Viele Klassiker aus Fernost haben es bereits auf unseren Speiseplan geschafft. Wie wäre es also mit einer weiteren Delikatesse? Frittierte Maden beispielsweise oder süße Schoko-Heuschrecken. Was hierzulande meist noch auf Ekel stößt, ist in vielen Ländern Usus und ein wichtiger Ernährungsbestandteil. Laut der Welternährungsorganisation (FAO) verspeisen mehr als zwei Milliarden Menschen regelmäßig Insekten. Langfristig führt für die FAO daher auch kein Weg an diesen als „Nahrungsmittel der Zukunft“ vorbei, denn ohne diese werde die wachsende Bevölkerung nicht satt. Auch die EU investiert in die „Entomophagie“, so der Fachterminus für den menschlichen Verzehr von Insekten. Drei Milliarden wurden der Forschung an der Nutzung von Insektenprotein gewidmet.
Was für Insekten am Teller spricht
Nun sind die ersten essbaren Insekten(produkte) im Landeanflug auch auf den heimischen Lebensmittelmarkt. Die Hersteller bewerben sie sogar als nachhaltige, klimafreundliche Eiweißbomben. Kritiker dagegen bemängeln neben dem Ekelfaktor die Risiken von Allergien und Zoonosen. Grund genug, einen genaueren Blick auf die Krabbeltiere und ihr Absatzpotenzial zu werfen.
„In erster Linie ist es ihr sehr hoher Proteinanteil. Außerdem wachsen Insekten sehr schnell und brauchen verhältnismäßig wenig Ressourcen, sprich Wasser und Futtermittel“, erklärt Lisa-Marie Schaden. Gemeinsam mit ihrem Partner Andreas Koitz führt sie die erste Bio-Mehlwurmzucht in Österreich.
Produktionsstätte und Zuhause der heimischen Insektenzucht-Pioniere ist der „Krumschinkhof“ hoch über dem Kärntner Lavanttal, vor Ort besser bekannt als „Die Wurmfarm“. Seit vier Jahren werden dort Mehlwürmer aufgezogen und seit zwei Jahren verarbeitet und vermarktet. Allerlei Produkte gibt es inzwischen auf den vormals inaktiven Hof. Von Snackwürmchen über Schokolade und Powerriegel bis hin zu Hundeleckerlis und Bio-Insektendünger. „Dieser Idee nachzugehen, hat sich für uns auf jeden Fall gelohnt. Wir verschicken sehr viel über den Versandhandel – auch international.“ Auch in Kärnten sei man mittlerweile sehr bekannt und in vielen Geschäften vertreten“, sagt Schaden.
Auf der Wurmfarm schlüpft eine Idee nach der anderen
Hauptabnehmer seien seit dem heurigen Jahr aber Start-ups, die Lebensmittel mit Mehlwürmern kreieren. Diese beziehen von der Wurmfarm die Würmchen zermahlen zu Pulver oder vorgekocht im Ganzen. Auch für die beiden und ihre gemeinsame Tochter Tiana gehört das Verspeisen der Tierchen zum Alltag. Die besten Rezepte hat die umtriebige Wurmfarmerin in Form eines Kochbuchs herausgebracht: „Mein Lieblingsrezept sind Spagetti Bolognese. Da haben wir den Fleischanteil komplett durch Mehlwürmer ersetzt. Durch die Gewürze schmeckt man diese aber überhaupt nicht heraus.“ Im übrigen schmecken Mehlwürmer wie Erdnussflips.
Das Know-how für ihre Mehlwurmzucht mussten sich aber auch Schaden und Koitz erst erarbeiten. Hilfreich war natürlich Schadens Vorwissen aus dem Mikrobiologiestudium. Inzwischen hält die Jungunternehmerin auch Workshops für Landwirte ab, die sich mit der Insektenzucht ein neues Standbein aufbauen wollen. In diesen erklärt sie unter anderem den Weg vom Mehlkäfer zum erntereifen Wurm: „Die Käfer paaren sich, legen Eier ab, daraus schlüpfen die Larven. Diese werden gefüttert und wachsen, abhängig von Temperatur und Feuchtigkeit, in zehn bis zwölf Wochen zu erntereifen Würmern heran.“ Die Tötung ist der letzte Schritt im „Stall“. Dazu werden die Tiere mit einer eigens konzipierten Erntemaschine erst sortiert und 24 Stunden auf Fastenkur geschickt, damit sich ihr Verdauungstrakt entleert. Durch Tiefkühlen werden sie schließlich in eine Art Winterstarre versetzt. „Dadurch schlafen sie quasi ein und werden nicht mehr wach, weil der Stoffwechsel aufhört zu arbeiten“, weiß Schaden. Für die toten Würmchen geht es dann weiter in den Verarbeitungsbereich, wo sie blanchiert oder geröstet werden. Hinsichtlich Nahrungsmittelsicherheit müssen sich Konsumenten keine Sorge machen. „Für die Verarbeitung gelten die gleichen Standards und strengen Richtlinien wie bei Fleisch.“
Bei aller Euphorie und Leidenschaft bleibt Schaden aber realistisch: „Im Lebensmittelbereich werden Insekten bei uns eine Nische bleiben, wie Shrimps. Ein Riesenpotenzial haben sie aber als Futtermittel.“ Aus diesem Grund forscht die gebürtige Steirerin aktuell an Futtermittelinsekten. „Der Mehlwurm ist da nicht wirklich ideal, eher die Soldatenfliege“, lautet ihre Expertise.
Auch in der Wirtschaft hat man das Potenzial von Insekten bereits erkannt. Die AG Insekten, ein Zusammenschluss von Garant, TKV, WKO und der Wurmfarm, will in Zukunft Nutztiere wie Hühner und Schweine mit hochwertigem Insektenprotein füttern. Und erst kürzlich wurde die (Wieder-)Zulassung von Tiermehlen in der EU thematisiert und mit qualifizierter Mehrheit der Mitgliedsstaaten beschlossen. Das Inkrafttreten der abgeänderten Verordnung wird in wenigen Monaten, bis zum Sommerende, erwartet. Es bleibt also spannend am „Insektensektor“.
TV-Tipp: In „P.M. Wissen“ auf ServusTV wird heute (Do. 29. April, 20.15 Uhr) über die Wurmfarm berichtet.
Betriebsspiegel
Adresse: Wartkogel 14,
9462 Bad St. Leonhard im Lavanttal
Betriebsgröße: 27 Hektar, davon die Hälfte Wald
Betriebsführer: Andreas Koitz; Lisa-Marie Schaden ist mit ihren Insekten-Workshops selbstständig tätig
Kontakt: office@diewurmfarm.at
www.diewurmfarm.at
Elisabth Hasl