Vom Meerschweinchen-Kaiserschnitt bis zur Kälbergeburt: Die Arbeit eines Tierarztes ist sehr abwechslungsreich. Die BauernZeitung sprach mit Michael Schartel, Tierarzt in Bad Aussee (Stmk), wie die Corona-Krise die medizinische Arbeit beeinflusst und was es gegen den Landärzte-Mangel zu tun gilt.
BauernZeitung: Wie hat sich ihre Arbeit als Tierarzt seit der Corona-Krise verändert?
Schartel: Arbeitstechnisch kaum, außer dass wir von der Kammer angehalten wurden, in der Großtierpraxis nur das Notwendigste zu machen. Das heißt: Notfälle wie Euterentzündungen, Geburten, Sachen, die man nicht aufschieben kann, hab ich natürlich behandelt. Kastrationen, Enthornungen und Routineuntersuchungen sollten wir allerdings während der Corona-Krise nicht machen, denn: Wenn in unserer Berufssparte zu viele ausfallen, haben wir in der ärztlichen Versorgung einen Engpass. Ansonsten ist die Kleintierpraxis nach wie vor weitergelaufen, natürlich mit dem Versuch, die Abstandsregeln einzuhalten. Allerdings ist es nicht immer einfach, einen Meter Sicherheitsabstand zu halten. Schließlich muss jemand das Tier halten, während ich es behandle. Die Abstandsregel ist schlicht nicht immer umzusetzen, auch nicht in der Großtierpraxis. Bei einer Geburt im Kuhstall kann ich nicht sagen: ‚Du, zieh zwei Meter weit weg von mir’ oder ‚Ich zieh da und du ziehst dort’. Das geht einfach nicht. Vor einigen Tagen habe ich eine Kuh im Gesicht genäht. Natürlich musste da der Landwirt den Kopf der Kuh halten und stand mir somit auch näher, als es erlaubt wäre. Anders funktioniert das einfach nicht.
BauernZeitung: Welche Veränderungen oder Sorgen haben sie bei den Nutztierhaltern bemerkt?
Schartel: Gar keine. Bei meinem Klientel war keine Veränderung bemerkbar. Zum Teil waren die Landwirte natürlich durch die Corona-Krise ein bisschen verunsichert. Sehr viele haben mir Fragen gestellt, was ich davon halte und was ich über Corona denke. Ansonsten hat sich auf den Betrieben nicht wirklich etwas verändert.
“Die Bauern müssen ihre Arbeit genauso weitermachen. Sie haben auch eingesehen, dass ich manche Behandlungen nun aufschieben muss.”
BauernZeitung: Bauern müssen ja auch trotz der Krise weiterarbeiten, ebenso wie Ärzte…
Schartel: Die Bauern müssen ihre Arbeit genauso weitermachen. Sie haben auch eingesehen, dass ich manche Behandlungen nun aufschieben muss. Bis vergangene Woche hatte ich dann schließlich alles aufgearbeitet, was seit Beginn der Corona-Krise aufgeschoben worden ist.
BauernZeitung: Waren die Tierbesitzer deshalb verärgert?
Schartel: Nein, weder in der Kleintier- noch in der Großtierpraxis.
BauernZeitung: Als Mediziner: Wie beurteilen sie die strengen Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung des Virus?
Schartel: Je strenger, desto besser, denn es gibt immer wieder Ausreißer, die sich überhaupt nicht oder zu wenig an die Beschränkungen halten. Ich denke, man kann einer Regierung keinen Vorwurf machen, dass etwas falsch gelaufen sei, denn keiner weiß, wie mit dieser Situation umzugehen ist. In einem Jahr oder in zwei Jahren kann man vielleicht beurteilen, was man hätte anders machen müssen. Aber für die nächste Pandemie, sollte eine kommen, hat man dann aber einen ausgereifteren Plan. Wäre die Regierung zu locker vorgegangen und es gäbe in Österreich 1000 Tote mehr, hätten alle geschrien, wie lasch und unverantwortlich sie mit der Krise umgeht. Wäre die Regierung zu streng, hätten alle geschrien: Die Wirtschaft geht ein. Es ist extrem schwierig, hier einen Mittelweg zu finden. Die Auswirkungen der aktuellen Maßnahmen werden wir dann wohl in einem Jahr oder später sehen. So, ich muss jetzt eine Kuh besamen.
Anmerkung der Redaktion: Schartel besamt während des Interviews eine Kuh – das funktioniert problemlos, nach drei Minuten kann er weitersprechen.
