„Über unsere Hotline können sich neue Lösungsansätze ergeben“

Seit genau 15 Jahren gibt es für Bäuerinnen und Bauern österreichweit das Angebot, in schwierigen Lebenssituationen zum Hörer zu greifen, um sich kostenlos von psychosozial geschulten Ansprechpartnern am anderen Ende der Leitung helfen zu lassen. Eine Bilanz.

Die Bandbreite von kleinen oder größeren Problemen, die über das „Bäuerliche Sorgentelefon“ abgehandelt werden, ist vielfältig: egal ob Generationen- oder Partnerschaftskonflikte, Uneinigkeit bei der Hofübergabe bis hin zu Streitereien nach Einheirat, Sorgen rund um Pflege oder Pensionierung bis hin zu Ängsten und Nöten, die den Alltag am Hof zur Mühsal machen. Die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie, der Krieg in der Ukraine oder die Teuerung im Zuge der Energiekrise haben die Situation für viele in den vergangenen drei Jahren verschärft.

Im vergangenen Jahr 2022 haben genau 875 Anrufer dieses für sie eingerichtete Sorgentelefon-Service in Anspruch genommen, davon 72 Prozent Frauen. Insgesamt wurden seit Bestehen der Hotline mehr als 10.000 psychosoziale Beratungen geleistet, weiß Birgit Bratengeyer, Projektleiterin der Initiative „Lebensqualität Bauernhof“, welche die Hotline betreut.

Die BauernZeitung wollte nun wissen:

BAUERNZEITUNG: Wann ist das Sorgentelefon besetzt?
BRATENGEYER: Werktags, also von Montag bis Freitag, immer vormittags.

Wer ruft bei Ihnen an? 
Bäuerinnen und Bauern aus allen Bundesländern in allen Altersgruppen.

Wer beantwortet diese Anrufe?
Unser Team besteht aus psychosozialen Beraterinnen und Beratern, die selbst auf einem Bauernhof leben oder auf einem solchen aufgewachsen sind.

Mit welchen Fragen wurden Sie zuletzt am häufigsten konfrontiert?
Bei jedem dritten Anruf handelt es sich um Konflikte zwischen den Generationen oder mit dem jeweiligen Partner. Auch Probleme bei Hofübergaben oder -übernahmen sind häufig.

Wie helfen die Mitarbeiter am Telefon den Anrufern?
Wir bieten professionelle Beratung und Begleitung für Menschen zu Sinn- oder auch Wertefragen, den Umgang mit Gefühlen wie Trauer, Wut, Einsamkeit, zu zwischenmenschlichen Konflikten oder um einfach den Alltag besser zu bewältigen und mit schwierigen Situationen umgehen zu können. Auch notwendige Veränderungen und eine aktive Gestaltung der Zukunft stehen im Fokus. Wir beraten nach der systemischen Lehre, sind also überzeugt, dass jeder Klient oder jede Klientin selbst Experte seines oder ihres Lebens ist und die Lösung des Problems kennt, nur derzeit nicht darauf zugreifen kann. Durch Fragen des Beraters können sich neue Lösungsansätze ergeben. Bei psychosozialen Beratungen gibt es keine Ratschläge.

Wie wichtig ist das Thema Anonymität?
Sehr wichtig, das gilt für alle Anrufe am Bäuerlichen Sorgentelefon. Erfasst werden lediglich die Anzahl der Anrufe, das Geschlecht, das Alter und das jeweilige Gesprächsthema.

Verzeichneten Sie in den vergangenen Monaten mehr Anrufe?
Nein. Aber seit Ausbruch der Corona-Pandemie vor drei Jahren sind die Telefonate länger geworden und die Themen komplexer, tiefergreifender.

Was tun Sie, wenn sich jemand in einer absoluten Ausnahmesituation befindet, psychisch schwer angeschlagen ist und dennoch Ratschläge negiert, sich ärztliche oder im Falle von Gewalt polizeiliche Hilfe zu holen? Schalten Sie selbst auch Behörden ein?
Tatsächlich sind am Bäuerlichen Sorgentelefon sehr viele Kriseninterventionen zu verzeichnen. Wir agieren bei Akutkrisen nach dem „BELLA-Prinzip“ des Medizinpsychologen Gernot Sonneck, einst Schüler und Nachfolger von Erwin Ringel. Das heißt: Beziehung aufbauen, Erfassen der Situation, Linderung der schweren Symptomatik, Leute miteinbeziehen und einen Ansatz zur Problembewältigung definieren.
Da unsere Anrufenden anonym sind, haben wir nicht die Möglichkeit, die Polizei oder Rettung zu schicken.

Wie hoch ist die „Erfolgsquote“ und wie misst man diese überhaupt?
Die meisten Gespräche enden mit Aussagen wie „Danke, das hat mir sehr geholfen. Ich probiere das mal aus.“ Wenn diese Person eine Woche später nochmal anruft und sagt, dass die Intervention geklappt hat, dann verbuche ich das Gespräch als Erfolg.

Für welche Anfragen ist das Bäuerliche Sorgentelefon, wiewohl damit ebenfalls oft konfrontiert, nicht zuständig?
Wir sind nicht für juristische und betriebswirtschaftliche Auskünfte zuständig. Wir können auch keine Nachrichten an Politiker oder an die Sozialversicherung weiterleiten. Für Psychotherapie sind Psychotherapeuten zuständig, da können wir nur begleitend da sein.

Nennen Sie doch noch zwei oder drei Fälle, die besonders gut ausgegangen sind.
Wenn das Zusammenleben von mehreren Generationen am Hof nicht gelingt, ist psychischer Stress vorprogrammiert. Wenn ich etwa mit Generationenkonflikten konfrontiert werde, stelle ich folgende Frage: „Was können Sie selbst machen, damit sich die Situation verbessert?“ Sehr oft fallen den Hilfesuchenden dann einige Möglichkeiten dazu ein, was sie selbst verändern können. Diese Möglichkeiten werden im nächsten Schritt nach Praxistauglichkeit überprüft und die beste Idee ausprobiert. Bei schwierigen Hofübergaben frage ich auch nach: „Wer von Ihren Kindern soll den Hof bekommen?“, „Was sagt ihre Frau dazu, was der Hofübernehmer oder weichende Erben?“ Oft wird dadurch klar, dass die Familie noch nicht über die ganze Sache gesprochen hat. Falls gewünscht, kann ein psychosozialer Berater als Mediator auch ein solches Gespräch begleiten. Übrigens gibt es beim LFI, dem Ländlichen Fortbildungsinstitut, Seminare für Hofübergaben.“

Bäuerliches Sorgentelefon: österreichweit, anonym, schnelle Hilfe zum Ortstarif: 0810/67 68 10, Montag bis Freitag von 8.30 bis 12.30 Uhr.

www.lebensqualitaet-bauernhof.at

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  • Bäuerliches Sorgentelefon: Doris Erben
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AUTORBernhard Weber
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