Badetouristen am Strand von Jesolo bekommen kaum mit, wie intensiv und doch nachhaltig im Hinterland der Urlaubsorte geackert wird. Rund 200 Betriebe versorgen die Lagunen-Region von Cavallino-Treporti bis nach Venedig mit Gemüse, Obst, Kräutern, Meeresfrüchten und Wein.

Bei einer Pressereise mit Agrarjournalisten gewährten uns Regionalpolitiker, Landwirte und
Vermarkter einen Blick hinter die Badeort-Fassade. Auf der italienischen Landzunge zwischen der Lagune von Venedig und dem adriatischen Badeort Jesolo liegt das vom Tourismus geprägte Örtchen Cavallino-Treporti. Als „gutes Miteinander von Tourismus,
regionaler Landwirtschaft und Umwelt“ bezeichnet die Bürgermeisterin des Ortes, Roberta Nesto, die Lage heute, doch das war gewiss nicht immer so.

Quelle: Rieberer
Familie Cimarosto, Gemüsebau

Das Land sei in der Vergangenheit mehrmals von Wassermassen wie auch Touristenströmen überflutet gewesen. Stets habe man jedoch versucht, die Synergien zu nutzen. Heute sichern sich die regionalen Landwirte mit „Agro-Tourismo“, bei uns bekannt als Urlaub am Bauernhof, „Null-Kilometer“- und „Slow Food“-Vermarktungskonzepten sowie der Belieferung von Supermärkten und Restaurants in der Lagunen-Region stabile Familieneinkommen. Ein Teil der Produkte aus der Gemüse-, Kräuter- und Weinproduktion geht auch in den Export.

Gartenbau revolutioniert
Das nahe gelegene Venedig war berühmt für den internationalen Handel mit Waren aller Art. Um 1600 hatten die in Cavallino-Treporti ansässigen Landwirte noch vom Handel mit Früchten, vorwiegend Pfirsiche, gelebt. Auch Tierhaltung gab es, wenn auch nur für den Dünger, den die Landwirte auf den salzigen Böden dringend gebraucht hatten.
Ende der 1960er-Jahre, als mehrere Fluten über das fruchtbare Land hereingebrochen waren und die dadurch versalzenen Böden die Obstproduktion fast verunmöglichten,
änderten die damals noch über 1.000 Landwirte ihre Strategie. Anstatt der Früchte sollten in der zweite Hälfte der 1990er-Jahre vermehrt Gemüse, Wein, Getreide und Kräuter angebaut werden.

Zuerst wurden nur die nahe gelegenen Ortschaften rund um Cavallino mit Gemüse versorgt, rund um die Jahrtausendwende etablierten sich dann aber auch in Venedig lukrative Absatzkanäle. Die Landwirtschaft durchlebte eine Revolution hin zum Gartenbau, ganz nach dem Vorbild von Holland und Belgien.

Quelle: Rieberer
Erntedank mit Meeresfrüchten in Italien

Salzige Böden und Meeresluft
Der salzig-sandige Boden und das von der Meeresluft geprägte Klima haben einen großen Einfluss auf den Geschmack der Lebensmittel. Bleibt der Regen aus, so wie in diesem Sommer, reichert sich der Boden zunehmend mit Salz an. Regnet es hingegen ausreichend, sind salzige Böden weniger Gefahr und auch die Krustenbildung bleibt aus. Das Wassermanagement ist aus diesem Grund von besonders großer Bedeutung in dieser Region und auch Bürgermeisterin Nesto’s ‚heilige Kuh‘.

Salzwasser und Lagunenklima beeinflussen neben Vegetation und Geschmack auch die Farbe der Lebensmittel. Zudem ‚klimatisiert‘ die salzig-feuchte Meeresluft die Landwirtschaft am Festland. An Hitzetagen bringt das Meer kühle Brisen, wodurch die in den Sommermonaten unter Wassermangel leidenden Pflanzen etwas weniger empfindlich sind. Dieses spezielle Mikroklima in der Lague von Venedig ist meist ein Segen. Doch half dieses in einem Jahr mit bisher nur einer Hand voll Regentagen auch wenig, wie Bio-Landwirt und Gemüsebauern Savino Cimarosto erzählt.

“Wenn es so lange nicht regnet, wird das Salzwasser rund um unsere Insel sehr gefährlich“, erzählt Savino Cimarosto, Landwirt in der Lagune. 

Familienbetriebe und viele Fremdarbeitskräfte
Zwei bis drei Hektar landwirtschaftliche Fläche bewirtschaften die heute noch übrig gebliebenen 200 Gemüsebauern aus Cavallino durchschnittlich. Einige davon arbeiten im Familienverband, andere stellen Fremdarbeitskräfte an, vor allem während der Saisonspitzen. Die Fremdarbeitskräfte kommen aus Ländern wie Bangladesch, Nordafrika oder Moldawien. Sie arbeiten auf den Feldern, „um Wissen für die Produktion im eigenen
Land zu generieren“, sagte uns einer der Gemüsebauern aus Cavallino.

Wenige junge Landwirte
Was Alter und Geschlecht in der Landwirtschaft betrifft, so sind noch viele über 60-jährige Landwirte aktive Betriebsführer. Nur 5 Prozent der Betriebsführer sind unter 30 Jahren
alt, Frauen sind innerhalb der Familienbetriebe zwar viele angestellt, die Betriebe führen aber überwiegend Männer. Anders gestaltet sich die Altersstruktur bei den örtlichen Fischern. Hier sind es vielfach junge Männer mit Studienabschluss, die Fischerei-Betriebe führen und auch neue Modelle in der Vermarktung etablieren. Diese überwiegend jungen Männer engagieren sich laut Bürgermeisterin Nesto überproportional oft für eine
gute Balance zwischen Mensch, Meerestieren und Natur. Nicht nur in der Lagune, wo Salz-
und Süßwasser aufeinandertreffen, sondern auch an der Adria-Küste.

- Bildquellen -

  • : Rieberer
  • Erntedank: Rieberer
  • Venissa 1965: Venissa.it
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