BauernZeitung: Abseits der Corona-Krise: Es herrscht sowohl bei Ärzten als auch Tierärzten ein massiver Ärztemangel in den ländlichen Regionen, der sich in den kommenden Jahren verschlimmern wird. Spüren sie das in ihrem Arbeitsbereich bereits?
Schartel: Wir haben in der Nähe eine neue Kleintierpraktikerin, zudem zwei weitere Gemischt-Praktiker. Das heißt, noch spüren wir in der Region den Ärztemangel nicht. Ganz sicherlich spürbar wird dieser aber, wenn meine Generation, die Babyboomer, in Pension geht. Für Personen aus diesen geburtenreichen Jahrgängen stehen jetzt nämlich ihre Pensionierung an. Und das wird dann sehr deutlich spürbar werden.
BauernZeitung: Es gibt Vorschläge, Studierenden ein Stipendium zu geben, wenn sie sich verpflichten, danach als Landarzt zu arbeiten. Wäre das auch für Studierende der VetMed sinnvoll?
Schartel: Irgendwelche Zuckerln muss man den jungen Ärzten geben. In manchen Bundesländern haben die Gemeinden den Tierärzten Autos und Wohnungen zur Verfügung gestellt, damit sie überhaupt in die verlasseneren oder einschichtigeren Gegenden kommen. Natürlich ist es schwierig aufs Land zu ziehen, wenn man sich vorher als Student acht oder zehn Jahre lang in Wien ein privates und gesellschaftliches Umfeld aufgebaut hat. Die Großtierpraktiker werden insofern auch weniger, weil das ein mühsamer Job ist bei relativ wenig Verdienst und sehr viel Arbeit. In der Kleintierpraxis liegt das Geld. In der Großtierpraxis hast du zwar auch Umsätze, aber viel davon geht für das Material auf. Und als Großtierpraktiker ist man auch größerer Gefahr ausgesetzt. Zwar kann mich auch ein Hund in einer Kleintierpraxis beißen, tritt mich aber ein Pferd oder erwischt mich eine Kuh, dann kann das schnell eine längerfristige Verletzung werden. Ein paar Rippen sind schnell geprellt.
BauernZeitung: Sie haben Berufserfahrung als Gemischt-Praktiker. Was würden sie einem angehenden Tierarzt empfehlen?
Schartel: Angehende Ärzte sollten das machen, was sie aus Überzeugung tun wollen, denn sonst wird daraus nichts. Ob das die Kleintier-, oder die Pferde- oder die Nutztierpraxis ist: Wenn ich das nicht aus Überzeugung mache, dann werde ich nicht glücklich.
BauernZeitung: Was waren für Sie als Tierarzt die größten Herausforderungen der Nutztierwirtschaft in den letzten Jahren?
Schartel: Es waren weniger Herausforderungen als eher Umstellungen. So sind in meinem Einzugsebiet etwa viele Betriebe von Milchvieh- auf Mutterkuhhaltung umgestiegen. Das ergibt plötzlich ganz andere Aufgaben für einen Tierarzt. Es sind weniger Euterentzündungen zu behandeln, weniger Probleme mit Fruchtbarkeiten, weniger Stoffwechselprobleme und damit verschwindet auch der Verdienst in gewisser Hinsicht. Gerade in unserer Gegend wird die Landwirtschaft auch immer älter. Dadurch werden die Betriebe kleiner, verschwinden komplett oder werden noch verschwinden. Aber das betrifft mich nicht mehr, denn dafür bin ich dann schon zu alt.
BauernZeitung: Wie lange sind sie schon Tierarzt und welche Erfahrungen haben sie gesammelt?
Schartel: Ich habe in Wien studiert und bin nun seit fast 25 Jahren in der Praxis tätig. Ich bin Gemischt-Praktiker. Das heißt, ich behandle alles, was noch lebt und mache auch Fleischbeschau. Ich wollte den Beruf so ausführen, wie er ursprünglich gedacht war. Alles, was ich mir zutraue und was ich kann, mache ich. Ich mache beispielsweise keine Knochenchirurgie, dazu fehlen mir das Patientenmaterial und auch das Werkzeug. Aber vom Kaiserschnitt beim Meerschweinchen bis zur Geburt eines Kalbes ist bei mir alles dabei. Und das macht Spaß.
Interview: Eva Zitz
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- Tierarzt: ZVG