Neben all der Aufregung über das Freihandelsabkommen der EU mit den USA, TTIP, geriet “der kleine Bruder von TIPP” etwas in Vergessenheit. Gemeint ist das EU-Freihandelsabkommen mit Kanada, CETA.
CETA ist bereits fertig verhandelt und befindet sich derzeit im Ratifizierungsprozess. Kürzlich rückte das Abkommen neben TTIP wieder in das Interesse der Öffentlichkeit, denn: Die nationalen Parlamente der EU sollten nicht in den Abstimmungsprozess eingebunden werden. Das sorgte für Aufregung. Bis vor Kurzem war nämlich nicht genau geklärt, ob es sich bei CETA um ein gemischtes Abkommen handelt oder nicht. Gemischt bedeutet in diesem Zusammenhang, dass sowohl die EU-Institutionen – Parlament und Rat – als auch alle nationalen Parlamente darüber abstimmen müssen, ob das Abkommen in Kraft treten soll oder nicht. Die EU-Kommission vertrat jedoch die Auffassung, CETA als “reines” Abkommen ohne die Zustimmung der Mitgliedsstaaten beschließen zu können. Nach einiger Aufregung vor allem in Österreich und Deutschland ruderte Kommissions-Präsident Jean-Claude Juncker jedoch zurück. CETA wird als gemischtes Abkommen, also auch von den Mitgliedsstaaten, beschlossen werden müssen. Doch von Anfang an.
Wie alles begann
Vor sieben Jahren haben die EU-Staaten der Kommission den Auftrag erteilt, mit Kanada ein Freihandelsabkommen zu verhandeln. Das war der Startschuss für CETA – Comprehensive Economic and Trade Agreement, dem “umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommen” zwischen der EU und Kanada. Anfang August 2014 konnten die Verhandlungsführer ihre Arbeit abschließen. Im Februar 2016 verkündeten die EU-Kommission und Kanada den Abschluss der rechtlichen Prüfung des Verhandlungstexts. Nun wird der Text in die anderen EU-Amtssprachen übersetzt und dem EU-Parlament sowie dem Rat zur Genehmigung übergeben. Zusätzlich wird das Abkommen auch durch die nationalen Parlamente überprüft. Ein genauer Zeitpunkt, wann das Abkommen in Kraft treten kann, ist somit nicht festzumachen.
Was die Landwirte angeht
Konkret geht es darum, ein umfassendes Handelsabkommen zu beschließen. Umfassend bedeutet in diesem Zusammenhang, dass nicht nur Zolltarife gesenkt, sondern auch nicht-tarifäre Handelshemmnisse abgebaut werden sollen. Die Landwirtschaft ist dabei ein sehr sensibler Bereich. In den Verhandlungsergebnissen ist festgehalten, dass Kanada 90,9 Prozent (%) seiner Agrarzolltariflinien durch CETA abschaffen wird. Nach sieben Jahren sollen die Zölle für 91,7 % der Agrarlinien beseitigt sein. Der Rest sind sensible Erzeugnisse. Diese werden entweder als Zollkontingent angeboten, das betrifft Milchprodukte, oder von den Liberalisierungsverpflichtungen ausgenommen. Das soll Hühner- und Putenfleisch, Eier und Eiprodukte betreffen.
Die EU wird ihrerseits 92,2 % ihrer Agrarzölle abschaffen. Nach sieben Jahren werden die 93,8 % der Zölle beseitigt sein, heißt es im Verhandlungstext. Auch hier wurden die sensiblen Produkte ausgenommen. Bei folgenden Produkten ist die Einfuhr mengenmäßig begrenzt: Rindfleisch, Schweinefleisch, Zuckermais in Dosen. Sensible Produkte, die vom Zollabbau insgesamt ausgenommen wurden, sind Hühner- und Putenfleisch sowie Eier und Eiprodukte.
Wo Exportinteresse besteht
Größtes Exportinteresse auf EU-Seite besteht laut Kommission bei den landwirtschaftlichen Verarbeitungserzeugnissen. Dazu zählen Weine, Spirituosen, Erfrischungsgetränke, Süßspeisen, Produkte auf Getreidebasis sowie Obst- und Gemüseerzeugnisse. Die EU-Kommission betont: “Da nunmehr bis auf sehr wenige Ausnahmen alle kanadischen Zolltariflinien für diese Erzeugnisse liberalisiert werden sollen, ist davon auszugehen, dass der EU-Wirtschaftszweig der landwirtschaftlichen Verarbeitungserzeugnisse erheblich von CETA profitieren wird.”
