Corona-Pandemie war für die Digitalisierung von Kursen sicher ein Beschleuniger.
Wie können Frauen in der politischen Männerwelt besser bestehen?
Frauen, die sich ehrenamtlich engagieren, sind aufgrund der Mehrfachbelastung starke Frauen. Sie tragen Verantwortung und bringen 100 Dinge unter einen Hut. Sie sind auch diejenigen, die es außerhalb des Betriebes gleich halten wie in den Betrieben – partnerschaftlich und auf Augenhöhe. Partnerschaftlich geführte Betriebe sind meistens die erfolgreicheren, die auch Krisen überstehen.
Sie wurden in den Medien als „Bauernopfer“ bezeichnet, als Sie für Sebastian Kurz im vergangenen Herbst kurzzeitig Ihren Sitz im Nationalrat geräumt haben. Wie war das für Sie?
Ich konnte damit gut umgehen, da mich meine Familie in jeder Situation unterstützt. Meine Familie wusste es durchaus zu schätzen, dass ich wieder am Betrieb bin. Die Mama konnte wieder mehr eingeteilt werden (lacht). Mir ist auch bewusst geworden, wie kurzlebig eine Politik-Karriere sein kann. Leid getan haben mir meine Kinder. Die waren mit gehässigen Kommentaren von Gleichaltrigen konfrontiert. Am Land kennt ja jeder jeden, und da kam es dann zu Bemerkungen wie „Na, schon wieder vorbei mit der Mutter im Nationalrat?“ Als ich wenige Wochen später wieder in den Nationalrat zurückgekommen bin, hat kein Journalist mehr darüber berichtet. Das haben meine Kinder verurteilt, aber so läuft das eben in den Medien.
Andererseits hört man: „Eh klar, die Quotenfrau.“ Wie gehen Sie mit dieser pauschal verwendeten Phrase um?
Damit werde ich wirklich sehr oft konfrontiert. Von dieser Bezeichnung halte ich persönlich nichts, aber viel von Top-Frauen, die sich engagieren. Mehr Frauen in politischen Gremien würde uns nicht so schnell gelingen, wenn wir die imaginäre Quote, wie sie genannt wird, nicht hätten. Ein höherer Frauenanteil in politischen Gremien ist eine Entwicklung der Zeit und es braucht auch Zeit. Wir müssen uns gemeinsam anschauen, was ein höherer Frauenanteil bewirkt.
Was sind zurzeit die größten Projekte der Bäuerinnen-Organisation?
Soziale Absicherung, die heute schon irgendwie als selbstverständlich gilt. Bäuerinnenpension, geteiltes Pensionskonto, Karenzgeld für Bäuerinnen zum Beispiel. Das hat es vor 50 Jahren alles nicht gegeben, und das sind Errungenschaften unserer Organisation. Und mit dem ZAMm-Lehrgang wollen wir Frauen ein politisches Rüstzeug mitgeben. Und die Scheu davor nehmen, sich in der Politik zu engagieren. Auch über die GAP müssen wir reden. Ich habe noch keine Agrarreform erlebt, wo es nur Zufriedene gegeben hat. Das Wichtigste ist aber, dass wir eine Einigung darauf haben. Und Programme, auf die wir uns einstellen können.
Wird es mit Ihnen weiter Projekte, wie Schule am Bauernhof, Kochkurse mit Seminarbäuerinnen oder Projekte zur Bewusstseinsbildung geben?
Der Schulaktionstag der Bäuerinnen ist ein gutes Beispiel. Hier braucht es gerade in den Städten noch mehr Engagement. In Wien etwa haben wir wenig Abdeckung, einfach weil es in diesem Bundesland wenig personelle wie auch finanzielle Kapazitäten gibt. Deshalb ja, mit Sicherheit müssen wir die Lehrinhalte in den Pflichtschulen über das Lebensmittelwissen noch stark verbessern.
Käme für Sie auch einmal eine außerfamiliäre Hofnachfolge infrage?
Ja, ich könnte mir das vorstellen. Ich kenne Betriebe, wo das funktioniert. Es gibt mittlerweile schon viele attraktive Modelle für junge Leute. Die Sehnsucht nach einem Bauernhof und die Bereitschaft, auf einem solchen zu leben, ist gewachsen, auch wenn manche nicht zwingend davon leben müssen. Doch es gibt auch weichende Erben, die einfach gerne Bäuerin oder Bauer sein wollen und in so einem Format eine Chance haben.
Wie haben Sie am Dienstag den Bundesbäuerinnentag erlebt?
Es ist eine ganz besondere Atmosphäre. Man spürt, dass die Frauen gerne ihr Netzwerk pflegen und sich austauschen. Über ihre Sorgen, vor allem auch über die Freude an ihrem Tun. Ich wünsche mir, dass die Frauen, die mit ihren Trachten aus ganz Österreich anreisen, nach dem Bundesbäuerinnentag motiviert und inhaltlich bereichert nach Hause fahren. Und das wir aus dieser Corona-Couch-Lethargie raus und wieder ins Tun kommen.
Zur Person:
Irene Neumann-Hartberger (47) kommt aus Niederösterreich. Seit April 2021 Bundesbäuerin
und seit Juni 2021 Vizepräsidentin
des Bauernbundes.
Seit 2019 ist sie, mit kurzer Pause im Herbst, Abgeordnete
im Nationalrat.
Interview: Martina Rieberer