Frauen leben Landwirtschaft! Und das auf vielfältigste Weise, wie die erste deutsche Studie zur Lebens- und Arbeitssituation von Frauen in der Landwirtschaft seit der Wiedervereinigung im Jahr 1990 aufzeigt. Frauen gewährten dafür Einblicke in ihre Gefühlswelt, ihre unterschiedlichen Rollen und beleuchten so die bedeutenden Leistungen von Frauen auf landwirtschaftlichen Betrieben und für die ländlichen Räume. Eine solche Erhebung gab es für ganz Deutschland noch nie. In Österreich wurden bereits mehrere vergleichbare Studien über Frauen am Land veröffentlicht.  

Drei Jahre lang wurden die Lebenssituationen von Frauen auf landwirtschaftlichen Betrieben untersucht. Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen, dass die Gleichstellung der Geschlechter auf vielen Betrieben noch nicht erreicht ist. Immerhin: Der Anteil von Frauen, die eigenständig einen Agrarbetrieb führen oder auch gründen, nimmt zu. 

Elf Prozent der Betriebe gehören Frauen 
Bei der vorgesehenen Hofnachfolge liegt der Frauenanteil bei rund 18 Prozent und damit höher als bei den tatsächlichen Betriebsführerinnen. Damit rangiert Deutschland bei der Hofnachfolge im EU-Vergleich auf einem der hinteren Plätze. Die Befragungen ergaben, dass es in der Landwirtschaft erhebliche Zugangsbarrieren für Frauen gibt. „Veraltete Geschlechterbilder“ und „traditionelle Vererbungspraxen“ seien nach wie vor strukturelle Hindernisse für Frauen. Vielfach sei deren soziale Absicherung im Alter oder im Falle von Scheidung, Trennung oder Tod der Betriebsleitung nicht geregelt. Auch in der Gesundheitsvorsorge zeigen sich etliche Schwachstellen.

Leistungen von Frauen sind oft „unsichtbar“
Die Ergebnisse der deutschlandweit durchgeführten Onlinebefragung zeigen, dass Frauen auf landwirtschaftlichen Betrieben vielfältige Aufgaben übernehmen: 83 Prozent der befragten Frauen arbeiten im landwirtschaftlichen Betrieb, gut jede Zweite (52 Prozent) in dazugehörigen Nebenbetrieben wie etwa in der Direktvermarktung oder im Tourismus. Knapp 40 Prozent sind außerbetrieblich erwerbstätig. 83 Prozent der befragten Frauen sind zusätzlich im Haushalt tätig. Diese vielfältigen Tätigkeiten seien in der Agrarstatistik jedoch nicht sichtbar.

Differenz zwischen „gefühlter“ und rechtlicher Verantwortung
72 Prozent gaben an, an strategisch-unternehmerischen Entscheidungen beteiligt zu sein, 62 Prozent sind für Buchhaltung, Finanzen und Büro verantwortlich. Die Frauen verstehen sich als (Mit-)Unternehmerin. Das bedeutet aber nicht, dass sie auch rechtlich am Betrieb beteiligt sind. Ganz im Gegenteil. Nur 11 Prozent der Befragten gehört der gesamte Betrieb, weiteren 24 Prozent gehört ein Teil der Flächen oder Gebäude. Demnach gibt es deutliche Unterschiede zwischen der gefühlten und der rechtlichen Position auf dem Betrieb. 

Position und Arbeitssituation
Die Ergebnisse spiegeln eine enorme Vielfalt der Positionen und Tätigkeiten wider: Knapp die Hälfte (49 Prozent) der befragten Frauen sind (Ehe-)Partnerinnen der Betriebsleitung, gefolgt von Betriebsleiterinnen oder Geschäftsführerinnen und anderen weiblichen Familienangehörigen (jeweils 19 Prozent). Sechs Prozent sind Angestellte oder Auszubildende, vier Prozent sind Altenteilerinnen.

Buchhaltung, Tierhaltung und Mitarbeiterseelsorge
Häufige Tätigkeiten im landwirtschaftlichen Betrieb sind Buchhaltung, Tierhaltung, aber auch Ansprechpartnerin für Mitarbeiter zu sein. Feldarbeit und Maschineninstandhaltung werden dagegen etwas weniger häufig von den Befragten genannt, aber öfter von Betriebsleiterinnen und den überwiegend jungen anderen Familienangehörigen. Auf Nebenerwerbsbetrieben, die rund die Hälfte der Betriebe der befragten Studienteilnehmerinnen darstellen, werden die Direktvermarktung und die hofeigene Verarbeitung häufig von Frauen übernommen.

Wenig anerkannt: „Springerin“
Viele Frauen sehen sich selbst in der Rolle der „Springerin“. Sie sind kurzfristig in den vielen Arbeitsbereichen am Betrieb tätig. Außerdem übernehmen sie Tätigkeiten wie das Aushelfen oder die Pflege des Betriebsgeländes. Das alles sind Aufgaben, die für den Gesamterfolg des Betriebes wichtig sind, aber häufig nicht wirklich anerkannt werden. Auch eine starke Motivation und hohe Belastbarkeit der Frauen wurde festgestellt. Auch sind Frauen mit mangelnder Anerkennung der Kompetenzen sowie einer ungleichen Entlohnung bei vergleichbaren Qualifikationen konfrontiert. Eine der Studienautorinnen des Thünen-Instituts, Zazie von Davier, fordert: „Für ihre vielfältigen Leistungen und Verantwortlichkeiten auf den landwirtschaftlichen Betrieben sollten Frauen eine gleichwertige und unabhängige Alterssicherung einfordern.“

Studienautorinnen sind Dr. Susanne Padel, Janna Luisa Pieper, Imke Edebohls, Dr. Zazie von Davier, alle: Thünen-Institut für Betriebswirtschaft und dem Lehrstuhl für Soziologie Ländlicher Räume der Universität Göttingen.

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AUTORMartina Rieberer
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