Bayer und der Green Deal – Innovation statt Extensivierung

Matthias Berninger ist bei der Bayer AG für die Bereiche Public Affairs und Nachhaltigkeit verantwortlich. Im Interview steht er Rede und Antwort zu den Strategien des Chemiekonzerns in Bezug auf Klimaneutralität und Pflanzenschutz.

Kurzwachsender Mais von Bayer soll auch unter widrigen Bedingungen stabile Erträge ermöglichen.

BauernZeitung: Laut dem „Green Deal“ der Kommission soll die EU bis zum Jahr 2050 „klimaneutral“ werden. Stimmen Sie dieser Zielsetzung zu?
Berninger: Es geht nicht so einfach, wie die Kommission sich das vorstellt. Das hat der erste Vorschlag der Sustainable Use Regulation gezeigt. Das Grundproblem besteht für mich darin, dass man die ökologische Bilanz der Produktion durch eine Extensivierungsstrategie verbessern will. Davon halten wir wenig. Die Europäische Union würde dadurch noch stärker von Nahrungsmittelimporten abhängig, in einer Zeit, wo sie eigentlich mehr exportieren müsste. Das Leitbild der Extensivierung würde ich gerne ersetzen durch eines der nachhaltigen Intensivierung. Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass Nachhaltigkeit und gleichzeitig eine intensivere Produktion vereinbar sind.

Haben Sie dafür auch ein Beispiel?
Sehr spannend ist der Ansatz, dass wir Pflanzen, die keine Leguminosen sind, dazu befähigen, Stickstoff aus der Luft zu binden. Aktueller Stand der Technologie ist, dass wir bereits zehn Prozent des Mineraldüngers auf diese Weise ersetzen können. Als Unternehmen Bayer sind wir ja noch nicht aktiv am Düngemittelmarkt, der ist mehr als doppelt so groß als der Markt für Agrarchemie und Saatgut. Wenn wir in diesen Markt reinkommen, ist das für uns auch wirtschaftlich sehr attraktiv.

Kann man sich das vorstellen wie die Beimpfung von Sojabohnensaatgut oder ist das eine züchterisch verankerte Pflanzen­eigenschaft?
Beides. Man muss die Fortschritte in der Genomik nutzen, um die richtigen Mikroben zu identifizieren, die unter Anwendung komplexer Kohlehydrate eine Symbiose mit den Wurzeln eingehen. Damit hätte man auch in Kulturen wie Raps, Mais oder Weizen eine Lösung, um mit deutlich weniger Dünger die gleichen Ernteerträge zu erreichen.

In der EU sagt man vor allem dem konventionellen Pflanzenschutz den Kampf an. Wie ist Ihre Position dazu?
Bei diesem Thema ist in der EU der richtige Maßstab verloren gegangen. Bis vor kurzem wurden großspurige Verbote verhängt und durch die Hintertür mittels Notfallsregelung wieder Zulassungen erteilt. Der EU-Gerichtshof hat dieser Praxis eine Absage erteilt, mit einem möglichen Ende des Zuckerrübenanbaus in Europa ist aber auch niemandem geholfen. Der richtige Weg ist, auch im Pflanzenschutz massiv auf Innovation zu setzen. Es braucht ein Maßband, um relativ alte Pflanzenschutzmittel ohne Wirkungsverlust durch bessere Mittel zu ersetzen. Dieses Maßband fehlt in den bisherigen Vorschlägen der Kommission.

Können Sie einen besseren Vorschlag machen?
Wir arbeiten mit einem neuen wissenschaftlichen System zur Bewertung von Pflanzenschutzmitteln und werden unsere Fortschritte in unserem Nachhaltigkeitsbericht, der Ende Februar erscheint, vorstellen. Dieses Maßband soll zeigen, welchen Einfluss die Mittel im globalen Rahmen auf die Umwelt haben. Denn das Pflanzenschutzthema betrifft auch die Nahrungsmittel, die wir importieren. Wir können uns als Europäer nicht von globalen Standards verabschieden.

Unsere Landwirte haben schon jetzt das Problem fehlender Wirkstoffe und steigender Ernteverluste …
Wo es gute Alternativen gibt, sollte man ältere Mittel vom Markt nehmen. Wo es keine Alternativen gibt, sollte man Möglichkeiten zum Ersatz schaffen und die Zulassung beschleunigen. Food loss (Nahrungsmittelverluste) ist eines der großen Themen. Pflanzenschutzmittel verhindern Food loss – sie gehören deswegen zu den Lösungen und sollten nicht verboten werden – auch diese Diskussion ist zu führen.

