Eine fünf Millimeter kleine Schnecke kriecht langsam über die offene Handfläche. Erst vor zwei Wochen ist sie aus dem Ei geschlüpft und soll nun auf einer eingezäunten Grünfläche so groß werden wie die Schnecke, die sich auf der Handfläche neben ihr im Häuschen versteckt. „In dieser Größe haben die Schnecken mit 28 bis 30 Gramm das optimale Gewicht erreicht, um zur Delikatesse verarbeitet zu werden“, sagt Michaël Meyer. Die zwei Schnecken in seiner Hand stammen aus seiner Zucht, die er sich vor sieben Jahren in Ebersheim, Frankreich, aufgebaut hat.
Der Markt für Schnecken ist in Frankreich groß. Das Land ist bekannt für seinen hohen Konsum der dort traditionellen Delikatesse. Das spiegelt sich auch in der Zahl der Schneckenzüchter wider. Etwa 400 Landwirte haben sich auf die Produktion der Weichtiere spezialisiert. Den nationalen Bedarf können sie jedoch nicht decken. In Frankreich stammt nur knapp die Hälfte der verzehrten Schnecken aus einheimischer Zucht. Der Rest wird importiert.

Im Keller seines Einfamilienhauses hat sich der Franzose Verarbeitungsräume eingerichtet. Ein paar hundert Meter entfernt befinden sich seine vier Felder, jedes etwa einen Hektar groß. „Ein durchschnittlicher Schneckenbetrieb“, wie er anmerkt. Dieser Tage sind seine Flächen leer. Ab Mai jedoch gedeihen hier 460.000 der sogenannten „Gros Gris“-Schnecken (Große Graue Schnecken).
Die domestizierte Schneckenart aus Nordafrika erreicht fast das dreifache Gewicht im Vergleich zur Weinbergschnecke und ist damit perfekt für die Mast. Für Meyer ist das nicht der einzige Grund: „Gros Gris-Schnecken sind einfacher zu züchten und sie wachsen auch schneller. Wenn der Frühling zu lange kalt ist, ist es andernfalls schwierig, dass die Schnecken binnen vier, fünf Monaten bis zum Wintereinbruch ausgewachsen sind. Unter zehn Grad fressen die Schnecken nicht mehr“, weiß der Züchter.

Alle sind aus dem Häuschen
Jedes Jahr im September beginnt für Meyer und seine Familie der aufwendige Verarbeitungsprozess. Dann heißt es Einsammeln, für den Geschmack in Brühe mit Wein kochen, die Innereien entfernen und die Schnecke säubern. Danach wird das Muskelfleisch entweder im mit Butter gefülltem Gehäuse oder konserviert ohne Schale tiefgefroren verkauft. Bis Dezember wird so eifrig gearbeitet: Vier Personen schaffen es, in sieben Stunden bis zu 13.000 Schnecken zu verarbeiten. Viel Handarbeit, die sich aber auch lohnt. Ein Dutzend „Escargots“ kosten je Packung 8,80 Euro. Pro Jahr verkauft Meyer 20.000 davon. Mehr als die Hälfte in der Weihnachtszeit, zwei Drittel ab Hof. Der Rest geht an Restaurants in der Umgebung. Bei den mit Butter gefüllten Schnecken in ihrem Haus liegt die Gewinnspanne bei 30 Prozent, bei den Tiefgefrorenen bei 40 Prozent.

Lauernde Gefahr im Sommer
Doch auch im Sommer gilt es für Schneckenzüchter einiges zu beachten, berichtet Meyer. „Mit dem Klimawandel werden die Sommer heißer. Auch wir hatten in den vergangenen Jahren schon Probleme.“ Wird es zu heiß, steigt das Risiko für bakterielle Infektionen auf den extra bewässerten Feldern. „Ich kenne Züchter, die haben wegen Infektionen ganze Felder voll Schnecken verloren. Da ist man machtlos.“ So hat auch Meyer begonnen, manuelle Schattenplätze mit großen Planen zu schaffen. Doch das sei nur eine Zwischenlösung. Langfristig plant er, Bäume zu pflanzen. Diese sollen effektiveren Schutz bieten.
Auch der Mist der Tiere muss regelmäßig entfernt werden, um die Ansammlung von Bakterien zu verhindern. Im Jänner wird der Hygiene wegen alles gründlich gereinigt, die Felder umgeackert und neu angelegt.
Chancen im Schneckenmarkt
Meyer würde seinen Betrieb gerne erweitern, sieht sich jedoch mit einem weiteren Problem konfrontiert: „Die Nachfrage nach unseren Schnecken wäre da, aber es ist schwierig, Arbeitskräfte zu finden. Deshalb konzentrieren wir uns derzeit lieber auf die Qualität statt auf Quantität.“
Auch in Österreich versuchen sich bereits einige in der Schneckenzucht. Der Bekannteste ist Andreas Gugumuck. Er betreibt seit 2014 seine gleichnamige Manufaktur und züchtet etwa 300.000 Weinbergschnecken pro Jahr. Im Vergleich zu Frankreich gibt es in der Schneckenzucht hierzulande aber noch Luft nach oben.

Vom Arme-Leute-Essen zur Delikatesse
Weinbergschnecken wurden bereits im alten Rom aufgetischt. Die Weichtiere waren wegen ihrer angeblich anregenden Wirkung sehr beliebt. Mit der Ausdehnung des Römischen Reichs verbreiteten sich die Schnecken als Nahrungsmittel in ganz Europa. Im Alpenraum setzte sich der Genuss von Schnecken aber erst mit der Ausbreitung des Christentums und den damit verbundenen Fastenregeln durch.
Da Schnecken von der Kirche weder als Fisch noch als Fleisch angesehen wurden, waren sie besonders während der Fastenzeit ein beliebtes Gericht. Mönche übernahmen in ihren Klostergärten die Tradition der Schneckenzucht. Auch in Österreich fand man an den Kriechtieren als Leckerbissen Gefallen. Fassweise wurden damals die Weinbergschnecken von Schwaben bis nach Linz oder Wien transportiert.
- Bildquellen -
- Schneckenzüchter: Bauernzeitung
- Schneckenfeld: Bauernzeitung
- Delikatesse: Bauernzeitung
- Schneckenhaus: Bauernzeitung