Elisabeth Köstinger über das Ringen um die GAP-Reform, bei dem am Ende für Österreichs Landwirtschaft mehr Fördergeld als erwartet erstritten wurde, über vermehrte Wolfsrisse, Corona und seine Folgen für viele Bauern und wie bis Jahresende auf die Herkunftskennzeichnung drängt.
BauernZeitung: Nach langem, zähem Feilschen wurde Ende Juni in Brüssel die Fortführung der Gemeinsamen Agrarpolitik mit neuer Ausrichtung beschlossen. Welche Kompromisse, die dabei eingegangen wurden, freuen Sie, welche weniger?
Elisabeth Köstinger: Verhandlungen in der EU-Agrarpolitik sind extrem schwierig, sehr detailreich und medial sehr oft von NGOs und grünen Phantasien getrieben. Wenn man aber die Realität auf den Höfen in Europa betrachtet, fragt man sich wie andere Länder die jetzt beschlossenen Klima- und Umweltleistungen je schaffen sollen. Österreich ist hier um Lichtjahre voraus. Diese Vorreiterrolle ist uns bei den Verhandlungen sehr zu Gute gekommen. Andere Länder starten bei den Umwelt- und Klimaleistungen nahezu bei Null, in Österreich nehmen 80 Prozent der Landwirte schon jetzt an den ÖPUL-Programmen teil. Das ist etwas, auf das wir stolz sein können. Was mich an der neuen GAP am meisten freut ist: Ursprünglich wollte man uns die Mittel um 770 Millionen Euro kürzen. Jetzt haben wir ein Plus von 35 Millionen Euro für die gesamte Periode. Wir haben in nächtelangen Verhandlungen eine von der EU gewünschte Entwicklung völlig umgedreht. Das ist ein Riesenerfolg. Die Anrechnung der 2. Säule bei den Öko-Regelungen ist der zweite große Meilenstein. Damit können wir unser bewährtes Zwei-Säulen-Modell weiterführen.
Kritik an der GAP gab es immer, auch diesmal gehen einigen manche Reformvorhaben zu wenig weit. In welchen Bereichen profitieren Österreichs Bauern besonders von den EU-weit gültigen Regeln?
Elisabeth Köstinger: Kritik ist immer zulässig, aber den NGOs werden wir es nie recht machen können. Das ist auch nicht mein Ziel. Mir geht es um unsere Bäuerinnen und Bauern, um jene, die jeden Tag im Stall oder am Feld stehen und umsetzbare Rahmenbedingungen brauchen. Durch die Fortführung des Zwei-Säulen-Modells können wir sowohl unser einzigartiges Agrarumweltprogramm und auch die wichtigen Ausgleichszulagen weiterführen. Damit entwickeln wir unsere Betriebe vom Berggebiet bis zum Ackerbau weiter und können diese durch starke Unterstützungen für die Jungbauern in die Zukunft führen. Im Bio-Bereich werden wir einen Schwerpunkt setzen, speziell im Bereich der Absatzförderung. Es nützt wenig, wenn wir in der Produktion Bio-Weltmeister sind, aber der Absatz nicht mitwächst. Und der EU-Wettbewerb im Bio-Bereich wird durch den Green Deal stärker werden.
Gab es Punkte, bei denen Österreich nie mitgegangen wäre?
Elisabeth Köstinger: Wenn die Berücksichtigung der zweiten Säule bei den Öko-Regelungen nicht fixiert worden wäre. Das hätte unser ganzes Agrarsystem auf den Kopf gestellt und wir wären massiv benachteiligt gewesen. Das hätte ich nicht akzeptiert.
Auch in Österreich wurden dieser Tage von Regierung und Parlament einige wichtige Weichenstellungen vorgenommen, allen voran mit dem Erneuerbaren Ausbau-Gesetz, das allseits gelobt wird. Nur die Ziele für Strom aus Biomasse hätten ambitionierter ausfallen können, vielleicht sogar müssen, oder nicht?
Elisabeth Köstinger: Im Parlament braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie die SPÖ zur Biomasse steht, da gibt es massive, völlig irrationale Ablehnung. Die Biomasse ist ein wichtiger Teil der Energiewende, weil sie Strom liefert, wenn die Sonne nicht scheint oder der Wind nicht weht. Wir haben im EAG das Beste für diese Produktionsform herausgeholt. Georg Strasser und Magnus Brunner haben sich wirklich ins Zeug gelegt.
Nicht nur Almbauern sind wegen der wachsenden Wolfspopulation in Sorge, haben Angst um ihre Schafe oder Rinder und fordern den Abschuss von Problemwölfen. Das Land Tirol prescht nun vor, auch ÖVP und Grüne haben im Parlament einen Entschließungsantrag zum Schutz der Alm- und Weidewirtschaft durchgebracht. Wann rechnen Sie mit der ersten Entnahme eines Wolfes, wenn dieser nachweislich gleich mehrere Weidetiere gerissen hat?