Ähnlich verfahren ist die Situation bei den neuen Züchtungsmethoden. Sehen Sie hier einen Ausweg?
Bei den neuen Züchtungstechnologien besteht in der EU dringender Handlungsbedarf. Bis Mitte des Jahres will die Kommission einen Vorschlag zu einem neuen Gentechnikrecht vorlegen. Eine Kennzeichnung könnte man ja machen, aber es darf keine Verteufelung passieren. NGOs, Grüne und Lebensmittelhandel müssen sich gut überlegen, ob sie in billigem Populismus den Leuten Angst machen und ob sie zu „Impfgegnern“ in der Ernährungswelt werden wollen.
Auch in Europa brauchen wir die Technologien, die wir sonst überall in der Welt einsetzen. Die Diskussionslinien verlaufen hier anders als in der klassischen Gentechnik.

In den USA ist Bayer bereits dabei, Mais mit verkürztem Stengel im Feldversuch zu erproben. Wird es diesen Mais auch für Europas Landwirte geben?
Kurzwachsender Mais ist der Kern unseres Smart-Corn-Systems. Charakteristisch für diesen Maistyp ist ein um etwa ein Drittel verkürzter Stengel. Bei gleicher Blattfläche bringt der Mais Erträge wie herkömmliche Hybride. Der verkürzte Stengel macht die Pflanzen extrem standfest. Dünge- und Pflanzenschutzmaßnahmen sind gezielt bis weit in die Saison hinein möglich. Short Corn kann enger gepflanzt werden und ist gegen Trockenheit weniger empfindlich.
Im Rahmen des Smart-Corn-Systems unterstützen wir die Kulturführung mit digitalen Hilfsmitteln. Eine Markteinführung des Short-Corn streben wir auch in Europa an, allerdings wird dies erst mittelfristig möglich sein.
Ist für Sie eine Landwirtschaft ohne fossile Energieträger vorstellbar?
Die Landwirtschaft ist heute stark von fossilen Energieträgern abhängig. Vor allem aufgrund der Stickstoffdünger verursacht die Landwirtschaft zurzeit weltweit etwa ein Viertel der CO2-Emissionen.
Macht man die Landwirtschaft unabhängiger von Erdöl und Erdgas, dann bremst das den Klimawandel und die Landwirte sparen Kosten. Wir sind überzeugt, dass die Dekarbonisierung neue Einkommensquellen für die Landwirte schaffen kann.

Mit Glyphosat hat Bayer große Probleme. Können Sie den Wirkstoff verteidigen?
In der EU macht die Zulassung einen Hindernislauf durch. Rein wissenschaftlich spricht nichts gegen eine Verlängerung. Der Vorwurf, krebserregend zu sein, ist nicht haltbar. Möglich ist aber ein Nein der Politik. Wir haben dazu einen pragmatischen Standpunkt und sind offen für weitere Gespräche mit der Politik.
Für viele Landwirte ist Glyphosat aber ein zentrales Produkt für eine klimaschonende Wirtschaftsweise. Wir arbeiten deshalb an Alternativen und wollen uns mit der nächsten Generation von Pflanzenschutzmitteln selbst der größte Wettbewerber sein für Glyphosat.
www.bayer.com

Quelle: Bayer AG
Matthias Berninger

Ein Grüner im Chemie-Konzern – Matthias Berninger ist leitender Vizepräsident der Bayer AG. Seit Anfang 2019 steht er weltweit dem Bereich „Public Affairs und Nachhaltigkeit“ des Konzerns vor. Der ehemalige deutsche Politiker (Bündnis 90/Die Grünen) war von 2001 bis 2005 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft und von 2003 bis 2007 Landesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Bundesland Hessen. Seit seinem Ausscheiden aus der Politik 2007 arbeitete er als Lobbyist, vor seinem Engagement bei Bayer zunächst für den amerikanischen Nahrungsmittel- und Süßwarenkonzern Mars Incorporated. Bei der Wintertagung des Ökosozialen Forums im vergangenen Jänner sprach Matthias Berninger zu neuen Anforderungen an die Landwirtschaft.

- Bildquellen -

  • F02 W Matthias Berninger: Bayer AG
  • F W BAYER Short Corn: Bayer AG
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AUTORH.M.
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