„Tierhaltung verbieten zu wollen ist ethisch-moralisch verwerflich“

Der Deutsche Bauernverband hat seine Forderung nach einer Aufnahme der Ernährungssicherung ins Grundgesetz erneuert. Darüber und über andere Themen, die Landwirte in Deutschland derzeit bewegen, ein Gespräch mit Joachim Rukwied am Rande der Internationalen Grünen Woche.

Joachim Rukwied ist der oberste Vertreter der Landwirte in Deutschland: „Wer meint, wir sollten auf Tierhaltung verzichten, muss die Frage beantworten, wie wir unser unverzichtbares Grünland nutzen sollen.“ Zur Person: Joachim Rukwied, 61, Landwirt aus Baden-Württemberg, ist seit bald elf Jahren Präsident des Deutschen Bauernverbandes.

Für den Deutschen Bauernverband (DBV) gehören „der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere, die Ernährungssicherung und der Klimaschutz“ zu den wichtigsten Maßnahmen zur Stärkung einer nachhaltigen, wettbewerbsfähigen Landwirtschaft eines Landes. Daher pocht man weiter auf einen Verfassungsstatus dafür. Schließlich sei Ernährungssicherheit „keine Selbstverständlichkeit“, mahnt DBV-Präsident Joachim Rukwied ein.

Der Bauernverband fordert auch ausreichend Düngemittel, eine Kennzeichnung von Agrarprodukten und Tierwohl-Fleisch aus Deutschland sowie die langfristige Finanzierung für gesellschaftlich gewünschte Auflagen an die Landwirtschaft, welche über einen Nachteilsausgleich hinausgehen. Der Bauernverband pocht weiters auf eine deutliche Senkung des Flächenverbrauchs durch Verbauung. Der Erhalt produktiver Agrarflächen bei Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen habe ebenso Priorität.
Anlässlich der „Grünen Woche“ – die Messe in Berlin endete am Sonntag nach zehn Tagen – gab der oberste Bauernvertreter Deutschlands dazu Agra-Europe folgendes Interview:

Halten Sie noch an Ihrer Forderung fest, das Ziel der Ernährungssicherung ins Grundgesetz aufzunehmen?
RUKWIED: Ja, gemeinsam mit dem Klimaschutz. Die Forderung ist aktueller denn je.

Die Resonanz in der Politik ist aber gelinde gesagt zurückhaltend…
Das kann ich nicht nachvollziehen und irritiert gewaltig. Im Verband stellen wir uns die Frage, wie ernst diese Themen wirklich genommen werden. Wir bleiben da dran.

Die Landwirtschaft leidet unter steigenden Energie- und Rohstoffkosten und profitiert gleichzeitg von höheren Agrarpreisen. Kommt die Landwirtschaft besser durch die Krise als andere Wirtschaftszweige?
Die Abschlüsse des letzten Wirtschaftsjahres waren eine Momentaufnahme. Die Auswirkungen des Ukrainekrieges haben sich nur bedingt bemerkbar gemacht. Anfangs deutlich niedrigere Preise als heute für Betriebsmittel und gleichzeitig höhere Produktpreise infolge einer knappen Versorgungslage haben die Unternehmensergebnisse spürbar verbessert, was auch dringend notwendig war. Mittlerweile sind die Produktpreise weiter gestiegen. Dem steht nun eine Kostenexplosion bei den Betriebsmitteln gegenüber.

Wie schätzen Sie aktuell die Situation auf den Märkten ein?
Der Getreidemarkt ist überaus volatil. Prognosen sind kaum möglich. Der Milchmarkt steht inzwischen ein Stück weit unter Druck. Manche Molkereien wollen bereits die Preise senken. Auch hier gilt es, die nächsten Wochen abzuwarten.

Wie ist im Moment die Stimmung auf den Betrieben in Deutschland?
Weil die Preise nicht wirklich kalkulierbar sind, ist allenthalben eine große Zurückhaltung bei Investitionen spürbar. Viele blicken mit großer Sorge in die Zukunft. Die Unzufriedenheit mit der Politik ist groß.

Woher rührt diese?
Die Ampelregierung in Berlin hat es bislang nicht geschafft, Perspektiven aufzuzeigen, an denen sich die Landwirte orientieren können. Sie ist zudem nicht ihrem Anspruch gerecht geworden, eine pragmatische Politik zu machen, die sich an den Realitäten der gesamten Agrarwirtschaft orientiert und die den Markt und das Einkaufsverhalten der Verbraucher im Blick hat. Die Politik ist stark am Wunschdenken und an ideologischen Denkmustern ausgerichtet. Das wird aber nicht funktionieren.

Die Vorschläge zur Tierhaltung gehen schlichtweg an der Realität vorbei.

Wo sehen Sie eine Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit?
Die aktuellen Vorschläge zur Tierhaltung gehen schlichtweg an der Realität vorbei. Etwa die angedachten Obergrenzen von maximal 200 Sauen und 3.000 Mastschweinen. Wenn ich einen Maststall mit einem Mitarbeiter betreiben will, brauche ich mindestens 1.500 Liegeplätze oder 4.000 erzeugte Schweine im Jahr. Die Vorschläge gehen an den Notwendigkeiten der Praxis vorbei.

Der Bauernverband hat Landwirtschaftsminister Cem Özdemir bisher eher mit Samthandschuhen angefasst. Wird sich der Ton ändern?
Wichtig für uns ist weiterhin der intensive und sachliche Austausch. Davon werden wir nicht abrücken. Wir werden in der Sache hart, aber fair diskutieren und um den besten Weg ringen. Es ist nicht zielführend, sich gegenseitig anzugreifen.