Elisabeth Köstinger: Wölfe sind Raubtiere. Problemwölfe, die im Blutrausch sind, haben nichts auf unseren Almen zu suchen. Das gefährdet die Alm- und Weidewirtschaft, aber auch den Tourismus. Wenn Bauern ihr Vieh früher abtreiben oder gar nicht mehr auf die Almen auftreiben, muss man handeln. Ich sage ganz klar: Problemwölfe sind zu entnehmen, die Verfahren dafür müssen beschleunigt werden. Es ist gut, dass unter anderem Tirol jetzt an einer möglichst unbürokratischen Möglichkeit der Entnahme arbeitet.
Das Corona-Virus wird uns vermutlich noch länger begleiten. Die Regierung hat besonders betroffenen Landwirten mehrfach geholfen, mit Härtefonds-Geld, Zahlungen für Verlustersatz aus entgangenen Geschäften mit der Gastronomie oder Investitionsprämien. Wie lautet Ihre Zwischenbilanz?
Elisabeth Köstinger: Ich glaube, niemand hat von dieser Pandemie profitiert. Sie hat uns alle sehr hart getroffen, gerade auch den Tourismus und die Landwirtschaft. Wenn man aber etwas Positives aus der Pandemie mitnehmen möchte, dann ist es sicher das deutlich gestiegene Bewusstsein für Regionalität. Die Absätze in der Direktvermarktung sind im letzten Jahr um 23 Prozent gestiegen. Die Menschen wollen wissen, wo ihre Lebensmittel herkommen und wie sie entstehen. Für unsere Landwirtschaft ist das eine große Chance.
Mittlerweile gibt es ausreichend Impfstoffe, aber auch viele Impfskeptiker. Clusterbildungen sorgten gerade am Land oft für Aufsehen. Wie groß ist Ihr Verständnis für Impfverweigerer?
Elisabeth Köstinger: Sich impfen zu lassen ist und bleibt eine persönliche Entscheidung. Ich persönlich habe mich impfen lassen, weil ich zutiefst davon überzeugt bin, dass das sinnvoll und notwendig ist, um mich selbst, aber auch andere Menschen zu schützen. Impfpflicht wird es weiterhin keine geben, wir setzen auf Überzeugungsarbeit. Die 3G-Regelung, also geimpft, genesen oder getestet, wird uns noch länger im Alltag begleiten.
Auch die von Agrarpolitikern geforderte Herkunftskennzeichnung von Lebensmitteln und Regionalität geht in die richtige Richtung, auch in der staatlichen Beschaffung für öffentliche Küchen und Kantinen. Versprochen – gehalten?
Elisabeth Köstinger: Wir setzen das jetzt um! Das ist ein gewaltiger Schritt, weil es in der Lebensmittelindustrie, in der Gemeinschaftsverpflegung, in den Großküchen, Spitälern oder Pflegeheimen einfach alles verändern wird. Die Menschen haben ein Recht darauf zu wissen, wo die Lebensmittel herkommen, die sie essen. Das betrifft hunderttausende Essensportionen am Tag, vom Kindergarten bis zum Krankenhaus. Der Gesundheitsminister ist am Zug. Bis Jahresende möchte ich zählbare Ergebnisse sehen.
In Deutschland haben große Supermarktketten angekündigt, Frischfleisch mittelfristig nur noch von Tieren aus Tierwohl-Ställen zu listen. Ab 2027 kommt ein EU-weites Haltungsverbot in Käfigen, hierzulande rechnen Fachleute auch mit einem Aus für Vollspaltenböden in absehbarer Zeit. Steht Europas Landwirtschaft vor einem totalen Umbruch?
Elisabeth Köstinger: Ich halte fest: Österreich hat seit Jahren deutlich höhere Tierwohlstandards als die meisten anderen Länder. Käfighaltung bei Hühnern gibt es bei uns de facto seit Jahren nicht mehr. Andere Länder stehen noch am Beginn der Umstellung. Ich glaube, dass man über Veränderungen immer reden kann, aber nur mit unseren Bäuerinnen und Bauern und nicht gegen sie. Für den Tierwohl-Pakt nehmen wir viel Geld in die Hand. Sonnenklar ist aber auch: Es braucht dafür die Konsumentinnen und Konsumenten, die zu Tierwohlprodukten greifen und nicht nach ausländischen Produkten mit niedrigen Standards. Sonst bewirkt eine Umstellung genau das Gegenteil und gefährdet unsere heimische Landwirtschaft.
Nochmals zurück zur Herkunftskennzeichnung: Der Bauernbund will mit „#fragdeinenWirt“ mehr Bewusstsein für regionale Herkunft auch im Gastrobereich schaffen. Das kommt bei vielen gut an. Für Agrarpolitiker gehört das Nachfragen, woher das Schnitzel oder Backhendl kommt, vermutlich zum verbalen Stammrepertoire. Ganz ehrlich: Wen würden Sie diese Frage ebenfalls gerne stellen hören?
Elisabeth Köstinger: Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, diese Frage zu stellen. Aber so mancher Konzernchef in seiner eigenen Kantine, das hätte schon was.
Zur Person:
Elisabeth Köstinger, 42, ist seit Ende 2017 Bundesministerin für Land- und Forstwirtschaft in Österreich und seit 2020 auch zuständig für Regionen und Tourismus.
- Bildquellen -
- 20210604 PD16195.HR Web: Gerhard Deutsch/KURIER/picturedesk.com
- 20210604 PD16195.HR Web Quer: Gerhard Deutsch/KURIER/picturedesk.com