Angesichts der anhaltenden Krise am Schlachtschweinemarkt wächst der Druck auf EU-Agrarkommissar Wojciechowski, endlich das Heft in die Hand zu nehmen.
Auch die Abgeordneten des Agrarausschusses im EU-Parlament haben die Kommission aufgefordert, langfristige Lösungsansätze zur Krisenbewältigung zu finden. Noch geben sich der Pole und seine Brüsseler Behörde aber zurückhaltend. Beim jüngsten Agrarrat appellierten mehrere Minister an Janusz Wojciechowski, EU-Sonderhilfen auf den Weg zu bringen. In der Diskussion sollen sich Teilnehmerkreisen zufolge insgesamt ein Dutzend Mitgliedstaaten für konkrete Hilfsmaßnahmen der Kommission ausgesprochen haben, darunter insbesondere Polen, Tschechien, Irland und Kroatien. Mehrere Delegationen verwiesen auch auf die hohen Betriebsmittelkosten und die anhaltend negativen Auswirkungen der Corona-Pandemie.
Wojciechowski bekräftigte indes seine Einschätzung, wonach die Talsohle erreicht worden sei. Anlass zur Hoffnung gebe der Anstieg der Ferkelpreise. Außerdem warnte der Brüsseler Agrarchef davor, Beihilfen zur Privaten Lagerhaltung (PLH) als „Allheilmittel“ zu betrachten. Er wies darauf hin, dass drei Viertel der gesamten EU- Schweinefleischproduktion lediglich auf 30.000 Betriebe oder 2 Prozent der Erzeuger in der EU zurückgingen. Daher würden entsprechende Markteingriffe gerade die kleineren Betriebe nicht wirkungsvoll stützen. Dem hielt Tschechiens neuer Agrarressortchef Zdenek Nekula, der im Rat eine Initiative zur Unterstützung der Schweinehalter eingebracht hatte, entgegen, dass die Ferkelpreise knapp vor dem Jahreswechsel zwar um 2,2 % gestiegen seien, jedoch lagen diese im Vergleich zum Dezember 2020 noch immer um 8,7 % niedriger. Eine Trendwende sehe anders aus. Irlands Agrarminister Charlie McConalogue zeigte sich angesichts des kräftigen Anstiegs der Kraftstoff-, Düngemittel-, Futtermittel- und Energiepreise grundsätzlich besorgt über die Lage in der Landwirtschaft. Er unterstrich ebenfalls die Forderung seines Landes nach einer raschen Einführung geeigneter Hilfsmaßnahmen.
Die Abgeordneten des Landwirtschaftsausschusses im EU-Parlament fordern von Wojciechowski neben schnellen Maßnahmen zur Bewältigung der Krise auf dem Schweinemarkt auch langfristige Lösungsansätze. Der stellvertretende Generaldirektor der Generaldirektion für Landwirtschaft (DG Agri), Michael Scannell, sprach dagegen bei der Ausschusssitzung Ende Jänner von einer „spürbaren“ Stabilisierung der Ferkelpreise, schreibt Agra-Europe. Damit gebe es erste positive Anzeichen der Marktentspannung. Gleichzeitig räumte der irische Beamte aber ein, dass es noch zu früh sei, eine eindeutige Trendwende zu erkennen. Hingegen appellierte der Ausschussvorsitzende Norbert Lins an die Kommission, „endlich aktiv“ zu werden. Aktuell gäben die Fleischpreise tendenziell eher noch weiter nach. Eine weitere Hiobsbotschaft seien zudem die neuen Fälle der Afrikanischen Schweinepest (ASP) in Italien. Auch Frankreichs Landwirtschaftsminister Julien Denormandie, derzeit Agrarratspräsident, hat sich längst für Eingriffe der EU auf dem Schweinemarkt ausgesprochen.
Gegenseitiges Belauern
Scannell nannte den Einbruch der Schweinefleischimportnachfrage Chinas als Hauptgrund für die jetzt anhaltende Preismisere. Noch vor rund zwei Jahren habe es beim Schweinefleisch einen regelrechten „Exportboom“ in die Volksrepublik gegeben, worauf die Mäster mit einer Ausweitung der Produktion reagiert hätten. Die ASP sowie die Corona-Krise hätten den zuvor positiven Markttrend umgekehrt. Zudem würden sich die Schweinehalter in der EU „gegenseitig belauern“ und darauf warten, wer zuerst seine Produktion reduziere, so der Beamte. Bisher sei es eher üblich gewesen, entsprechend des Schweinezyklus‘ in Niedrigpreisphasen die Produktion stärker zu senken. Ein weiterer Grund für die aktuelle Dramatik sei, dass die Mäster bei niedrigen Erlösen gleichzeitig Rekordpreise für Futtermittel zahlen müssten. Der EU-Beamte versicherte, dass die Kommission versuche, neue Drittlandsmärkte zu erschließen. Hier müsse sich der Sektor aber noch etwas in Geduld üben.
