Eigentlich möchte man meinen, die Entwicklungen rund um das Totalherbizid Glyphosat haben sich zuletzt zugunsten des Chemie- und Pharmariesen Bayer als Anbieter entwickelt. Immerhin wurde das Pflanzenschutzmittel in der EU gerade für weitere zehn Jahre, bis Dezember 2033, zugelassen. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) in Parma brachte trotz intensivster Überprüfung keinerlei Bedenken gegen das Präparat vor. Und auch die US-Umweltschutzbehörde erteilte mit der Einstufung als „nicht krebserregend“ dem Totalherbizid die Generalabsolution.
Doch die Geschäfte mit glyphosathaltigen Produkten laufen schlecht im Hause Bayer. „Erhebliche Preisrückgänge“ bei diesen drückten das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen der Agrarsparte Crop Science im Vorjahr um mehr als ein Viertel auf gut 5 Mrd. Euro, berichtete Agra-Europe.
Tausende Vergleiche, neun Schuldsprüche, zwei Berufungen
Hinzu kommen die anhaltenden Rechtsstreitigkeiten der 2018 übernommenen Monsanto- Sparte, die den Bayer-Konzern bis heute beschäftigen. In 167.000 Fällen wurden in den USA gegen den Glyphosat-Hersteller Schadenersatzforderungen wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen geltend gemacht. 113.000 davon habe man mittlerweile mittels Vergleich aus der Welt geschafft, teilte Bayer im Geschäftsbericht für 2023 mit.
Ende Jänner wurden weitere 19 Verfahren vor US-Gerichten abgeschlossen. In zehn Fällen entschieden die Geschworenen pro Bayer (beziehungsweise Monsanto), in neun Fällen wurde den Klägern kompensatorischer Schadenersatz samt deutlich höherem „Strafschadenersatz“ zugesprochen, heißt es. In der Bayer-Konzernzentrale in Leverkusen stieß dies auf Unverständnis, berichtete Agra- Europe. Die Urteile enthalten demnach „beweiserhebliche und rechtliche Fehler“, die Strafen seien verfassungswidrig überhöht. Mittlerweile seien deshalb bereits zwei Berufungsverfahren bei den Höchstgerichten anhängig. Die Bayer-Bilanzen wiesen zum Jahresende 2023 für Glyphosat entsprechende Rückstellungen in Höhe von 5,7 Mrd. Euro auf. Man habe aber gute Argumente zur Verteidigung des Wirkstoffs gegen die erhobenen Ansprüche. Bayer-Vorstandsboss Bill Anderson betonte bei der Bilanzpräsentation erneut: „Glyphosat ist sicher.“
Alternative ab 2028 verfügbar
Trotz aller Solidaritätsbekundungen arbeitet der Chemiehersteller bereits an einem alternativen Totalherbizid. Im Gespräch mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ erklärte Anderson, dass Versuche mit einer neuen Substanz an Pflanzen erprobt würden. Es sei nicht weniger als „die erste bahnbrechende Innovation auf diesem Gebiet seit 30 Jahren“, wird der Bayer-Boss in der FAZ-Sonntagsausgabe zitiert. Die Markteinführung des neuen Herbizids, welches noch keinen Namen hat, sei für 2028 geplant.
Waschmittel als wahrer Urheber?
Indes haben Umweltchemiker der Universität Tübingen Forschungsergebnisse vorgelegt, die das negative Image der Wirkstoffgruppe zum Teil aufbessern könnten. Wie das deutsche Monatsmagazin „Spektrum“ berichtet, könnte ein Teil des in der Umwelt auffindbaren Glyphosats gar nicht aus der Landwirtschaft stammen, sondern vielmehr aus Abbauprodukten von Wasserenthärtern entstehen. Belegen will das Forscherteam rund um Umweltchemikerin Carolin Huhn dies anhand von Gewässerproben in den USA und Europa. Untersucht wurde die Konzentration von Glyphosat und seinem Abbauprodukt „Aminomethylphosphonsäure“ in 73 Flüssen in Europa und 17 in den USA. Während sich in Übersee die Konzentrationsanstiege mit Glyphosat mit den Anwendungszeitpunkten in der Landwirtschaft gedeckt haben, lagen die Konzentrationsspitzen in Europa zwischen Frühjahr und Herbst. Der zeitliche Verlauf lege demnach Abwasser und die darin enthaltenen Waschmittelrückstände als eigentlichen Emittenten nahe, zitiert „Spektrum“ die noch nicht unabhängig geprüfte, wissenschaftliche Publikation.
Da in Europa der Anbau sogenannter RoundupReady- Pflanzen nicht erlaubt sei, müsste der Zeitraum hoher Konzentrationen deutlich kürzer sein als in den USA. Doch das Gegenteil sei der Fall, so Huhn. Ihre Daten deuten deshalb auf eine ganzjährige Quelle für Glyphosat in Europas Flüssen hin. Auch Glyphosat war in den 1960er-Jahren ursprünglich als Wasserenthärter entwickelt worden, seine Wirkung als Herbizid hat Monsanto erst Jahre später erkannt. Die Abbauprodukte sind chemisch entsprechend nahe verwandt.
- Bildquellen -
- Bill Anderson: BAYER AG (L.), BLUEDESIGN - STOCK.ADOBE.COM