Verbrauchsoptimierte Dieselmotoren haben einen Nachteil. Die hohen Temperaturen im Brennraum lassen die Aggregate zu hohen Stickoxid-Emissionen neigen, welche nur durch ein aufwendiges Abgasnachbehandlungssystem mittels SCR-Katalysator aufgefangen werden können. Mit der selektiven katalytischen Reduktion (SCR) werden unter Zusatz von AdBlue – bei korrekter Programmierung – bis zu 90 Prozent des Stickoxid- Ausstoßes unterbunden. Das Additiv besteht zu zwei Dritteln aus destilliertem Wasser und einem Drittel aus Harnstoff.

Die Herstellung erfolgt unter strengen Vorgaben und vor allem unter Lizenz. AdBlue ist eine eingetragene Marke des deutschen Verbands der Automobilindustrie. Der benötigte Harnstoff wird im Zuge der Stickstoffdüngerherstellung generiert und unterliegt derzeit ähnlichen Turbulenzen wie das Düngergeschäft.

Steigender Bedarf
Mit der Verschärfung der EU-Abgasverordnungen, genauer der Einführung für Abgasstufe 6 für PKW und Stufe V für Traktoren, Mähdrescher, Baumaschinen und Co. wurde SCR-Technik und damit ein AdBlue Tank für alle Motorenschmieden nahezu alternativlos. Neuzugelassene Diesel-PKW emittieren seither nur noch 80 Milligramm Stickoxide pro Kilometer, Traktoren von 56 bis 130 Kilowatt (76 bis 176 PS) müssen sich 400 Gramm Stickoxid pro Kilowattstunde begnügen.

Dazu benötigen die Aggregate dann auch entsprechende Mengen des Harnstoff-Additivs. „Bei einem Traktor kann ein durchschnittlicher AdBlue-Verbrauch von vier bis fünf Prozent des Spritbedarfs angenommen werden“ erklärt Wolfgang Turk von der LK-Bildungswerkstatt Mold in Niederösterreich. In absoluten Zahlen: Für das Pflügen eines Hektars brauchen Bauern nun nicht nur 23 Liter Diesel, wie das Österreichische Kuratorium für Landtechnik kalkuliert, sondern eben auch gut einen Liter AdBlue. Laut Angaben der Statistik Austria waren in Österreich 2021 rund 3.500 Traktoren der Abgasstufe V im Einsatz. Unter den Neuzulassungen erfüllt mit über 1.700 Stück auch das Grand die neue Abgasnorm.

Der Bedarf für AdBlue wächst. Also einlagern? Der Zusatz ist nur bedingt lagerfähig, Automobilclubs empfehlen bei frostfreier Lagerung einen Verbrauch innerhalb von zwei Jahren. Unter 11,5 Grad Celsius gefriert das Additiv. Leer fahren sollte man den AdBlue-Tank jedoch nicht. Dann schalten alle Fahrzeuge in Notbetrieb und lassen sich mit nur noch reduzierter Leistung zur Werkstatt chauffieren.

Produktion vor dem Aus?
Eine Verknappung, wie sie durch die Abschaltung der SKW Stickstoffwerke nahe Wittenberg nun droht, hätte demnach fatale Konsequenzen. „Kein AdBlue bedeutet keine Brummis. Und das bedeutet keine Versorgung für Deutschland“ formulierte es Dirk Engelhardt, Chef der deutschen Frächtervereinigung BGL prägnant. Nahezu 100 Prozent der deutschen LKW fahren mit Diesel und benötigen daher das Additiv. Die BGL beziffert allein den Bedarf der deutschen Logistikbranche mit 5 Mio. Liter AdBlue pro Tag.

Dass der Markt bereits in Bedrängnis gerät, schildert auch Alexander Klacska, Obmann der Bundessparte Transport in der Wirtschaftskammer (WKO) gegenüber der Austria Presse Agentur: „Wir spüren das auch hierzulande schon“ und betont ähnlich den deutschen Kollegen die Dramatik eines Engpasses: Bei Totalausfällen „könnte der Lkw-Verkehr innerhalb von zwei Wochen still stehen“. Andere Düngemittel- und AdBlue-Hersteller wie die BASF in Deutschland und die OMV-Tochter Borealis produzieren vorerst weiter. „Die Produktion von AdBlue an unserem Standort in Linz läuft derzeit ohne Einschränkung“, beteuert die Borealis auf Anfrage der APA. Über erzeugte Mengen möchte man jedoch keine Auskunft erteilen.

Ob der Brisanz der Versorgung mit der Harnstofflösung für Landwirtschaft und Transportwesen warnen Bauernvertreter erneut vor dem geplanten Verkauf der Stickstoffsparte in Linz an den tschechischen Agrofert-Konzern, zu dem auch die SKW Stickstoffwerke gehören. Noch entscheide in Österreich die Republik, über die Österreichische Beteiligungs AG, ob und wie lange der größte AdBlue- Hersteller den heimischen Bedarf decken kann, gibt NÖ-Bauernbunddirektor Paul Nemecek zu bedenken. „Diese Entscheidungshoheit steht jedoch in Schwebe.“ Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit stünden auf dem Spiel. Zum brisanten Borealis-Deal hat der NÖ-Bauernbund diese Woche neueste Erkenntnisse präsentiert.

Indes zeichnete sich, Berichten deutscher Medien zufolge, eine Entspannung der Lage bei AdBlue ab. „Die SKW Stickstoffwerke haben eine von zwei Anlagen zur Herstellung des Kraftstoffzusatzes wieder hochgefahren“, ist etwa bei der Deutschen Verkehrs- Zeitung zu lesen. „Wir wärmen uns auf“ so ein Sprecher der SKW. Wohl aufgrund möglicher staatlicher Unterstützung beim Stämmen der Kostenlast für Erdgas.

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AUTORClemens Wieltsch
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