Mehr landgebundene Schweinehaltung
Der Agrarsprecher der EVP, Herbert Dorfmann, beklagte eine ,,historisch schwierige Lage“ auf dem Schweinefleischmarkt. Zugleich stellte der Südtiroler fest, dass der Exportboom der Vergangenheit zu der jetzt deutlichen Überproduktion geführt habe und damit hauptverantwortlich für die Preismisere sei. So seien vielfach regelrechte Tierfabriken entstanden, die mit Landwirtschaft „im eigentlichen Sinne“ nichts mehr zu tun hätten, beklagte der langjährige EU-Agrarpolitiker. Hiergegen müsse Brüssel reagieren, indem etwa über die Strategiepläne landgebundene Alternativen unterstützt würden. Der Sozialdemokrat Paolo De Castro, einst auch Italiens Agrarminister, stimmte Dorfmann zu und forderte ebenfalls unmittelbare Hilfsmaßnahmen.
Mehr Kosten durch Tierwohl
Der Sprecherin für Agrarpolitik der Liberalen, Ulrike Müller, widersprach Scannell dahingehend, dass in Deutschland viele Schweinehalter ihre Produktion bereits deutlich reduziert hätten. Ein Problem nach Ansicht der Abgeordneten der Freien Wähler sei auch, dass viele deutsche Supermärkte nur noch Schweinefleisch aus Ställen einer hohen Tierwohlstufe abnehmen. Dies führe dazu, dass die übrigen Betriebe entweder auf eigene Kosten teuer umbauen müssten oder teilweise sogar auf dem Schweinefleisch sitzen blieben.
Martin Häusling von den Grünen lastete die Überproduktion der „industriellen Schweinehaltung“ an. Und als in Polen die ASP ausgebrochen sei, hätten die deutschen Schweinemäster dies zur Stärkung ihrer Marktposition ausgenutzt. Nachdem jetzt auch in Deutschland die ASP auf dem Vormarsch sei, versuchten nun die Spanier, die Situation in ihrem Sinne zu nutzen, so Häusling. Dabei sei klar, dass der europäische Markt massiv unter einem Angebotsüberhang leide.
Frankreich im Krisenmodus
Unterdessen wächst der Unmut unter Frankreichs Schweinehaltern. Angesichts des anhaltend niedrigen Schweinepreises und dem „explosionsartigen“ Anstieg der Produktionskosten forderte der Branchenverband für Schweinefleisch „lnaporc“ staatliche Unterstützung. Es müsse jetzt gehandelt werden, um die Produktionskapazitäten und die Arbeitsplätze zu erhalten und damit auch den Beitrag der Branche zur französischen Ernährungssouveränität zu sichern. Es sei ansonsten zu befürchten, dass in den kommenden zwei Jahren hunderte von Betriben aufgeben würden.
Der Branchenverband verwies auf die in anderen Ländern gewährte Unterstützung für die dortigen Berufskollegen. Einige Mitgliedstaaten mobilisierten über nationalstaatliche Corona-Hilfen beträchtliche Mittel. Das führe zu Wettbewerbsverzerrungen bei Import und Export. Laut Inaproc habe Deutschland bereits 300 Mio. Euro an seine Tierhalter ausgezahlt. In Frankreich machen die Landwirte laut lnaporc derzeit mit jedem Schwein zwischen 25 Euro und 30 Euro Verlust. Vor allem die Sauenhalter seien betroffen, was sich später auch auf die Mäster auswirken und schließlich die gesamte Branche negativ beeinflussen werde. Nach Einschätzung der Branchenvertreter werden die französischen Schweinehalter 2022 insgesamt Einbußen von etwa 440 Mio. Euro verkraften müssen.
Schweinestau auf der Insel
Auch in Großbritannien spitzt sich die Krise zu. Der hiesige Verband der Schweinebauern (NPA) und der Bauernverband (NFU) appellierten an Landwirtschaftsminister George Eustice, ,,dringend“ ein Gipfeltreffen für die gesamte Lieferkette einzuberufen. In einem gemeinsamen Schreiben an den Ressortchef fordern der NPA und der NFU Maßnahmen zur Verbesserung des Hilfspakets, das nach deren Ansicht den Schweineerzeugern „nur minimale Vorteile“ gebracht habe. Sie verwiesen auf eine Schätzung des Landwirtschaftsministeriums in London, wonach durch den schon seit einiger Zeit anhaltenden Arbeitskräftemangel bei den Verarbeitern der Rückstau an Schweinen in den Betrieben vor Weihnachten mehr als 170.000 Tiere umfasst habe. Dieser sei aufgrund der Weihnachtsfeiertage und durch den coronabedingten Ausfall von Personal noch „rapide“ angewachsen.
Hohe Schlachtkörpergewichte
NPA und NFU berichteten ferner, dass den Landwirten teilweise nur die Hälfte der vertraglich vereinbarten Schweine von den Schlachthöfen abgenommen worden seien. Das habe auch zu einem weiteren Anstieg des mittleren Schlachtgewichts gefürht. Dieses belaufe sich mittlerweile auf gut 95 kg und liege damit um fast 9 kg höher als vor zwei Jahren; in einigen Betrieben liege das Schlachtgewicht ,,sogar noch höher“. Auch seien laut NPA seit September gemäß offiziellen Angaben mehr als 35.000 gesunde Schweine aufgrund des Staus gekeult und entsorgt worden. Die tatsächliche Zahl dürfte offebar aber noch „viel höher“ sein.
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