„Niemand ist in der Lage, Maschinen zu liefern“

Die ukrainischen Landwirte hätten in den vergangenen Jahren erheblich in moderne Landtechnik investiert. Insofern sei der Maschinenbestand vielerorts auf einem brauchbaren Niveau und eine Frühjahrsbestellung weithin möglich, so Scherer. Allerdings seien Kraftstoffe zunehmend rationiert und im Zuge der fortschreitenden Zerstörung auch Saatgut, Dünge- und Pflanzenschutzmitteln nur unzureichend verfügbar. Die Häfen seien dicht, der Schienenverkehr stehe still, der Luftraum sei zu. Auch die Aktivitäten der europäischen Landtechnikhersteller in der Ukraine sind laut Scherer infolge des Krieges nahezu vollständig zum Erliegen gekommen. Hier Auszüge aus dem Interview:

Dr. Bernd Scherer ist Geschäftsführer des Fachverbandes Landtechnik im Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau.

Wie ist nach Ihren Informationen die derzeitige Lage der Landwirtschaft in der Ukraine?

Scherer: Die kriegsbedingten Verwerfungen werden auch Friktionen in der Landwirtschaft auslösen. Denken Sie nur an die zunehmende Rationierung von Kraftstoffen, an die Frage der Verfügbarkeit von Saatgut, Dünge- und Pflanzenschutzmitteln, aber auch an die zerstörte Infrastruktur.

Wie steht es aktuell um die Verfügbarkeit von Landtechnik auf den Betrieben?

In den zurückliegenden Jahren haben die ukrainischen Landwirte gutes Geld verdient und auch ordentlich in moderne Agrartechnik investiert. Insofern ist der Maschinenbestand vielerorts auf einem brauchbaren Niveau, der die diesjährige Frühjahrsbestellung weithin ermöglichen sollte.

Welche Bedeutung haben der russische und der ukrainische Markt für die deutsche Landtechnikindustrie?

Mit seiner Großflächenlandwirtschaft gehört Osteuropa traditionell zu den weltweit wichtigsten Absatzregionen für schlagkräftige Landtechnik. Allein in die GUS-Staaten und in die Ukraine exportierten wir im vergangenen Jahr Landmaschinen, Traktoren und Softwaresysteme im Wert von rund 1,2 Milliarden Euro. Russland steht für die Hälfte dieses Exportvolumens, also etwa 600 Millionen Euro und die Ukraine für ein Viertel, rund 300 Millionen Euro.

Finstere Aussichten für diesjährige Getreideernte in der Ukraine.

Wie stellt sich für Hersteller, die in der Ukraine tätig sind, die gegenwärtige Situation dar?

In der Ukraine aktive europäische Landtechnikhersteller haben zunächst alle möglichen Maßnahmen ergriffen, um ihre Mitarbeiter vor Ort zu schützen und, sofern möglich, zu evakuieren. Die Geschäfte sind dagegen nahezu vollständig zum Erliegen gekommen. Niemand ist derzeit in der Lage, Maschinen zu liefern: Die Häfen sind dicht, der Schienenverkehr steht still und auch der Luftraum ist zu.

Wie steht Ihr Verband zu den beschlossenen Sanktionen gegen Russland?

Oberste Priorität hat das Wohl der Menschen in der Ukraine. Insofern unterstützen wir den Einsatz wirksamer und konsequenter Sanktionen, die zu einem raschen Ende der Gewalt beitragen mögen. Die EU-Sanktionen bedeuten eine grundsätzliche Neubewertung der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen mit Russland im Lichte von Putins systematischer Aggression.

Welche Folgen hat der Ausschluss russischer Banken vom Zahlungssystem Swift für die deutsche Landtechnikindustrie?

Das wird sich auf das Landtechnikgeschäft spürbar auswirken. Schließlich hat kein anderer Zweig des Maschinen- und Anlagenbaus vergleichbar hohe Ausfuhren nach Russland wie die in Deutschland produzierenden Landmaschinen- und Traktorenhersteller. Sollten durchweg alle russischen Banken exkludiert werden, ließe sich faktisch kaum ein Geschäft mehr abwickeln. Welche Möglichkeiten der Zahlungsabwicklung sich dann über internationale Banken ergeben könnten, muss sich zeigen.
Schließlich ist Russland als Produktionsstandort wie auch als Abnehmer eine wichtige Größe für die Agrartechnikbranche, aber auch für das Agribusiness insgesamt. Ob das auch künftig so bleibt, muss man abwarten.

 

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