Eine Million Euro in Strohhaltung investiert und dennoch sind die Schwänze gefallen. Anhand eines solchen Falles aus der Praxis hat Mirjam Lechner von der Erzeugergemeinschaft Hohenlohe in Baden Württemberg erläutert, dass „ein bisschen Stroh und ein bisschen Spielzeug“ zu wenig sind, um den Problemkomplex Schwanznekrosen und Schwanzbeißen lösen zu können. Zum Erfolg führte im geschilderten Fall Lechners Rat, die Eberlinie zu wechseln und die Futterration umzustellen.
Auch Freiland- und Bio-Haltung betroffen
Mirjam Lechner ist ausgebildete Fleischerin und arbeitet mit diesem Hintergrund als Beraterin und Tiersignaltrainerin für Schweinehalter. Ihr Hauptthema ist bereits seit vielen Jahren der intakte Ringelschwanz. Den aktuellen Stand der Forschung hat sie Mitte Mai in einem Vortrag im Rahmen des Nutztierschutztages der HBLFA Raumberg-Gumpenstein zusammengefasst.
Wie komplex die Zusammenhänge bei Thema Ringelschwanz sind, erläuterte die Beraterin anhand von Schlachthofbefunden. Das ernüchternde Fazit: Auch bei Bio- und Freiland-Haltung oder bei Wildschweinen aus Tierparks zeigten etwa ein Drittel der Tiere zumindest Teilläsionen. Auch in „Ringelschwanzländern“ mit Kupierverbot, wie in Finnland oder der Schweiz, zeigen 40 bis 50 Prozent der Tiere Teilverluste. Lechner: „Ein Kupierverzicht erhöht das Risiko für Schwanzbeißen um den Faktor drei, also um 300 Prozent.“
Genetik, Futter und Haltung
Die Ursachenforschung führte in der Folge zu einer Reihe von Ursachenketten die allesamt in ein Entzündgungsgeschehen der Tiere münden, dem sog. Systemischen Entzündungs- und Nekrose-Syndrom beim Schwein (SINS). Dieses Krankheitsgeschehen führt in den besonders gefährdeten Körperteilen wie Ohren, Klauen und Schwänzen zu Durchblutungsstörungen bis hin zum Absterben des Gewebes. In solchen Fällen kann dann das „Schwanzbeißen“ eine Folge der Nekrose sein. Lechner: „Wenn die Schwanzspitze gammelt, dann riechen das die Buchtgenossen. Mit dem Kupieren kann man die Symptome mildern, aber die Tiere werden nicht gesünder, die Ursachen liegen tiefer.“
Wie weit man in der Ursachenforschung zurückgehen muss, das zeigt sich daran, dass man bereits an neugeborenen Ferkeln binnen der ersten drei Lebenstage die Symptome des Entzündungssyndroms feststellen kann.
Ins Blickfeld sind hier vor allem genetische Zusammenhänge geraten. Wurfauswertungen mit Duroc-Pietrain-Misch-Sperma haben laut Lechner mit zwei Dritteln (!) weniger Nekrosen „brutale Vorteile“ für den Duroc ergeben. Es gebe zwar auch gute PIT-Linien, diese seien bisher aber kaum selektiert worden. Auch bei Strohhaltungen scheitert der intakte Ringelschwanz oft am Eber, so Lechner. Gefragt seien in diesem Zusammenhang „gesunde Eber mit viel intakter Haut und mit dichtem Haarkleid“. Diese seien stabil und robust, auch bei Hitzewellen, und halten drei bis vier Jahre durch. Nicht erwünscht seien demgegenüber „diese nackten, abgedrehten Typen mit Venenstau“, die mit Zuchtwert 160 auf die Station kommen und nach eineinhalb Jahren schlapp machen.
Auch hyperfertile Genetik bringe in puncto innere Entzündungen Nachteile mit. „Gesunde“ Ferkel brauchen ausreichende Geburtsgewichte, genügend Kolostrum, stabile Gruppen und zumindest vier Wochen Säugezeit. Streit um Futter und Milch seien keine gute Prägung, so Lechner.
Ausreichend Wasser und Kontaktkühlung
Was die Fütterung betrifft, so gelte es N-Überschüsse zu vermeiden und genügend Faser anzubieten. In Aufzuchtrationen sollte dem Milchprotein mehr Bedeutung zukommen als dem Stärkegehalt. Wichtig sei vor allem ein sehr gutes Wasserangebot – und zwar als Tränke und ebenso als Kühlmöglichkeit. Denn Überhitzung des Körpers sei ursächlich für Durchblutungsstörungen und Nekrosen. Bei der Haltung auf Stroh sei stets auch eine Abkühlmöglichkeit zu schaffen, am besten als Kontaktkühlung.
Wichtig in der Haltung sei es zudem, Brüche zu vermeiden, insbesondere bei Futterumstellungen oder Tränkesystemen. Das gelte schon für die Sauen, für die in Abferkelung und Wartestall dasselbe Tränkesystem installiert sein sollte. Thermoregulation und Wasser seien die vorrangigen Themen, so die Beraterin. Bei der Futtergewinnung am Acker geht es vor allem um eine möglichst geringe Belastung mit Mykotoxinen.
Lechners Fazit: „Der Ringelschwanz wird meist in der Aufzucht verloren, aber am Acker und in der Auswahl der Genetik gewonnen.“
App zu Schweinesignalen
Quelle: www.fitforpigs.de
Fit-For-Pigs ist eine Tierwohl-App, die einen Vergleich und die frühe Identifikation von Symptomen und Krankheitsbildern bei Schweinen aller Altersgruppen ermöglicht („Schweinesignale“). Die App wurde in Baden-Württemberg im Rahmen eines EIP-Agri-Projekts entwickelt und steht in den Android- und iOS-Appstores zur Verfügung.
Die App ersetzt keinen Tierarzt, sie gibt aber gute Hinweise auf Krankheitsursachen. Anhand von Fotos können erste Krankheitssignale erkannt werden, und zwar für vier Altersstufen und für verschiedene Körperregionen. Die Krankheitssymptome sind mit Musterfotos und einem Ampelsystem (grün, gelb, rot) dargestellt, um deren Entwicklung erkennen zu können. Aus den Symptomkarten werden zugehörige Hilfe- und Erklärvideos in der App verlinkt. In einem Erste-Hilfe-Bereich gibt es Kurzvideos zu Sofortmaßnahmen sowie Vorschläge zu Gegenmaßnahmen, wiederum in Form von Foto- und Videobeispielen aus der Praxis.
www.fitforpigs.de
- Bildquellen -
- W App Schweinesingale: www.fitforpigs.de
- W Ringelschwanz Ferkel: agrarfoto.com