Schutzniveau festlegen
Die sanitären und phytosanitären Maßnahmen (SPS), also gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Fragen betreffend, werden in CETA gemäß dem Abkommen der Welthandelsorganisation WTO gewahrt, schreibt die Kommission. Laut Landwirtschaftsministerium geht es beim SPS-Abkommen der WTO darum, die Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen zu schützen sowie Einfuhrbeschränkungen zu treffen, sofern daraus kein Handelshemmnis entsteht. Weiter heißt es laut Landwirtschaftsministerium im SPS-Abkommen: “Wenn das Exportland nachweist, dass seine Maßnahmen denen des Importlandes entsprechen, ist ihre Gleichwertigkeit vom einführenden Staat anzuerkennen.” Jeder Staat könne das ihm geeignet erscheinende Schutzniveau für sich festlegen. Höhere Normen als die der entsprechenden internationalen Organisationen seien nur bei wissenschaftlicher Begründung und nach einer objektiven Risikoanalyse zulässig. Nicht derart begründbare Vorsichtsmaßnahmen können nur befristet erlaubt werden.
Was kritisiert wird
Als einen der wichtigsten Kritikpunkte wird immer wieder genannt, dass das Vorsorgeprinzip der EU im Abkommen keine Erwähnung findet. In der EU ist es üblich, Produkte erst dann auf den Markt zu lassen, wenn diese als ungefährlich gelten. In den USA und in Kanada ist dies nicht der Fall.
Kein Hormonfleisch
Auch die Angst vor Hormonrindfleisch findet immer wieder Eingang in die CETA-Kritik. Hormonfleisch gibt es bekanntlich nicht nur in den USA, sondern auch in Kanada. Jahrelang schwelte Mitte der 90er-Jahre der “Hormonstreit” zwischen der EU und den Nordamerikanern. Dabei ging es um die Frage, ob Fleisch von Hormon behandelten Rindern in die EU importiert werden darf. Da die Union strikt dagegen war, einigte sie sich mit den USA und Kanada auf steigende zollfreie Importquoten für Rindfleisch, das von ohne Hormone behandelten Tieren stammt. Laut Kommission soll das Importverbot von Hormonfleisch aus USA oder Kanada auch durch TTIP oder CETA nicht aufgehoben werden. Vielmehr ist vorgesehen, die Importquoten für kanadisches hormonfreies Rindfleisch zu erhöhen. Dadurch soll in Kanada eine hormonfreie Schiene der Rindfleischproduktion entstehen. Großer Bedarf an kanadischem Rindfleisch besteht zumindest in Österreich nicht. Der Selbstversorgungsgrad bei Rind- und Kalbfleisch lag 2014 hierzulande bei 148 Prozent.
Umgang mit GVO
Bei einem weiteren Kritikpunkt, der Grünen Gentechnik, bleibt der Verhandlungstext vage. So ist in CETA festgehalten, dass im Bereich der Gentechnik und Biotechnologie “Kooperation und Austausch von Informationen” herrschen müssen. In einem Rechtsgutachten erstellt im Auftrag von foodwatch von Peter-Tobias Stoll, Wybe Th. Douma, Nicolas de Sadeleer und Patrick Abel im Juni 2016, wird dieser Punkt als “kontrovers” beurteilt. Die internationale Zusammenarbeit in Fragen der Biotechnologie wird im Verhandlungstext genannt, wobei als Beispiel die Behandlung von geringfügigen GVO-Mengen angeführt wird. Nach europäischem Gentechnikrecht sind aber “selbst kleine Mengen und Rückstände von genetisch veränderten Organismen (GVO) in Lieferungen von konventionellem Material relevant, die durch die Verwendung von Anlagen und Transportmitteln sowohl für GVO als auch für konventionelle Agrargüter hervorgerufen werden”, erklärten Stoll und seine Kollegen. Die Vorschriften zum Dialog über die Gentechnikregulierung ließen mit ihren inhaltlichen Leitlinien (…) eine Tendenz zu “einem weniger strengen Umgang mit GVO erkennen”, so die Bewertung der Rechtsgutachter.
Vorläufige Anwendung
Wie die Parlamente der Mitgliedsstaaten zu diesen und weiteren Kritikpunkten außerhalb der Landwirtschaft stehen, etwa dem Sonderklagerechte für Unternehmen, auch Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren (ISDS), wird sich demnächst zeigen. Allerdings: CETA kann auch vor Zustimmung der nationalen Parlamente “vorläufig angewendet” werden. Zumindest in den Bereichen, die ausschließlich in EU-Kompetenz fallen. Das umstrittene Sonderklagerecht etwa könnte dadurch schon verfrüht in Kraft treten.
Eva Zitz
Auswirkungen
Die Einschätzung des Landwirtschaftsministeriums:
• Das Landwirtschaftsministerium (BMLFUW) kritisiert vor allem die Höhe der zugestandenen Zollkontingente im Fleischbereich.
• Durch die Öffnung des Milchmarkts werden die österreichischen Exporte bei z. B. bei hochqualitativem Käse gesteigert werden können.
• Offensive österreichische Exportinteressen können aufgrund der auslaufenden Zollbelastung und durch die Änderungen der Importvorschriften ausgebaut werden z. B. Schokolade, Fruchtsäfte und Marmelade.
• Die österreichische Weinwirtschaft hat großes Interesse an der Steigerung des Weinexports nach Kanada. Durch das Abkommen wird der Export auch in diesem für Österreich sehr bedeutenden Exportsektor vereinfacht.