Zentrales Thema in Deutschland ist der Umbau der Tierhaltung. Die Borchert-Kommission fordert eine klare Finanzierungsperspektive und die vertragliche Absicherung von Tierwohlprämien. Der Minister hat sich dazu bekannt. Reicht Ihnen das?
Nein. Der Finanzbedarf für den Umbau liegt bei 4 Milliarden Euro pro Jahr. Auf dem Tisch liegen allerdings bislang lediglich 150 Millionen Euro. Weitere 850 Millionen Euro aus der „Tierwohl-Milliarde“ sollen aus dem Topf für Agrarstruktur und Küstenschutz entnommen werden. Die Umschichtung von linker Tasche zu rechter Tasche hilft uns nicht wirklich. Auch die Vorschläge für eine Haltungskennzeichnung sind nach derzeitigem Stand eher eine Einladung zur Verbrauchertäuschung. Und der Vorschlag für Änderungen im Stallbau kommt einem Abbauprogramm der Tierhaltung gleich, anstatt Hindernisse für Um- und Neubauten zu beseitigen.

Sie haben zuletzt die Rolle des Bauernverbandes als Problemlöser betont, der seine Unterstützung der Politik anbietet. Haben Sie den Eindruck, dass diese davon Gebrauch macht?
Unsere Vorschläge und Ansätze werden bis dato nicht aufgenommen. Das ist schade und das bedauere ich.

Die Zukunftskommission Landwirtschaft verweist auf den Rückgang beim Konsum tierischer Erzeugnisse, dem die Erzeugung folgen müsse. Der Bauernverband hat dem zugestimmt…
Wir haben 2022 in Deutschland wieder 1.900 Schweinehalter verloren. Inzwischen sind es gerade noch 16.900. Wir brauchen aber eine gewisse Eigenversorgung. In Spanien wurde der Schweinebestand in den vergangenen zehn Jahren um 7,4 Millionen Tiere aufgestockt, während in Deutschland 5,8 Millionen Tiere weniger gehalten werden. Es macht keinen Sinn, die Schweinehaltung aus Deutschland zu verlagern. Das müssen wir in der gesellschaftlichen Diskussion deutlich machen. Wir brauchen auch die Verwertung von Abfallprodukten oder Futtergetreide über den Tiermagen. Am Ende liegt ein hochwertiges Lebensmittel auf dem Teller.

Ein Kern der von der Bundesregierung in Berlin beschlossenen Ernährungsstrategie ist die Unterstützung einer stärker pflanzenbetonten Ernährung. Die gesundheits- und klimapolitischen Argumente sind unstrittig. Tragen Sie den Ansatz mit?
Beim Fleischkonsum pro Kopf liegt Deutschland im EU-Vergleich schon im unteren Bereich. Selbstverständlich sehen wir die gegenwärtigen Trends hin zu vegetarischer und veganer Ernährung, insbesondere bei jüngeren Frauen. Dafür sind unsere Landwirte offen und folgen dem Markt, der auch Chancen bietet. Ich halte aber nichts davon, eine bestimmte Ernährung vorzuschreiben oder über Steuersätze zu versuchen, Ernährungsgewohnheiten zu regeln.

Forderungen nach einer Streichung der Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse hat auch Minister Özdemir erhoben. Warum schließt sich der Bauernverband nicht an?
Wir halten nichts von einer Differenzierung der Mehrwertsteuer bei Lebensmitteln, sind aber offen gegenüber einer generellen Absenkung. Unterschiedliche Sätze würden zu einer weiteren Bürokratisierung der Agrarwirtschaft führen.

In der öffentlichen Diskussion wird Nutztierhaltung aus ethischen Gründen grundsätzlich infrage gestellt. Wie ist der Bauernverband darauf vorbereitet?
Wer meint, wir sollten auf Tierhaltung verzichten, muss die Frage beantworten, wie wir unser unverzichtbares Grünland nutzen sollen. Er muss auch sagen, wie wir unsere Ernährung gewährleisten wollen, wenn wir nicht mehr über den Tiermagen veredeln. Bei der Herstellung von einem Kilogramm veganer Lebensmittel fällt teilweise die vierfache Menge an Abfallprodukten an, die man nur über den Tiermagen nutzen kann, wenn ich sie nicht wegschmeißen will. Daher sage ich in aller Deutlichkeit: Es ist ethisch-moralisch verwerflich, die Tierhaltung verbieten zu wollen.

Sie haben sich wiederholt dazu bekannt, den Pflanzenschutzmittel-einsatz weiter zu reduzieren. Wie?
Etwa durch digitale Techniken. Oder durch die Kombination von mechanischer und chemischer Unkrautbekämpfung, in die viele Betriebe bereits investiert haben. Einen großen Hebel stellt die Züchtung resilienterer Pflanzen dar. Voraussetzung ist aber die Öffnung gegenüber modernen Züchtungsverfahren wie der Genschere CRISPR/Cas. Wir könnten also mit weniger Pflanzenschutzmitteleinsatz auskommen, wenn wir die Möglichkeiten nutzen, die wir haben. Das Potenzial ist da, aber man muss ideologiefrei, pragmatisch und praxisorientiert an die Sache rangehen. Daran hapert es…

Wird 2023 ein gutes Jahr?
Es wird in jeglicher Hinsicht ein herausforderndes Jahr, in der Landwirtschaft, aber insbesondere auch für die Verantwortlichen in der Politik. An sie geht mein Appell, die Herausforderungen gemeinsam anzugehen, ohne ideologische Scheuklappen. Die Politik muss wieder näher an die Menschen heran. Um wieder ein Gefühl für die Bedürfnisse und die Probleme der Leute zu bekommen.

- Bildquellen -

  • Joachim Rukwied: Fabian Sommer / dpa / picturedesk.com
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AUTORBernhard Weber
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