Neue Gentechnik: EU-Kommission will offene Debatte

Mit neuen gentechnischen Verfahren lassen sich Mutationen gezielt steuern. Gegenüber den "klassischen" Methoden ist das ein wichtiger Fortschritt.

Neuartige genomische Verfahren können zu einem nachhaltigeren Lebensmittelsystem beitragen. Das entspricht den Zielsetzungen des europäischen Grünen Deals und der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ (From Farm to Fork). Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie über neuartige genomische Verfahren (NGT), die von der EU-Kommission im Auftrag des Rates in Auftrag gegeben wurde und heute, 29. April 2021, veröffentlicht wurde.

Defacto-Verbot seit 2018

Die Studie wurde bereits seit langem erwartet, weil seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes im Juli 2018 auch neue gentechnische Verfahren, die ohne Einschleusung von Fremdgenen in einen Organismus auskommen (Stichwort Crispr/Cas), gleich wie die „harte“ Gentechnik zu behandeln sind. Dies kommt in der EU praktisch einem Freisetzungs- und Handelsverbot gleich.

Anpassungen sind erforderlich

Die nun vorliegende Studie kommt demgegenüber zu dem Schluss, dass es deutliche Hinweise darauf gibt, dass die geltenden GVO-Rechtsvorschriften für einige NGT und ihre Erzeugnisse nicht zweckmäßig sind und an den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt angepasst werden müssen. Die Kommission wird nun einen breit angelegten und offenen Konsultationsprozess einleiten, um die Gestaltung eines neuen Rechtsrahmens für diese biotechnologischen Verfahren zu erörtern. Dazu wird die Studie zunächst auf der Tagung des Rates (Landwirtschaft und Fischerei) im Mai mit den EU-Ministern erörtert werden. Weiters wird die Kommission die Ergebnisse auch mit Mitgliedern des Europäischen Parlaments und mit allen interessierten Kreisen diskutieren. In den kommenden Monaten wird eine Folgenabschätzung, einschließlich einer öffentlichen Konsultation, durchgeführt, um politische Optionen für die Regulierung von mithilfe bestimmter NGT-Verfahren erzeugten Pflanzen zu prüfen.

Saatgut Austria will neue Methoden prüfen

Seitens des Branchenverbandes der heimischen Saatgutkaufleute und Pflanzenzüchter „Saatgut Austria“ betont Obmann Michael Gohn, dass sich auch die heimischen Züchter an dem Konsultationsprozess beteiligen werden. Gohn: „Die neuen Züchtungsmethoden sollten nach der Art der Veränderung in der Pflanze bewertet werden. Dafür braucht es eine adäquate Rechtsbasis.“ Werden einzelne der neuen Methoden klassischen gleichgesetzt, sollten diese aus Sicht von Saatgut Austria zudem nicht patentierbar sein.

Bernhuber: „Es ist höchste Zeit, das Gentechnikrecht der EU zu novellieren“

Alexander Bernhuber, Landwirt und Umweltsprecher der ÖVP im Europaparlament stellt zum Ergebnis der vorliegenden Studie fest, dass es höchste Zeit sei, das 20 Jahre alte Saatgut-Gentechnik-Gesetz der EU auf den neuesten wissenschaftlichen Stand zu bringen. Durch neue Züchtungsmethoden könnten rasche Züchtungsfortschritte erzielt und Pflanzensorten noch besser an Klimabedingungen angepasst werden. Das könnte zu sicheren Erträgen bei gleichzeitig geringerem Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln führen. Die letzte Entscheidung, ob Saatgut zugelassen wird, müsse aber immer in den Mitgliedsstaaten bleiben.

Grüne sind gegen ein neues Gentechnikgesetz

Seitens der Grünen Fraktion im Europäischen Parlament äußerte sich der Abgeordnete zum EU-Parlament und Ko-Vorsitzende der Europäischen Grünen Partei Thomas Waitz  ablehnend. Sein Kommentar: “Wir brauchen kein neues Gentechnik-Gesetz. Egal ob alte oder neue Gentechnik, die strengen Regeln für Zulassung, Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung müssen weiter für alle gentechnisch veränderten Pflanzen gelten.”

Scharfe Kritik von Bio Austria

Gertraud Grabmann, Obfrau des heimischen Bioverandes Bio Austria übte in einer ersten Reaktion scharfe Kritik an der von der EU-Kommission präsentierten Studie. Damit könnte ein Einfallstor für neue Gentechnik geöffnet werden, befürchtet die Bio Austria-Obfrau. Sie sieht dadurch die gentechnikfreie Produktion sowie die Wahlfreiheit der Konsumenten gefährdet. Außer Frage stehe für Bio Austria, dass Sicherheitsprüfungen für neue gentechnische Verfahren unabdingbar sind, so Grabmann.

Bio-Vertreter sehen auch Chancen

Allerdings gibt es in der Bio-Szene auch Stimmen, die in den neuen Züchtungsverfahren auch Chancen sehen. So hat sich etwa Urs Niggli, Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FIBL) Schweiz, mehrfach positiv zu den neuen Möglichkeiten der Pflanzenzucht geäußert. Niggli:”Man sollte noch einmal hinterfragen, ob bestimmte neue Technologien nicht helfen könnten, die Versorgung mit Nahrungsmitteln auch dort zu garantieren, wo der Klimawandel für immer weniger Regen oder für versalzenen Boden sorgt.“ Und Robert Habeck, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen in Deutschland meinte in einem Interview mit der FAZ: “Wir wollen nicht unreflektiert die alten Antworten darüberstülpen, wenn Dinge neu sind.”

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  • W210429 Zuechten Ist Handarbeit: Anna Rauchenberger / Saatgut Austria
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AUTORH.M.
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