Munterer Streit

Kommentar von Conrad Seidl,
Redakteur “Der Standard”

Es gehört zum journalistischen Handwerkszeug, Widersprüche zu erkennen, diese zu analysieren und für das Publikum deutlich zu machen. Das politische Gegenüber weiß das natürlich. Es gehört zum politischen Handwerkszeug, mit Widersprüchen intelligent umzugehen. Gelingt es den Medien, voneinander (allenfalls auch nur in Nuancen) abweichende Aussagen innerhalb der Regierung festzustellen, so hat man als Journalist oft über Tage hinweg reichlich Material, um einen Konflikt darzustellen – angenehmerweise muss man sich mit dem Thema nicht einmal auseinander–setzen. Es reicht, dass man unterschiedliche Zitate gegenüberstellt und einen heftigen Streit in der Koalition behauptet.
So ist auch zu verstehen, was am Pfingstwochenende passiert ist. Unter dem Eindruck sinkender Infektionszahlen und einer steigenden Lust der Bevölkerung an einem halbwegs sorgenfreien Genuss in Gastronomie, Hotellerie und Kulturleben hat der Bundeskanzler richtigerweise weitere Lockerungen in Aussicht gestellt.
Der Gesundheitsminister hat ebenso richtigerweise klargestellt, dass das so noch nicht ausgemacht ist – man muss ja weiter beobachten.
Der Minister, der das polit-mediale Spiel noch nicht aus eigener Erfahrung kennt, hat damit die Medien für vier Tage gefüttert. Und die Medien haben, weil innenpolitisch sonst wenig los war, von einem Koalitionskrach berichtet.
Zwei Mal ging es noch hin und her – wobei die wichtigste Sache unter den Tisch gefallen ist: Die Regierung wird handeln, wie es die Lage erfordert.
Gut so. Aber nicht spannend genug für die Medien.

conrad.seidl@gmx.at

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