Die Zeit der stark zunehmenden Milcherzeugung in Europa und weltweit ist erst einmal vorbei. Die Prognosen deuten darauf hin, dass die Talsohle durchschritten ist.” Diesen Hoffnungsschimmer wagte Milchökonom Holger Thiele anlässlich einer Arbeitstagung der LK Oberösterreich vergangene Woche. Thiele ist Professor für Agrarpolitik und Statistik an der Fachhochschule in Kiel und Direktor des auf die Milchmarktanalyse spezialisierten Kieler Instituts für Ernährungswirtschaft.
Langsame Erholung
Die Bedeutung der schwierigen Situation auf dem Milchmarkt bringt Thiele sehr präzise auf den Punkt: “Wenn eigentlich längerfristig wettbewerbsfähige Milcherzeuger aufgrund von Liquiditätsproblemen in einer Krise vorzeitig aus der Milchproduktion aussteigen, dann haben wir nicht nur ein Krisenproblem einzelner Betriebe, sondern auch eine gesamtwirtschaftlich relevante Krise.” Die Ursachen liegen vor allem in einem heftigen Anstieg der EU-Milchmengen in der EU seit dem Herbst 2015. Der Preisdruck hat folglich zugenommen und die Preise sind gesunken. Preissignale vom Markt würden erst mit deutlicher Verspätung bei den Milcherzeugern ankommen, was heißt, dass Betriebe auf niedrigere Preise vorerst nicht mit weniger Menge reagiert haben. Zudem seien Neuinvestitionen realisiert worden, weil das Ende der Quote absehbar war. Vieles von dem sei vorhersehbar gewesen, so Thiele. Dazugekommen seien nicht erwartbare Probleme mit Russland und die Stagnation am chinesischen Markt. Laut Thiele dürfte jetzt der Tiefpunkt erreicht sein und das Milchmengenwachstum zurückgehen (siehe Grafik links). Im weiteren Verlauf des Jahres sollten sich die Milchpreise stabilisieren, wenn die Nachfrage am Binnenmarkt weiterhin leicht wächst und sich der Export in Drittländer wie im ersten Quartal entwickelt. Die Erholung verlaufe aber langsam und werde erst verzögert bei den Lieferanten bzw. Milchbauern ankommen.
Thiele: “Für neue Krisen lernen”
Auf welches Niveau sich der Milchpreis entwickelt, könne niemand ernsthaft sagen. Fest stehe allerdings, so Thiele, dass Milchpreisschwankungen die neue Normalität auf den europäischen Milchmärkten sind (siehe Grafik rechts). Alle Beteiligten in der Wertschöpfungskette müssten sich daher immer mehr mit Preisabsicherung und Liquiditätsreserven darauf einstellen. Die Wirtschaft sieht Thiele mehr gefordert als die Politik, was Mengensteuerungs- als auch Risikomanagement-Maßnahmen betrifft. Neue Vertragsmodelle seitens der Molkereien könnten etwa unterschiedliche Auszahlungspreise je nach Liefermenge beinhalten. Staatlich notwendige Kriseninstrumente müssten sich in Richtung Preisabsicherung bewegen. Interventionspreise seien auch zukünftig zur Verhinderung extremer Ausschläge notwendig. Diese sollten moderat angehoben werden. Über dem Interventionspreis soll die pri-vate Lagerhaltung flexibel eingesetzt werden.
Was ist zu tun? “Lehren aus der Krise” nach Holger Thiele
- Liquiditätsreserven
- Preisabsicherungsmodelle
- bisherige staatliche Kriseninstrumente anpassen
- neue staatliche Kriseninstrumente: Risikomanagement-Beratung Frühwarnsysteme, Unterstützung von Mengensteuerungen
- Milchwirtschaft ist gefordert, mit neuen Geschäftsmodellen und Lieferverträgen auf die neue Normalität der Preisschwankungen proaktiv zu reagieren.