Was steht derzeit ganz oben auf ihrer Agenda?
Giansanti: Ich möchte die gesamte Landwirtschaft Europas vertreten und voranbringen. Nur wenn wir als Einheit agieren, werden wir auch genug Kraft aufbringen, um mit den USA und China auf den internationalen Märkten zu konkurrieren. Auf uns Bauern warten große Herausforderungen. Etwa der Beitritt neuer EU-Mitgliedstaaten. Das macht ganz klar ein größeres EU-Agrarbudget notwendig. Auch die GAP muss radikal reformiert werden. Damit wir künftig besser als bisher die Produktivität auf den Höfen stärken und die Einkommen der Bauern schützen können. Weit oben auf meiner Liste steht auch der Schutz unserer hohen Sicherheits-, Qualitäts- und Arbeitsstandards gegenüber Drittstaaten. Und es braucht dringend Maßnahmen, um dem Klimawandel wirkungsvoll zu begegnen.
Wie wollen Sie das angehen?
Mit wissenschaftlich basierten Botschaften und mit korrekten, transparenten Informationen für die Konsumenten. So dürfen die Landwirte nicht länger als Teil des Klimaproblems beschrieben werden. Vielmehr sollten wir deren jahrelange Aktivitäten zum Schutz der Böden stärker als bislang hervorheben.
Es stehen wichtige Entscheidungen an, wie ein stabiles EU-Agrarbudget im nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen…
Wir fordern mehr Geld für die Landwirtschaft. Derzeit beträgt das Agrarbudget weniger als ein Prozent der Summe des Bruttonationaleinkommens aller EU-Staaten. Das ist zu wenig.
Was rechtfertigt einen höheren Agrarhaushalt?
Die EU verliert auf globaler Ebene zunehmend an wirtschaftlichem Einfluss gegenüber den USA oder China. Auch hat unsere Abhängigkeit von Drittstaaten gesamtwirtschaftlich zugenommen. Europas Landwirte müssen deshalb produktiver werden und sich wettbewerbsfähiger aufstellen. Dazu braucht es Investitionen auf den Höfen. Die wird es nur geben, wenn sich die Bauern auf einen langfristig starken EU-Haushalt verlassen können.
Giansanti: Was die Agrarbranche betrifft, so überwiegen beim Abkommen mit dem Mercosur
klar die Nachteile.
In Brüssel wird bereits über eine EU-weite Versicherungspflicht gegen Klima- und Unwetterschäden diskutiert. In Italien gibt es das bereits. Können Sie dieses Instrument empfehlen?
Stimmt, Landwirte in Italien sind verpflichtet, in den öffentlichen Fonds Agricat einzuzahlen. Dieser bietet finanziellen Schutz nach Frost, Dürre oder Überschwemmungen. Er wird zu gleichen Teilen aus drei Quellen finanziert: Von allen Empfängern werden verbindlich drei Prozent der EU-Direktzahlungen einbehalten. Dazu kommen EU-Gelder, die Italien für die Entwicklung des ländlichen Raumes zustehen, und Gelder aus dem nationalen Staatshaushalt. Unterm Strich sind das jährlich etwas mehr als 300 Millionen Euro. Im Fall von Naturkatastrophen werden die betroffenen Landwirte aus dem Fonds entschädigt, auch wenn es dabei Anlaufschwierigkeiten gegeben hat. Auch sollte über eine dritte Säule der GAP zur Absicherung von Klima- und Marktrisiken nachgedacht werden. Als Ergänzung zu bestehenden Instrumenten.
Wie stehen Sie zum EU-Mercosur-Abkommen? Gerade Italien könnte vom dort vereinbarten Schutz von rund 350 geografischen Angaben profitieren. Zölle auf EU-Weinexporte sollen sinken oder gar ganz gestrichen werden. Gleiches gilt für viele Milchprodukte. Sie lehnen das Abkommen trotzdem so kategorisch ab. Warum?
In der gegenwärtigen Formulierung garantiert das Abkommen weder gleiche Standards in der Produktion noch gleiche Sicherheitsstandards im Lebensmittelbereich. Das kann nicht nur für unsere Bauern negative Folgen haben, sondern auch für die Konsumenten. In der Tat würde der Wein profitieren. Das gilt aber nicht für Rindfleisch, Geflügel, Mais und Zucker. Was die Agrarbranche betrifft, so überwiegen beim Mercosur-Abkommen also klar die Nachteile.
Wie beurteilen Sie den drohenden Handelsstreit mit den USA?
Das ist aus Sicht der Copa das Letzte, was wir brauchen. Die USA sind ein wichtiger Abnehmer für Agrarprodukte aus der EU. Wir haben eine solide Handelsbeziehung, die wir nicht aufs Spiel setzen wollen. Wir rufen zur Mäßigung in den bilateralen Gesprächen auf, um sicherzustellen, dass die Bauern und Agrarsektoren auf beiden Seiten des Atlantiks letztlich nicht den Preis für diese Politik zahlen müssen. Wenn ich vor Trump stünde, würde ich ihm sagen, dass es an der Zeit ist, einen bilateralen Deal mit uns zu schließen, der den Handel und nicht Zölle in den Mittelpunkt stellt.
Was halten Sie als Copa-Präsident von den EU-Beitrittswünschen der Ukraine?
Wir sind seit Kriegsbeginn 2022 mit den ukrainischen Kollegen solidarisch. Wir müssen aber auch die Folgen in Betracht ziehen, die der weitgehend barrierefreie Import ukrainischer Agrarerzeugnisse auf den EU-Binnenmarkt hat. Deren niedrige Preise verzerren den Wettbewerb. Denn den strengen EU-Vorgaben für unsere Landwirte sind die Ukrainer nicht unterworfen. Die Konsequenzen eines EU-Beitritts der Ukraine auf den EU-Agrarsektor sollten daher im Vorfeld sehr aufmerksam analysiert werden, vor allem für die Auswirkungen auf das EU-Agrarbudget.
Erheblichen Widerstand gibt es in Italien auch gegen Laborfleisch.
Ich bin selbst Tierhalter und es ist für mich nicht vorstellbar, dass Laborfleisch ein wirklicher Ersatz für unsere hervorragenden Fleischerzeugnisse sein kann. Allerdings wird sich dieses Rad kaum zurückzudrehen lassen. Was aber absolut nicht verhandelbar ist, ist der Schutz unserer regionalen Produkte und eine klare und transparente Kennzeichnung von fleischähnlichen Erzeugnissen.
Zur Person:
Massimiliano Giansanti (50) aus Rom ist Agrarunternehmer und Boss der Firmengruppe Giansanti Di Muzio, die von Rom bis Parma Getreide, Milch, Fleisch und auch Agrarenergie erzeugt. Als Präsident der Copa repräsentiert er über 22 Millionen europäische Landwirtinnen und Landwirte und ihre Familien.
Das Interview mit dem Copa-Präsident führte Agra-Europe.
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